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Tag: Wahlen 2015

Social Media im Wahlkampf 2015

Dieser Wahlkampf wird unter anderem wegen der immer wichtiger werdenden Rolle von Social Media in Erinnerung bleiben: Die SVP lancierte mehrere Musikvideos auf Youtube, die FDP versuchte sich auf Vine und Instagram und Aline Trede, Kandidatin der Berner Grünen, testete die Dating-App Tinder. 

Auch wenn die Wirkung von Social Media vermutlich überschätzt wird, Tatsache ist, dass kaum ein Politiker mehr ganz um die sozialen Medien herumkommt. Wie aktiv waren die Parteien tatsächlich in diesen Wahlen?[1] Und wie erfolgreich? Dazu analysierten wir Daten der zentralen Parteiaccounts auf Facebook und Twitter seit dem April 2015.[3] Während die Linken tatsächlich die Twitter-Könige sind, wird Facebook von der SVP regiert.[4]

Die ersten beiden Abbildungen zeigen die Entwicklung der Facebook Likes und Twitter Follower in den letzten 27 Wochen. Die Grafiken machen klar, dass die Popularität der Parteien auf beiden Social-Media-Kanälen relativ schwach aber konstant zunimmt. Auf Facebook legte die SVP am deutlichsten zu, mit mehr als 3’700 neuen Likes. Im Gegensatz zu den anderen Parteien scheint es bei der SVP zudem einen zusätzlichen Kampagneneffekt in den letzten Wochen vor den Wahlen gegeben zu haben.

Entwicklung der Likes pro Partei

Facebook Ad für die CVP Page
Facebook Ad für die CVP Page

Dies ist wohl auf ihr Wahlkampfvideo «Welcome to SVP» und dessen erfolgreiche Verbreitung über Facebook zurückzuführen. Der «Knick» nach oben fällt nämlich genau in Woche 36, als die SVP die ersten «Teaser» für den Videoclip auf ihrer Facebook Page postete. Ihre Strategie, deren Ziel vermutlich vordergründig die Ansprache und Mobilisierung junger potenzieller Wähler war, scheint also aufgegangen zu sein – zumindest auf Facebook. Auch die CVP verzeichnete einen abrupten Anstieg an Facebook Likes in den letzten vier Wochen. Hier ist die Ursache weniger klar. Möglicherweise machte die Partei stärker Gebrauch von Facebook Ads (siehe Bild) als zuvor. Bei den anderen Parteien scheint es ebenfalls einen leichten Wahlkampfeffekt gegeben zu haben, wenn auch viel weniger ausgeprägt.

Entwicklung der Twitter Followers

Auf Twitter ist mit Abstand die SP am populärsten. Sie gewann seit dem April fast 6’000 neue Follower. Aber auch die Grünliberale Partei beeindruckt mit einer grossen Twitter-Gefolgschaft und einem Plus von über 3’000 Followern. Allen übrigen Parteien folgen weniger als halb so viele Twitter-Nutzer. Im Gegensatz zu Facebook sind auf Twitter kaum Wahlkampfeffekte ersichtlich.

Wie steht es um die Aktivität

Die Parteien sind nicht nur unterschiedlich beliebt auf Facebook und Twitter, sie unterscheiden sich auch in ihrer Aktivität. Die folgende interaktive Grafik zeigt die Anzahl Facebook-Posts bzw. Tweets, die von den jeweiligen Partei-Accounts pro Woche abgesetzt wurden. Insgesamt ist ein «Sommerloch» und danach eine leicht verstärkte Aktivität im Hinblick auf die Wahlen erkennbar. Die Parteien setzten die sozialen Medien also aktiv ein als Wahlkampfmittel. Besonders sticht die Grüne Partei hervor, die ihre Aktivität in den letzten Wochen nochmals ganz klar intensiviert hat. Ihre hohe Anzahl Posts hat allerdings auch damit zu tun, dass sie ziemlich konsequent alles sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch posten – dies ist bei Weitem nicht bei allen Parteien der Fall (Mobile Grafik).

Auf Facebook wird neben der Anzahl Likes auch eine Zahl angegeben für «People talking about this.»[5] Damit wird gemessen, wie viele Menschen mit einer Facebook-Seite interagieren und eine «Story» kreieren, z.B. indem sie einen Post «liken», teilen oder kommentieren. Die untenstehende Grafik vergleicht die Interaktivität (durchschnittliche Anzahl «People talking about this» pro Woche) mit der Aktivität (durchschnittliche Anzahl Posts pro Woche). Die Grösse der Punkte entspricht der Anzahl Likes einer Page. Die Streuung der Parteien deutet darauf hin, dass es einen positiven Zusammenhang gibt: Je aktiver eine Partei, umso mehr Reaktionen bekommt sie von ihren Anhängern.

Rechtspopulisten im Vorteil?

Allerdings sind nicht alle Parteien gleich effizient. Mit Abstand am meisten Reaktionen auf ihre Page und Posts erhält die SVP – und dies mit einer eher durchschnittlichen Aktivität. Das hat natürlich einerseits mit ihrer grossen Anzahl Page-Likes zu tun: Je mehr Likes, umso mehr Leute sehen einen Post, umso grösser ist die Chance auf eine höhere Anzahl Reaktionen. Andererseits zeigen wissenschaftliche Studien, dass rechts-populistische Parteien auch in anderen Ländern eine überdurchschnittlich grosse Anhängerschaft auf Social Media haben und diese zudem aussergewöhnlich aktiv ist.[6] Dies erklärt auch, warum die Lega als sehr kleine Partei vergleichsweise sehr viele Facebook-Likes hat und ebenfalls relativ effizient ist. So erzielt sie mit durchschnittlich weniger als zwei Posts pro Woche ähnlich viele Reaktionen wie die FDP mit ungefähr fünf Beiträgen pro Woche. Auch die SP ist mit ihren Posts ziemlich erfolgreich. Die Grünen und die CVP hingegen werden für ihre überdurchschnittlich hohe Aktivität nicht belohnt.

Talkabout und Anzahl Posts im Vergleich

Für Twitter gibt es keine direkt vergleichbare Kennzahl wit «talking about».[7] Aber es scheint auch hier einen Zusammenhang zwischen Aktivität und Popularität zu geben: Parteien, die häufiger tweeten, haben auch mehr Follower (oder umgekehrt…). Hier hat jedoch eindeutig die SP die Nase vorn, gefolgt von der GLP. FDP, Grüne und CVP sind zwar aktiver, gewinnen damit aber viel weniger Follower.

tweets_followers
Je grösser ein Punkt, desto mehr Likes hat die Partei auf Facebook.

Schliesslich sind klare Unterschiede zwischen Facebook und Twitter zu erkennen: Der Erfolg der Parteien unterscheidet sich stark je nach Plattform. Die letzte Grafik vergleicht die Anzahl Facebook-Likes mit der Anzahl Twitter-Follower. Die Grösse der Punkte widerspiegelt die Wahlanteile der Parteien 2011. Während auf Twitter – wie auch das SRF zum Schluss kam – die linken Parteien im Vorteil sind, geben auf Facebook eher die Rechten den Ton an – allen voran die SVP. Dies hat wahrscheinlich mit den unterschiedlichen Nutzerstrukturen der beiden Plattformen zu tun. Der durchschnittliche Twitter-Nutzer ist jünger, höher gebildet und hat einen höheren sozio-ökonomischen Status als die Durchschnittsbevölkerung.[8] Die wohl wichtigste Ansprechgruppe für Schweizer Politiker auf Twitter sind ausserdem Journalisten und weniger (potenzielle) Wähler.[9] Facebook hingegen ist in der allgemeinen Bevölkerung beliebter und hat eine viel breitere Nutzerbasis.[10]

Followers und Likes im Vergleich
Je grösser der Punkt, desto grösser ist der Wahlanteil.

Im Vergleich zu den letzten Wahlen 2011 hat die Bedeutung der Social Media eindeutig zugenommen. Die Facebook Likes der Parteiaccounts haben sich in den letzten vier Jahren bei den meisten Parteien vervierfacht. Die Twitter-Followers sind teilweise sogar um das Zehnfache angestiegen. Ausserdem haben die bürgerlichen Parteien stark aufgeholt. Während die SP bei den letzten Wahlen noch sowohl Twitter als auch Facebook dominierte, wurde sie auf letzterem mittlerweile klar von der SVP überholt. Insgesamt haben sich die Zahlen der Wählerstärke der Parteien angenähert. Die sozialen Medien, die zu Beginn noch speziell als Chance für kleine Parteien angesehen wurden, widerspiegeln heute mehrheitlich die bestehenden Machtverhältnisse – auch wenn es deutliche Unterschiede zwischen Facebook und Twitter gibt. Twitter ist dabei nach wie vor eher das Medium der Linken und der politischen «Underdogs».

[1] Foto: Dean Meyers|Flickr.

[2] Social Media wird überschätzt, meint dieser Artikel.

[3] Die Daten stammen aus einen Forschungsprojekt unter der Leitung von Dr. Ulrike Klinger am IPMZ – Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung, Universität Zürich.

[4] Zu den Twitter-Königen geht es hier.

[5] People talking about this, here.

[5] vgl. z.B. Bartlett, Jamie, Jonathan Birdwell, and Mark Littler. The New Face of Digital Populism. London: Demos, 2011.

[6] Larsson, Anders Olof. “Going Viral? Comparing Parties on Social Media during the 2014 Swedish Election.” Convergence: The International Journal of Research into New Media Technologies, no. Published online before print. (April 2, 2015): 1–16.

[7] Die Anzahl Retweets/Favorites pro Tweet wurden leider nicht erhoben.

[8] Duggan, Maeve, Nicole B. Ellison, Cliff Lampe, Amanda Lenhart, and Mary Madden. “Demographics of Key Social Networking Platforms.” Pew Research Center: Internet, Science & Tech, 2015. Link.

[9] Rauchfleisch, Adrian, Metag, Julia. «Sag es kurz und prägnant. Twitter als kommunikativer Marktplatz für Volksvertreter und Journalisten.» NZZ Webpaper 2015. Link.

[10] Klinger, Ulrike. “Mastering the Art of Social Media.” Information, Communication & Society 16, no. 5 (June 1, 2013): 717–36.

Der Kampf der Panaschierkönige

An den Wahlen um die Zürcher Vertretung im Ständerat beteiligen sich ein paar der bekanntesten Zürcher Politiker. Ein Blick in die Panaschierstatistik zeigt, wer nicht nur bekannt ist, sondern auch über die eigene Stammwählerschaft hinaus punkten kann.

In einem Mehrheitswahlsystem müssen Kandidierende auch Wählende anderer Parteien von sich überzeugen, um gewählt zu werden. Die anstehende Wahl der Zürcher Vertretung ins Stöckli ist diesbezüglich keine Ausnahme. Die Tatsache, dass sich bei den letzten beiden Zürcher Ständeratswahlen (2007, 2011) keine der teilweise hochkarätigen Kandidaturen der beiden wählerstärksten Parteien SVP und SP durchsetzen konnte, illustriert dies deutlich. Stattdessen machten mit FDP und GLP zwei Parteien das Rennen, welche auch zusammengezählt nicht auf die Wähleranteile der SVP kommen (Mobileversion der Grafik).

Nimmt man die Grösse der Parteiwählerschaft pro Partei bei den jüngsten Kantonsratswahlen als Richtwert für die kommenden Ständeratswahlen, wird klar, dass alle Kandidierenden weit über ihre politische Basis hinaus punkten müssen, um das absolute Mehr im ersten Wahlgang erzielen zu können. Selbst wenn wir die Möglichkeit von Wahltickets in Betracht ziehen, kann keines der klassischen Parteilager eine sichere Mehrheit der Wählenden auf sich vereinigen. Klar, FDP und SVP kommen im Verbund mit der EDU auf rund 50% des Elektorats. Theoretisch keine schlechte Ausgangslage, aber eine komfortable Mehrheit sieht anders aus.[1] Kommt hinzu, dass es momentan nicht so aussieht, als ob SVP und FDP im Ständeratswahlkampf geschlossen auftreten werden.[2]

Und selbst wenn Parteien mit einem Ticket in den Wahlkampf ziehen, gibt es keine Sicherheit, dass ihre Wählerschaft dieses an der Urne auch umsetzt. Bei den Zürcher Ständeratswahlen 2007 spannten SVP und FDP beispielsweise zusammen. Doch während damals die SVP-Anhangerschäft neben Ueli Maurer (SVP) häufig auch Felix Gutzwiller (FDP) wählte, wurde dieser Liebesdienst von der FDP-Anhängerschaft selten erwidert.[3] Bei den Regierungsratswahlen dieses Jahres scheint die gegenseitige Unterstützung zwar grösser gewesen zu sein, aber es bleibt bei dabei: Es gibt keine Garantie, dass die Wähler einer allfälligen Wahlempfehlung bei den Ständeratswahlen auch folgen.[4] Für alle Kandidaten lautet deshalb auch dieses Jahr das Schlüsselwort wieder  «mehrheitsfähig» und sie sind gut beraten, dafür weit über den Radius der eigenen Wählerschaft hinaus um Unterstützung zu werben.

Was sagt die Panaschierstatistik?

Welcher der fünf (sicheren) Zürcher Ständeratskandidaten – Ruedi Noser, Daniel Jositsch, Martin Bäumle, Hans-Ueli Vogt und Bastien Girod – am ehesten mehrheitsfähig ist, lässt sich aufgrund der Panaschierstatistik zu den Nationalratswahlen 2011 erahnen. Die fünf aktuellen Bewerber um die Zürcher Ständeratsvertretung nahmen 2011 nämlich alle an den Nationalratswahlen teil. Bei den Nationalratswahlen aber gibt es die Möglichkeit des Panaschierens. Die Anzahl Panaschierstimmen wiederum ist ein guter Indikator für die Mehrheitsfähigkeit einer Kandidatur. Dabei ist klar, dass die Entscheidungssituation bei den Zürcher Ständeratswahlen (bloss zwei Stimmen) und Nationalratswahlen (neu: 35 Stimmen) nicht dieselbe ist. Aber von der strukturellen Logik her gesehen, ist die Situation zumindest nicht unähnlich.

Weiter gilt auch zu bedenken, dass die einzelnen Kandidaten in unterschiedlichem Ausmass auf parteifremde Stimmen angewiesen sind. Hans-Ueli Vogt kann bei den Ständeratswahlen auf die Stimmen der SVP-Wähler zählen, was bereits rund 30 Prozent der Wählerstimmen entspricht. Bastian Girod von den Grünen hat hingegen eine zahlenmässig deutlich geringere Stammwählerschaft und ist demnach viel stärker auf Stimmen ausserhalb der eigenen Wählerschaft angewiesen.

Auch zur Panaschierstatistik gibt es eine App. Klicken Sie sich hier durch alle Parteien.

In Bezug auf die Panaschierstatistik zeigt sich,  dass vor allem der SVP-Kandidat Hans-Ueli Vogt deutlichen Aufholbedarf hat. Während Daniel Jositsch, Martin Bäumle, Ruedi Noser und Bastein Girod in ihren die Parteien die Panaschierkönige waren, kam Hans-Ueli Vogt 2011 zusammengezählt auf weniger Panaschierstimmen als der Sozialdemokrat Daniel Jositsch alleine von der FDP erhielt. Sogar Bastien Girod fand bei den FDP-WählerInnen mehr Zuspruch als der Kandidat der SVP. Martin Bäumle wiederum erhielt mehr Stimmen von SVP-Listen als Ruedi Noser. Für weitere Vergleiche, klicken Sie die «Parteipunkte» in der untenstehenden Grafik an. Sie zeigt, wie viele Panaschierstimmen die Zürcher Ständeratskandidaten erzielt haben, die 2011 noch alle für den Nationalrat kandidiert haben (Mobileversion der Grafik).

Natürlich lassen sich die Zahlen von den Nationalratswahlen 2011 nicht einfach auf die Ständeratswahlen 2015 übetragen. Neben den schon erwähnten Unterschieden bezüglich der Entscheidungssituation (Majorz statt Proporz, 2 statt neu 35 Sitze) ist auch die  Ausgangslage für den Wahlkampf dieses Jahr eine andere ist als 2011. So ist ist zum Beispiel vorstellbar, dass Martin Bäumle bei den letzten Nationalratswahlen von der damaligen Salienz der Umweltthematik profitiert hat. Hans-Ueli Vogt wiederum verfügt als Kopf hinter der «Landes- vor Völkerrechtinitiative»  wohl über eine der besten Wahlkampfplattformen. Diese dürfte ihm eine mediale Präsenz verschaffen, die über den Ständeratswahlkampf hinausgeht. Bei den letzten NR-Wahlen war er zudem nur auf dem 24igsten Listenplatz und deutlich unbekannter. Angesichts dessen ist sein Resultat bei den Panaschierstimmen beachtenswert. Ebenfalls soll darauf hingewiesen werden, dass die neugewählte Zürcher CVP-Regierungsrätin Silvia Steiner bei den letzten Nationalratswahlen sogar noch weniger Panaschierstimmen auf sich vereinte als Hans-Ueli Vogt. Trotzdem gelang ihr dank der Unterstützung von FDP- und SVP-WählerInnen der Einzug in die kantonale Exekutive. Klar, auch die Regierungsratswahlen sind nicht ohne Weiteres mit den Ständeratswahlen vergleichbar. Das Beispiel zeigt jedoch, wie viel mit einem soliden Wahlkampf und starken Verbündeten erreicht werden kann.

Der Kampf um die Ständeratssitze des Kantons Zürich präsentiert sich also ziemlich offen. Das bleibt auch so, wenn sich die Parteien doch noch für Tickets entscheiden. Er dürfte einer der spannenden Wahlkämpfe in diesem Wahlherbst werden.

[1] Hier geht es zum Verlauf der Parteistärken im Kanton Zürich.
[2] Sowohl SVP-Präsident Alfred Heer als auch FDP-Präsident Beat Walti äussern sich kritisch gegenüber gegenseitgen Wahlempfehlungen bei den Ständeratswahlen. Hier  und hier geht es zu entsprechenden Artikeln in der NZZ.
[3] Diese und weitere Informationen zu den Zürcher Ständeratswahlen 2007 finden Sie in der Nachlese von Peter Moser. Romain Lachat hat 2006 eine Studie zu den Determinaten für das Abschneiden von SVP-Kandidaturen bei Ständeratswahlen publiziert [Bezahlinhalt].
[4] Grafik zur Unterstützung der RR-Kandidaten nach Parteiwählerschaft von Sotomo und Tages-Anzeiger.
Was Panaschieren ist, finden Sie hier.
Hier geht es zur Panschierstatistik-App: Bildschirmfoto 2015-05-04 um 23.27.13

Regierungsrätin dank Dignitas?

Der Regierungsrat des Kantons Zürich ist gewählt. An dessen Parteizusammensetzung hat der Zürcher Souverän eine bedeutende Änderung vorgenommen. Silvia Steiner konnte für die CVP den 2011 an die Grünen verlorenen Sitz zurückerobern. Wir schauen zurück auf die zwei wichtigsten Ereignisse des Wahlkampfs und gehen der Frage nach, inwiefern die Regierungszusammensetzung die Parteistärken widerspiegelt.

Ernst Stocker (SVP), Markus Kägi (SVP), Thomas Heiniger (FDP), Carmen Walker Späh (FDP), Mario Fehr (SP), Jacqueline Fehr (SP) sowie Silvia Steiner (CVP) werden in der Legislaturperiode 2015 bis 2019 die Geschicke des Kantons in die Hände nehmen. Nach einem spannenden Wahlkampf, der von einer Diffamierungskampagne gegen Silvia Steiner überschattet war, gelang es dieser, den bisherigen grünen Regierungsrat aus dem Amt zu verdrängen. Mit ganzen 8852 Stimmen Vorsprung auf Martin Graf (Grüne) eroberte sie den vier Jahre zuvor verlorenen Sitz für die CVP zurück. Damals wurde CVP-Magistrat Hans Hollenstein von Graf um 2328 Stimmen geschlagen.

Verhalf Kampagne gegen Steiner zu ihrem Wahlsieg?

Am 16. März sorgte ein Flugblatt gegen Silvia Steiner für grosse Furore: Dignitas-Gründer Ludwig Minelli bezeichnete darin die CVP-Vertreterin als inkompetente Staatsanwältin, erzkonservative Politikerin und radikale Sterbehilfe-Gegnerin. Diese Aktion ging aber klar nach hinten los; letztlich verhalf sie Silvia Steiner wahrscheinlich sogar zum Wahlsieg. Das Hauptproblem Steiners war nämlich ihre anfängliche Unbekanntheit im Zürcher Stimmvolk. Das Flugblatt verhalf ihr, diese zu überwinden. Dass das Interesse an der CVP-Politikerin tatsächlich massiv in die Höhe schnellte, zeigt die grosse Anzahl Wikipedia-Aufrufe ihres Profils nach Erscheinen des Flugblatts.

Tagi-Aufruf kann Graf nicht mehr retten

Res Strehle, Chefredaktor des Tagesanzeigers, rief in einem am 6. April erschienenen Leitartikel dazu auf, den grünen Regierungsrat zu unterstützen. Dieser Aufruf kam für Martin Graf allem Anschein nach zu spät. Der Tagi-Artikel reichte zwar für eine kleine Zunahme des Interesses an der Person des Grünen, entfaltete aber bei Weitem nicht die Wirkung, wie dies die Negativ-Kampagne gegen Steiner tat. Durch Verschieben des Sliders können die Unterschiede in den Wikipedia-Abfragen zu Silvia Steiner und Martin Graf sichtbar gemacht werden.

Steiners Erfolg ist insofern bemerkenswert, als dass sie mit der CVP eine Partei vertritt, welche einen kleineren Wähleranteil aufweist als jeweils die GLP und die Grünen. Dass eine Partei mit einem Wähleranteil von gerade mal 4.9% einen neuen Regierungsratssitz erobert, ist im Kanton Zürich ein politisches Novum. Silvia Steiner hat, Negativkampagne sei Dank, den Wahlkampf dominiert. Ohne die überdurchschnittliche Aufmerksamkeit, welche ihrer Person zukam, wäre dieser historische Erfolg wahrscheinlich nicht möglich gewesen.

FDP, SP und CVP im Regierungsrat klar übervertreten

Der Vergleich der Anzahl Regierungsratssitze mit den tatsächlichen Wählerstärken der Parteien zeigt, welche Parteien in der Exekutive über- bzw. unterrepräsentiert sind. Würde sich die Parteistärke bei den Parlamentswahlen perfekt in der Regierungsratswahl widerspiegeln, so gäbe es pro 14.3% Stimmenanteil einen Regierungssitz. Der wählerstärksten Zürcher Partei, der SVP, kämen somit 2.1 Sitze zu. Damit ist sie mit ihren zwei wiedergewählten Vertretern von allen Parteien am adäquatesten im Regierungsrat vertreten. Deutlich übervertreten wären nach diesen Gesichtspunkten FDP und SP: Die Differenzen zwischen deren Anteilen an Regierungsratssitzen und den jeweiligen Parteistärken betragen 10.7 respektive 9.3 Prozentpunkte. Obwohl die CVP als Kleinpartei im Kanton Zürich gerade mal einen Wähleranteil von 4.9% erreichte, stellt sie künftig eine Regierungsrätin. Damit gehört sie ebenfalls zu den Parteien, welche im Verhältnis mit ihrem Wähleranteil, überproportional stark an der Regierungsmacht beteiligt sein wird. Der CVP würden 0.34 Regierungsratssitze, abgerundet also keiner, zustehen. Auf ähnlich kleine Werte kommen die Kleinstparteien AL, EDU, BDP und EVP. Da keiner ihrer Vertreter in die Exekutive gewählt worden ist, entstehen hier verglichen mit deren Wählerstärken kleine Unterrepräsentationswerte.

Grüne Ansichten kommen zu kurz

Tendenziell untervertreten im neuen Regierungsrat sind allerdings die Grünliberalen und die Grüne Partei. Zwar haben beide Parteien gegenüber 2011 empfindliche Verluste erlitten, ihre exekutive Abwesenheit ist aber insofern auffällig, als sie (zusammengezählt) immerhin 14.9% Wähleranteil erreichen. Grüne Ansichten und Ideen werden es in der bevorstehenden Legislaturperiode folglich weniger oft auf die Regierungsagenda schaffen.

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Regierung widerspiegelt überwiegende Mehrheit der Wählerschaft

Als Mass der Repräsentationsgüte wird oft der Vergleich in der Regierung vertretener Parteien mit deren Wähleranteilen herangeführt. 2011 bis 2015 stellten die vier Parteien SVP, SP, FDP und Grüne sämtliche Regierungsräte. Damit waren 72.5% des Stimmvolkes in der Regierung vertreten. Durch die eben erfolgten Gesamterneuerungswahlen ist dieser Wert nur geringfügig zurückgegangen und beträgt neu 71.9%. Die neue Zusammensetzung der Regierung stimmt somit etwa zum selben Grade mit den Wähleranteilen überein wie in der Legislaturperiode 2011-2015.

 

Welche Kandidaten waren wann besonders gefragt? (Wikipedia-traffic)


 

Was die Zürcher Wahlen für die kommenden Nationalratswahlen bedeuten

Die Zürcher und Zürcherinnen haben ihre Regierung und ihr Parlament gewählt. Die Resultate sind bekannt. Doch was lässt sich aus diesen Zahlen für die Nationalratswahlen herauslesen? Der folgende Beitrag geht dieser Frage nach.

Nach den Wahlen ist bekanntlich vor den Wahlen. Dies gilt vor allem für die Zürcher Wahlen, die jeweils ein knappes halbes Jahr vor den Nationalratswahlen stattfinden. Kaum sind deshalb die Ergebnisse der Zürcher Wahl bekannt, beginnen die Spekulationen darüber, was dies für die kommenden nationalen Wahlen bedeuten könnte. Tatsächlich sind die Zürcher Wahlergebnisse eine durchaus brauchbare Prognosebasis für die jeweils ein halbes Jahr später folgenden Nationalratswahlen (siehe Box). Nur ein Beispiel: Bei den letzten neun Wahlen stimmte der Zürcher SVP-Trend mit demjenigen bei den Nationalratswahlen überein. Etwas einfacher ausgedrückt: Legte die SVP bei den Zürcher Kantonsratswahlen zu, gewann sie auch bei den Nationalratswahlen Stimmen – und zwar schweizweit [sic] und nicht bloss im Kanton Zürich. Verlor sie hingegen Wähler im Kanton Zürich (zuletzt 2011), setzte es auch bei den Nationalratswahlen eine Niederlage ab. Wie gesagt, bei den letzten neun Wahlen war dies immer so. Eine beeindruckende Trefferquote – insbesondere, wenn man bedenkt, dass sich die Prognose knapp sechs Monate im Voraus machen lässt.

Was lässt sich nun aus den Ergebnissen für die Nationalratswahlen 2015 herauslesen? Diese Frage kann (für einmal) statistisch beantwortet werden. Es braucht demnach keine wilden Spekulationen, denn es liegen «harte Fakten» vor. Diese harten Fakten bilden die Ergebnisse der Zürcher Kantonsratswahlen und der Nationalratswahlen (schweizweit) seit 1955. Unter die Lupe genommen haben wir dabei die Veränderung der Wählerstimmenanteile im Vergleich zur letzten Wahl. Es geht uns in diesem Beitrag demnach nicht um die exakten Wählerstimmenanteile, sondern in erster Linie um den Trend, d.h., legt eine Partei zu oder verliert sie Stimmen. In einem ersten Schritt haben wir ein ganz einfaches Regressionsmodell gerechnet, mit welchem wir die Prongosetauglichket der Zürcher Kantonsratswahlen für die nationalen Wahlen schätzten. Dieses Modell enthält nur zwei Variablen: Das Ergebnis bei den Kantonsratswahlen als Prädiktor und das Ergebnis bei den Nationalratswahlen als Explanandum. Zugegeben, ein sehr einfaches Modell. Aber es entspricht genau der Frage, die häufig gestellt wird: Was bedeuten die Zürcher Wahlen für die Nationalratswahlen? Auf der Grundlage dieses Modells können in einem zweiten Schritt die Ergebnisse der kommenden Herbstwahlen geschätzt werden.

Der besseren Übersicht willen, präsentieren wir zunächst einmal die Prognosen für die sieben wählerstärksten Parteien in einer Übersicht, bevor wir – weiter unten – die Trends für die einzelnen Parteien gesondert aufzeigen. Die Prognosen basieren, wie gesagt, auf den Zürcher Ergebnissen, die historisch betrachtet eine Trefferquote von rund 80 Prozent aufweisen – was notabene für eine ziemlich hohe Prognosegüte spricht. Bei der BDP und der GLP ist zu bedenken, dass uns für die Prognose gerade mal zwei (GLP) bzw. ein Wert (BDP) zur Verfügung standen. Wenn die Parteien ihre “Zürcher Form” bis zu den Herbstwahlen halten können – und das tun sie, statistisch gesprochen, auch ziemlich häufig – dann werden die FDP und die SVP zulegen, die SP bleibt stabil, die anderen Parteien verlieren.

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Die nachfolgenden Trendgrafiken zeigen im Übrigen auch an, wie verlässlich diese Schätzungen in der Vergangenheit waren. Wenn man die Schätzlinie mit dem effektiven Ergebnis vergleicht, fällt beispielsweise bei der SP auf, dass sie 1979 auseinanderfielen: Aufgrund des positiven Kantonsergebnisses in Zürich hätte unser Modell der SP damals auch einen Zuwachs an Stimmen bei den Nationalratswahlen vorausgesagt, was aber nicht zutraf. Das Modell kann sich demnach – wie jede Schätzung – auch irren. Aber bemerkenswert ist auch, dass wir bei der SP bis ins Jahr 1979 zurückgehen müssen, um eine solche Divergenz zu finden. Aber immerhin: Diese Divergenzen machen auch deutlich, dass die Ergebnisse der Zürcher Wahlen die Nationalratsergebnisse nicht in der Form eines Naturgesetzes prädeterminieren. Schliesslich verbleiben noch rund fünf Monate bis zur nationalen Wahl. Unvorhergesehenes kann noch geschehen, Trends können noch umgekehrt werden. Die GLP beispielsweise hat in der laufenden Legislaturperiode bis Anfang 2015 bei fast jeder kantonalen Wahl zugelegt, hat aber bei den letzten drei kantonalen Wahlen Stimmen eingebüsst.

Aber trotz dieser Einschränkungen ist der Kanton Zürich ein ziemlich verlässlicher Stimmungstest für die nationalen Wahlen. Nicht zuletzt deswegen, weil ein Sechstel aller nationalen Stimmberechtigten aus dem Kanton Zürich stammen. Die nachfolgenden Grafiken zeigen das auch eindrücklich. Deshalb ist eine stille Vorfreude bei den Zürcher Wahlsiegern von 2015 durchaus gerechtfertigt.

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Gibt der Kanton Zürich den Ton an? Hier geht es zum Artikel.

Hier geht es zum Media-Monitor der Regierungsratswahlen im Kanton Zürich.

Hier finden Sie Wähleranteile auf Gemeindeebene des Kantons Zürich.

Hier finden Sie alles rund um die Stimmkraftausschöpfung.

Wie die Parteistärken berechnet werden, finden Sie hier.

Gibt der Kanton Zürich den Takt vor?

Im aktuellen Jahr sind politische «Ereignisse» nicht ausschliesslich Abstimmungen, Sessionen und «Skandalen» vorbehalten. Am 29. November dieses Jahres geht die 49. Legislaturperiode zu Ende. Das bedeutet auch, dass nationale Wahlen anstehen – notabene das politische «Grossereignis» der Schweiz.

Vor dem Hintergrund der nationalen Wahlen stossen auch kantonale Wahlen auf ein erhöhtes Interesse. Obwohl im nationalen Wahljahr in vier Kantonen gewählt wird, beschränken wir uns auf den Kanton Zürich – seiner Grösse wegen. Immerhin kommt ein Sechstel aller Schweizer Stimmberechtigten aus dem Kanton Zürich. Von grossem Reiz sind dabei Spekulationen, inwiefern sich aufgrund kantonaler Wahlen Tendenzen für den kommenden Herbst ausmachen lassen. Diese Frage ist durchaus berechtigt: So hätte die Entwicklung der SP auf nationaler Ebene vor acht Jahren gut mit den Zürcher Wahlen vorausgesagt werden können. Auch das Aufkommen der GLP hat sich 2007 bereits bei den Zürcher Wahlen abgezeichnet.

Die folgenden Grafiken zeigen die Veränderungen der nationalen wie auch der kantonalen Parteistärke (Details zur Parteistärke finden Sie am Ende des Posts). Liegt ein Datenpunkt im grünen Bereich, so hat die jeweilige Partei im Vergleich zu den vorhergehenden Wahlen zugelegt. Ein Lesebeispiel: Die SP hat 1995 sowohl bei den Kantonsratswahlen Zürich (grüne Linie) wie auch bei den folgenden Nationalratswahlen (rote Linie) im Vergleich zu 1991 zulegen können. Auch 1999 war dies der Fall, jedoch waren die Gewinne weniger stark als 1995. Das wird dadurch verdeutlicht, dass sowohl die rote wie auch die grüne Linie ein Gefälle aufweisen, sich aber 1999 immer noch im grünen Bereich bewegen. Umgekehrt gilt auch, wenn ein Datenpunkt im roten Bereich zu liegen kommt, so hat die Partei Einbussen hinnehmen müssen. Weiter unten finden Sie die auch Veränderungen der Parteistärken für die kantonalen Wahlen von Baselland, Luzern und Zürich und dies immer im Vergleich zum Trend bei den darauf folgenden Nationalratswahlen im Herbst.

Veränderung der Parteistärke (SP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (SP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

 

Veränderung der Parteistärke (GLP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (GLP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

 

Veränderung der Parteistärke (GPS) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (GPS) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

 

Veränderung der Parteistärke (BDP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (BDP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

 

Veränderung der Parteistärke (FDP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (FDP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

 

Veränderung der Parteistärke (SVP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (SVP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

 

Veränderung der Parteistärke (EVP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (EVP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

 

Veränderung der Parteistärke (CVP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (CVP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

Wie die meisten Leser wahrscheinlich vermuteten, taugen die Parlamentswahlen des Kantons Zürich unterschiedlich gut für die Prognose des nationalen Trends. Für die FDP konnte der Trend in 81 Prozent oder in 13 von 16 Fällen richtig vorausgesagt werden, wobei die Trends im Jahre 1991 zum letzten Mal auseinander liefen. Auch für die SP beträgt die “Prognosegenauigkeit” 81 Prozent, jedoch liegt die letzte Abweichung zwischen den Trends deutlich weiter in der Vergangenheit zurück: 1979 legte die Partei bei den Zürcher Wahlen zu, verlor jedoch bei den folgenden nationalen Wahlen. Für die SVP gelten bereits nicht mehr solche Spitzenwerte. Nur noch in drei von vier Wahlen wiederholte sich der Zürcher Trend auch bei den nationalen Wahlen – was übrigens auch für die CVP gilt. Allerdings stimmte der Zürcher SVP-Trend bei den letzten neun Wahlen mit dem nationalen Ergebnis überein. Mit anderen Worten: Legte die SVP bei den letzten neun Wahlen in Zürich zu, gewann sie auch bei den nachfolgenden nationalen Wahlen. Verlor sie hingegen in Zürich Stimmen (wie etwa 2011), so setzte es auch bei den nationalen Wahlen eine Niederlage ab. Am wenigsten taugen die Zürcher Wahlen, wenn es um die Voraussage für den nationalen Trend der EVP geht: In nur noch 68 Prozent wäre man korrekt gelegen.

Zu guter Letzt: Die Trends der Parteistärken der neuen Mitteparteien hätte bis jetzt zu 100 Prozent korrekt vorausgesagt werden können. Was nach absoluten Spitzenwerten klingt, muss schnell relativiert werden: Es handelt sich jeweils nur um einen Fall (BDP) bzw. zwei Fälle (GLP).

Wie schneiden die Kantone Baselland und Luzern ab?

Damit wir uns nicht dem Vorwurf aussetzen müssen, nur den Kanton Zürich in Betracht zu ziehen, zeigen wir in sieben interaktiven Grafiken die Veränderung der Parteistärken pro Partei. Durch Klicken der farbigen Buttons lassen sich kantonale Parteistärken untereinander, aber auch mit der nationalen Parteistärke vergleichen. Es sei jedoch vorweg genommen, dass sich für jede Partei mindestens gleich gute Trend-Prognosen machen lassen, wenn man den Kanton Zürich als Basis nimmt. Wie dem auch sei, wir wünschen: «Gut klick!»







Hier geht es zum Media-Monitor der Regierungsratswahlen im Kanton Zürich.

Hier finden Sie Wähleranteile auf Gemeindeebene des Kantons Zürich.

Hier finden Sie alles rund um die Stimmkraftausschöpfung.

Wie die Parteistärken berechnet werden, finden Sie hier.

Zu den Wahlen im Kanton Luzern

Die Stimmberechtigten des Kantons Luzern wählen am 29. März eine neue Regierung und ein neues Parlament. Auch für die Luzerner Regierungsratswahlen haben wir einen Media-Monitor aufgeschaltet. Täglich aktualisiert zeigen wir sowohl die Aktivität der Kandidaten auf Twitter als auch die Anzahl Artikel in Printmedien, in denen die Regierungsratskandidaten zumindest einmal erwähnt wurden. Weiter stellen wir die Anzahl der Seitenaufrufe des Wikipedia-Profils der Kandidaten zur Verfügung. Anhand der aktualisierten Grafik sehen Sie, welche Kandidatin und welcher Kandidat über oder unter dem Durchschnitt liegt. Insbesondere für Twitter und Wikipedia gilt, dass nur dargestellt werden kann, was auch verfügbar ist. Einzelne Kandidaten verfügen über keinen Wikipedia-Eintrag (meist Herausforderer) oder kein Twitter-Konto (betrifft vor allem Amtsinhaber).

Hier geht es zum Media-Monitor.

 Hier finden Sie alles rund um die Stimmkraftausschöpfung.

Damit die Kantonsratswahlen nicht vergessen gehen, zeigen wir, in welcher Gemeinde die Parteien auf welche Unterstützung zählen können – dies alles auf der Basis der Kantonsratswahlen 2011. Je dunkler eine Gemeinde eingefärbt ist, desto mehr Wähler hat die entsprechende Partei in dieser Gemeinde. Unterhalb der Karten finden sich Histogramme. Diesen lässt sich entnehmen, in wie vielen Gemeinden eine Partei wie stark ist. So sieht man am Beispiel der CVP, dass die Partei in relativ vielen Gemeinden einen Wähleranteil zwischen 20 und 50 Prozent aufweist.

Wähleranteile in den Gemeinden des Kantons Luzern. Quelle: LUSTAT.
Wähleranteile in den Gemeinden des Kantons Luzern. Quelle: LUSTAT.

 

Regierungsratswahlen

Im Kanton Luzern gibt es im Gegensatz zum Kanton Basel-Landschaft nicht nur den amtlichen (leeren) Wahlzettel, sondern auch ausseramtliche Wahllisten – oft, aber nicht immer sind das «Parteilisten». Der Kantonsrat wird im Proporz, die Exekutive im Majorz gewählt. Wer im 1. Wahlgang als Regierungsrat bzw. Regierungsrätin gewählt sein will, muss mehr als 50% der gültigen Wahlzettel erzielen. Bei den Regierungsratswahlen 2011 ist das nur Guido Graf (CVP) gelungen: Seine Kandidatur erzielte auf Anhieb mehr als die im ersten Wahlgang erforderlichen 53’242 Stimmen. Für die Wahlen am 29. März 2015 haben wir eine Vorhersage aufgrund eines statischen Prognosemodells gewagt. Hier lesen Sie unsere Prognose für die Regierungsratswahlen

Parteistärke aufgrund der Kantonsratswahlen…

Vergleicht man die Parteienstärke über die Zeit, so lassen sich nationale Tendenzen auch auf kommunaler Ebene nachzeichnen. Die SVP vermochte seit 1991 aus der faktischen Inexistenz auf 22 Prozent zu wachsen, während die FDP seit 1987 kontinuierlich auf 19% geschrumpft ist. Auch im Kanton Luzern tauchen 2011 die neuen Mitteparteien auf. Im linken Lager konnte die SP das Niveau von 7 Prozent seit 1987 leicht auf 11 Prozent anheben. Die Grünen tauchen 1991 das erste Mal bei Kantonsratswahlen auf und erreichen auf Anhieb 7%.
Quellen: Bundesamt für Statistik. Eigene Darstellung.

 

… und aufgrund der Nationalratswahlen (kantonal)

Quellen: Bundesamt für Statistik. Eigene Darstellung.

 

Hier geht es zum Media-Monitor.

 Hier finden Sie alles rund um die Stimmkraftausschöpfung.

Hier lesen Sie unsere Prognose für die Regierungsratswahlen

Wie sich die Parteienstärke berechnet und weitere detaillierte Informationen rund um das Thema der Wahlen im Kanton Luzern finden Sie hier: Internetauftritt von LUSTAT.

Sind zwei einer zuviel?

Unter dem Hashtag #2von5 wirbt die SP des Kantons Basel-Landschaft für ihre beiden Regierungsratskandidaten. Doch wie erfolgreich sind Mehrfachkandidaturen im Vergleich zu Einzelkandidaturen? 

Ausgangslage

Die ersten kantonalen Wahlen im Superwahljahr 2015 finden in Baselland statt. Die Ausgangslage ist durchaus spannend. Die fünf national wählerstärksten Parteien halten jeweils einen der fünf Baselbieter Regierungssitze inne. Bei den kommenden Wahlen vom 8. Februar treten nun die vier Bisherigen der SVP, FDP, CVP und Grünen wieder an, während der bisherige SP-Vertreter Urs Wüthrich auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Der «SP-Sitz» – auf den die SP formell natürlich ebenso wenig wie alle anderen Parteien einen Anspruch hat, den sie aber seit 1925 ununterbrochen innehat – wird demnach «frei». Für diesen Sitz kandidieren nun eine zusätzliche FDP-Sprengkandidatin (Monica Gschwind) und zwei SP-Kandidaten (Regula Nebiker und Daniel Münger). Aber: Sind zwei Kandidaten derselben Partei für einen «frei werdenden» Sitz nicht einer zuviel?

Amtsinhaber werden so gut wie sicher wiedergewählt

Bevor wir uns der oben gestellten Frage zuwenden, bedarf es noch einiger Erläuterungen. Zunächst einmal werden bei Gesamterneuerungswahlen alle Regierungsräte und -rätinnen neu gewählt. Die beiden SP-Nominierten kandidieren somit nicht bloss für den Sitz des zurücktretenden Urs Wüthrich, sondern für die fünf Baselbieter Regierungssitze. Es ist demnach auch keineswegs auszuschliessen, dass beide SP-Nominierten in die Exekutive gewählt werden – zumal die SP in der Vergangenheit auch schon mit einer Doppelvertretung in der Baselbieter Regierung sass. Ein solches Szenario ist demnach möglich, aber – rein statistisch gesprochen – eher unwahrscheinlich. Warum? Das liegt am Bisherigenbonus, den Amtsinhaber im Vergleich zu neu Kandidierenden haben. Dieser Bisherigenbonus beträgt bei kantonalen Regierungswahlen in der Schweiz beinahe 20 Prozent an Wählerstimmen. Die Wiederwahlrate von Amtsinhabern ist dementsprechend hoch und beträgt 92 Prozent (2000-2014). Kurz, Bisherige werden in aller Regel wiedergewählt. Für die Baselbieter Wahlen bedeutet das nun, dass im Prinzip noch ein Sitz verbleibt – sofern alle Bisherigen bestätigt werden. Die SP-Delegierten des Kantons Baselland hatten sich nun entschieden, eine Zweierkandidatur aufzustellen. Die Frage ist nun: Schmälert eine Doppelkandidatur nicht die Erfolgschancen beider Kandidaten, weil dadurch eine Stimmenzersplitterung wahrscheinlich wird?

Die Gretchenfrage: Wie viele Kandidaten soll man nominieren?

Generell gilt: Man soll nur so viele Kandidaten aufstellen, wie man sich realistischerweise – aufgrund der Wähleranteile bzw. der «Blockstärke» – Regierungssitze zu gewinnen erhoffen darf. Eine Partei, die zu viele Kandidaten nominiert, läuft Gefahr, dass sich die Parteikandidaten am Ende gegenseitig Stimmen wegnehmen. Dass sich die Parteien zumindest näherungsweise an diese Logik halten, zeigt nachfolgende Abbildung: Es besteht – mit Ausnahme der FDP – ein starker Zusammenhang zwischen der kantonalen Parteistärke und der Anzahl nominierter Kandidaten. Je höher also der Wähleranteil einer Partei, umso mehr Kandidaten stellt sie auf. Interessant ist überdies, dass die beiden Flügelparteien SP und SVP häufiger als die beiden Mitte-Parteien auf Kandidaturen ganz verzichten. Selbst bei einem Wähleranteil von 10 Prozent (und teilweise gar mehr) kommt es bei SP und SVP vor, dass sie überhaupt keine Kandidaten nominieren.

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Boxplot zwischen der kantonalen Wählerstärke (bei den jeweiligen Kantonsratswahlen) und der Anzahl «offiziell» nominierter Kandidaten (sogenannte «wilde» Kandidaten wurden nicht berücksichtigt). Alle Majorzwahlen mit Konkurrenzcharakter zwischen 2000-2014. Wahlen, in denen eine Partei mehr als drei Kandidaten aufstellte, sind entweder zu selten für eine statistische Analyse oder haben beinahe schon den Charakter einer Proporzwahl (Kanton NE).

Aber lässt sich die grössere Wahrscheinlichkeit der Stimmenzersplitterung bei Mehrfachkandidaturen auch empirisch belegen? Wir nehmen es hier gleich vorweg: Einwandfrei belegen lässt sich das kaum. Dazu müsste man testen, wie eine Einzelkandidatur im Vergleich zu einer Doppel- (oder Mehrfach-)Kandidatur bei exakt denselben Wahlen (oder zumindest unter vergleichbaren Bedingungen) abschneidet. Deshalb ist unser Anspruch auch nicht, eine «naturwissenschaftlich» exakte, sondern bloss eine approximative Antwort auf diese Frage zu geben.

Untersuchen wollen wir, ob Neukandidierende einer Partei – es konkurrieren ja drei Neukandidierende um den frei gewordenen Baselbieter SP-Regierungssitz – besser abschneiden, wenn sie einzeln antreten als im «Doppel-» oder «Multipack». Dazu muss man aber zunächst festlegen, was unter einem «guten Abschneiden» bei Regierungsratswahlen zu verstehen ist. Wir haben das so definiert: Ein Kandidat, der von einer Partei portiert wird, soll mindestens so viele Stimmen erzielen wie seine Partei bei den (in der Regel gleichzeitig stattfindenden) kantonalen Parlamentswahlen. Das ist die untere Grenze. In der Schule würde man so ein Abschneiden mit «knapp genügend» bezeichnen. Im Prinzip darf aber von Regierungsratskandidaten erwartet werden, dass sie höhere Stimmenanteile erreichen als die Wählerstärke ihrer Partei. Zum Beispiel darf erwartet werden, dass ein SP-Kandidat auch Stimmen von grünen WählerInnen erhält. Deshalb haben wir noch eine weitere, obere Grenze definiert, die fünf Prozentpunkte über der eigenen Parteistärke liegt. Diese Grenze hat zugegebenermassen etwas willkürliches, denn ebensogut hätte man ein um zehn Prozentpunkte besseres Abschneiden als Schwellenwert definieren können. Doch für unsere Untersuchungszwecke spielt das keine entscheidende Rolle.

Die Resultate unserer Kurzanalyse sind nicht ganz so eindeutig, wie wir uns das gewünscht haben. Aber immerhin gab es bloss eine Einzelkandidatur, welche das «Plansoll» – also zumindest die Stimmen der eigenen Parteiwähler auf sich zu vereinigen – nicht erfüllte. 21 Mehrfachkandidaturen verpassten hingegen dieses Ziel. Auch wenn wir das Plansoll – wie oben geschildert – um fünf Prozentpunkte anheben, so schneiden Einzelkandidaturen tendenziell besser ab als Mehrfachkandidaturen. Wer überdies in der interaktiven Grafik die Option «Parteien» anwählt, wird feststellen, dass sich «Over-» und «Underachiever» ziemlich gleichmässig zwischen den Parteien verteilen.

Ein gutes Beispiel…

Als Exempel dienen der erste und zweite Wahlgang der Luzerner Regierungsratswahlen 2003. Hier liegt kein echtes Quasi-Experiment vor, aber immerhin eines, dass diesen Anforderungen nahe kommt. Im ersten Wahlgang traten beispielsweise vier Neukandidierende der SVP an. Das beste Ergebnis von ihnen erzielte Räto Camenisch mit rund 21 Prozent Stimmenanteilen (Wählerstärke SVP LU 2003: 19.9%). Weil kein einziger Kandidat das absolute Mehr im ersten Wahlgang erzielte, fand wenig später der zweite Wahlgang unter grundsätzlich ähnlichen Bedingungen (und ähnlicher Wahlbeteiligung) statt. Die SVP schickte nur noch einen Kandidaten (Camenisch) ins Rennen. Er wurde zwar nicht gewählt, aber erzielte immerhin 31.3 Prozent Wählerstimmen, mithin also 10 Prozent mehr als im ersten Wahlgang.

… mit Grenzen

Aber: Dass Mehrfachkandidaturen nicht zwingend schlechter sein müssen als Einzelkandidaturen, versteht sich von selbst. Schliesslich geht es bei den Exekutivwahlen ja auch (und vor allem) um Persönlichkeiten. Dies belegen auch die Glanzresultate, die von “Neulingen” erzielten wurden, welche Teil eines Mehrfachtickets waren. Ein Beispiel: Heidi Z’graggen (CVP, UR) trat 2004 als Neukandidierende an den Urner Regierungsratswahlen an und liess dabei zwei bisherige CVP-Kandidaten hinter sich. Sie erreichte einen Stimmenanteil von 78 Prozent, obwohl ihre Partei «nur» 45 Prozent der Parlamentsmandate hielt (siehe Box).

Alles in allem scheinen Kandidaten, die Teil eines Mehrfachtickets sind, im Schnitt etwas schlechter abzuschneiden als Einzelkandidaten. Aber was heisst in diesem Zusammenhang schon «im Schnitt»? Es heisst bloss, dass Einzelkandidaten ceteris paribus voraussichtlich mehr Stimmen machen, als wenn sie Teil eines Mehrfachtickets sind. Für selbstbewusste Kandidaten ist das kein Grund für schlaflose Nächte: Denn «starke» Kandidaten setzen sich so oder so durch, nur bei «durchschnittlichen» Kandidaten könnte die Stimmenzersplitterung unter Umständen den Ausschlag geben (siehe hierzu das famose “prize fighter”-Argument von John Zaller).   

 von Thomas Milic


Berechnung der kantonalen Parteistärken

Für die Berechnung der kantonalen Parteistärken wurden in aller Regel die bei den jeweiligen Kantonsratswahlen erzielten Stimmenanteile verwendet. In gewissen Kantonen – Uri, aber auch GR, AI und AR – finden (bzw. fanden) jedoch in vielen (oder allen) Wahlkreisen Majorzwahlen statt, was eine Ermittlung der Parteistärken verunmöglicht (bzw. erheblich erschwert). Für den Kanton Uri liegen erst ab 2008 solche Parteistärken vor. Wir haben in solchen Fällen die Mandatsanteile im Parlament verwendet.

One man, too many votes

Für die Wahl in den Zürcher Regierungsrat genügte es bei den letzten drei Gesamterneuerungswahlen, auf knapp einem Drittel der Wahlzettel gelistet zu sein. Die Schwelle lag somit deutlich tiefer als zum Beispiel in den Kantonen Glarus oder Appenzell Ausserrhoden und weit entfernt von der 50%-Hürde. Das liegt daran, dass auf den Zürcher Wahlzetteln im Schnitt mehr als zwei Zeilen leer blieben.   

Bereits grüssen bekannte, aber auch weniger bekannte Politikergesichter von den Zürcher Plakatwänden. Der Grund dafür sind die Regierungsratswahlen, die im April anstehen. Bis dann werden die Parteien versuchen, ihre Kandidaten dem Elektorat mit Namen bekannt zu machen. Denn den Zürcher Wahlberechtigten wird für die Exekutivwahlen ein Wahlzettel mit sieben leeren Zeilen zugesandt. Wer diesen leeren Wahlzettel ausfüllen möchte, muss wissen, wie die (wichtigsten und chancenreichsten) Kandidatinnen und Kandidaten mit Namen heissen. Diese Namen bekannt zu machen, ist das primäre Ziel der inzwischen angelaufenen Kandidatenkampagnen. Aber gelingt das den Kampagnen auch bzw. in welchem Masse? Oder anders gefragt: In welchem Ausmass schöpfen die Wähler und Wählerinnen ihre Stimmkraft aus?

Manch einer mag an dieser Stelle einwenden, dass diese Problemstellung rein akademischer oder gar nur statistischer Natur ist. Das ist falsch. Im Kanton Zürich (und zehn weiteren Kantonen) wird das absolute Mehr, welches man im ersten Wahlgang zwingend erzielen muss, um gewählt zu werden, nicht auf der Basis der gültigen Wahlzettel, sondern der gültigen Stimmen berechnet. Einfacher ausgedrückt: Für die Berechnung des absoluten Mehrs werden in Zürich die leeren Zeilen – dann also, wenn ein Wähler seine Stimmkraft nicht voll ausschöpft – nicht berücksichtigt. Bei den letzten drei Zürcher Gesamterneuerungswahlen reichte es deshalb aus, wenn der Name im Schnitt etwa auf einem Drittel (32.2%) der Wahlzettel stand.

Die nachfolgende Abbildung macht deutlich, dass in den meisten Kantonen, welche denselben Berechnungsmodus anwenden wie Zürich, Kandidierende auf weniger als 40 Prozent der Wahlzettel gelistet sein müssen, um das erforderliche Mehr zu erzielen (hier geht es zur Version der Grafik für mobile Geräte).

Beispiel Kanton Schwyz

Welchen Effekt ein Systemwechsel bei der Berechnung des absoluten Mehrs haben kann, zeigt das Beispiel des Kantons Schwyz. Bis im Jahr 2005 galt dort der auf den Wahlzetteln beruhende Modus zur Berechnung des absoluten Mehrs.[1] Bei den letzten, nach diesem Berechnungsverfahren durchgeführten Wahlen vom 28. März 2004 erreichte keiner der 9 Kandidaten das erforderliche Mehr im ersten Wahlgang. Ein zweiter Wahlgang war nötig. Bei den Wahlen vom 16. März 2008 wurden erstmals nur noch die gültigen Kandidatenstimmen berücksichtigt. Als Folge davon halbierte sich der Schwellenwert des absoluten Mehrs beinahe und zwar auf 28.7 Prozent aller gültigen Wahlzettel. Dieses Mehr erreichten alle neun angetretenen Kandidaten. Ein zweiter Wahlgang war 2008 nicht mehr nötig.

Das erforderliche Mehr ist von der Stimmkraftausschöpfung abhängig

Das absolute Mehr, wie es in Zürich ermittelt wird, ist von der Stimmkraftausschöpfung abhängig. Würden beispielsweise alle Wähler und Wählerinnen exakt sieben Namen auf den leeren Wahlzettel schreiben, würde die Höhe des absoluten Mehrs 50 Prozent (+1) der Wahlzettel betragen. Bei den Zürcher Wahlen 2003 und 2007 hätten das nur jeweils drei Kandidaten, in 2011 gar nur ein Kandidat (Mario Fehr, SP) erreicht. Stets wäre in einem solchen hypothetischen Fall ein zweiter Wahlgang nötig gewesen. Kurz, die Stimmkraftausschöpfung entscheidet darüber (mit), ob ein zweiter, kostspieliger Wahlgang nötig ist.

Vergleicht man die Stimmkraftausschöpfung zwischen den Kantonen (AI und TI wurden ausgeschlossen), so zeigen sich teilweise drastische Unterschiede. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden werden die Stimmzettel fast gänzlich ausgefüllt (bzw. es werden die gedruckten ausseramtlichen Wahlzettel unverändert eingelegt), während im Kanton Wallis mehr als die Hälfte der Linien auf dem Wahlzettel leer bleiben. Auffallend ist auch, dass in einigen Kantonen die Stimmkraftausschöpfung von Wahl zu Wahl stark variiert (zum Beispiel im Kanton Neuenburg), während sie in anderen Kantonen stets etwa gleich hoch ist (Kanton Glarus). Der Kanton Zürich rangiert dabei im Mittelfeld mit vergleichsweise konstanten Werten von etwas über 60 Prozent. Nachfolgender Boxplot zeigt den Median, das untere und obere Quartal sowie (allfällige) Ausreisser.

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Stimmkraftausschöpfung bei kantonalen Exekutivwahlen nach Majorz (2000-2014). Quelle: Eigene Daten und Berechnungen.

Unterschiedliche Arten von Wahlzettel

Woran liegt es, dass die Appenzeller den Wahlzettel derart gewissenhaft bis (fast) zur letzten Zeile ausfüllen, während etwa die Walliser die Hälfte der Zeilen leer lassen? Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen, angefangen mit dem kantonalen Wahlrecht, der Form der Wahlzettel (ausseramtliche oder leere Wahlzettel), dem Informationsmaterial, welches dem Wahlmaterial beigelegt wird, der Konkurrenzsituation, etc. Darauf werden wir in einem späteren Post vertiefter eingehen. Einstweilen möchten wir aber auf gewisse kantonale Eigenheiten hinweisen: Innerhalb eines Kantons variieren die Werte in Neuenburg am stärksten. Das liegt hauptsächlich daran, dass im Kanton Neuenburg ausseramtliche Wahlzettel zugelassen sind. Diese sind in der Regel «Parteilisten» (oder allenfalls «Parteiverbindungen» im Sinne eines Tickets wie man es etwa von Ständeratswahlen kennt), in denen die Namen der Parteikandidaten bereits vorgedruckt sind. Eine Parteisympathisantin kann diesen vorgedruckten Wahlzettel unverändert in die Wahlurnen einlegen, was sie/er auch häufig tut. In solch einem Fall ist die Stimmkraftausschöpfung ganz einfach davon abhängig, wie viele Namen auf diesen vorgedruckten Wahlzetteln stehen. Diese Zahl variiert in Neuenburg nun ziemlich stark. In ersten Wahlgängen kandidieren zuweilen 30 Kandidaten für die fünf Regierungssitze. Es gilt ausserdem das absolute Mehr, das kaum jemand schon im ersten Wahlgang erzielt. Die vorgedruckten Wahlzettel enthalten somit häufig auch fünf Kandidatennamen. In zweiten Wahlgängen ist das absolute Mehr nicht mehr erforderlich. Das Kandidatenfeld lichtet sich deshalb auch stark, denn es empfiehlt sich, nur so viele Kandidaten vorzuschlagen, wie man realistischerweise Sitze zu gewinnen erhofft. Und als Folge davon enthalten die vorgedruckten Wahlzettel auch nur noch drei oder vier Kandidatennamen.

Beispiel Kanton Wallis

Nirgendwo werden Wahlzeilen so häufig leer gelassen wie im Kanton Wallis. Hier trifft der obige Titel “one man, too many votes”, der sich am berühmten Slogan “one man, one vote” anlehnt, demnach am ehesten zu. Der Grund hierfür sind wiederum die ausseramtlichen Wahlzettel, die im Wallis erlaubt sind. Die Walliser Parteien legen dem Wahlmaterial ihre vorgedruckten Wahlzettel bei, die – wie etwa bei den Staatsratswahlen 2013 – häufig nur einen Namen aufweisen. Wird ein solcher Wahlzettel unverändert eingelegt, beträgt die Stimmkraftausschöpfung gerade mal 20 Prozent. Interessant ist in diesem Zusammenhang zudem, dass im Kanton Wallis aussergewöhnlich viele ungültige Wahlzettel eingelegt wurden. Der häufigste Grund für die Ungültigerklärung: Es wurden mehrere vorgedruckte Wahlzettel gleichzeitig eingelegt. Zum Beispiel: die Liste der SVP (einziger Kandidat 2013: Oskar Freysinger) und die Liste der SP (einzige Kandidatin 2013: Esther Waeber-Kalbermatten). Zugegeben, diese Kombination – SVP und SP – ist wohl eher selten so eingeworfen worden, aber im Prinzip wäre der Wählerwille in solch einem Fall weiterhin erkennbar und die Stimmkraftausschöpfung würde steigen. Doch das Einlegen zweier Listen (auch wenn sie die Maximalzahl der zu wählenden Kandidaten nicht übersteigt) ist im Kanton Wallis nicht gültig (siehe hierzu diesen Artikel im Walliser Boten). Dies ist wohl ein weiterer Grund für die tiefe Stimmkraftausschöpfung im Wallis.

Schweizer Meister in der Stimmkraftausschöpfung: Der Kanton Glarus

Weil die Form der Wahllisten offenbar einen starken Einfluss auf die Stimmkraftausschöpfung ausübt, folgt nachstehend noch eine Abbildung derjenigen Kantone, die weder ausseramtliche Wahlzettel noch Kandidatenlisten zum Ankreuzen kennen.

 

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Stimmkraftausschöpfung bei kantonalen Exekutivwahlen nach Majorz und mit ausschliesslich leeren Wahlzetteln (2000-2014). Quelle: Eigene Daten und Berechnungen.

Selbst wenn man Kantone mit ausseramtlichen «Parteilisten» und Kandidatenlisten zum Ankreuzen nicht berücksichtigt, ergeben sich immer noch erhebliche Unterschiede. Spitzenreiter ist dabei der Kanton Glarus mit einer Stimmkraftausschöpfung von rund 90 Prozent. Die Glarner Wähler und Wählerinnen erhalten jedoch nur einen leeren Wahlzettel, kein zusätzliches Informationsmaterial. Und trotzdem bleiben im kleinen Landsgemeindekanton kaum welche Zeilen auf dem Wahlzettel leer. Ob es dafür nebst dem anekdotischem Beweismaterial auch noch systematische und empirisch überprüfbare Gründe gibt, wollen wir in einem späteren Post erläutern.

von Thomas Milic (und Basil Schläpfer)

[1] § 41 des Gesetzes über die Wahlen und Abstimmungen des Kantons Schwyz wurde am 23.11.2005 geändert.

 

Berechnung der Stimmkraftausschöpfung

Bei den kantonalen Exekutivwahlen besitzt jeder Wähler und jede Wählerin so viele Stimmen wie Regierungssitze zu vergeben sind. In dreizehn Kantonen sind dies sieben, in den anderen dreizehn Kantonen fünf Stimmen. Diese sieben bzw. fünf Stimmen stellen das individuelle Stimmenpotenzial dar. Dieses muss nicht vollständig ausgeschöpft werden. Der Wahlzettel kann auch nur zu einem Teil ausgefüllt werden (bzw. es ist auch möglich, einen gänzlich leeren Wahlzettel einzuwerfen). Uns interessiert nun ebendiese Zahl, d.h., wie viele gültige Namen durchschnittlich auf den Wahlzettel geschrieben werden. Weil die Zahl der Regierungssitze zwischen den Kantonen variiert, haben wir in der Folge nicht die Zahl der Stimmen pro Wähler ausgerechnet, sondern den Anteil Stimmen in Prozent. Die Referenzgrösse bildeten dabei die gültigen, materiellen Wahlzettel. Mit anderen Worten wurden nur diejenigen als Wähler bzw. Wählerinnen berücksichtigt, welche einen gültigen Wahlzettel eingeworfen haben, der zumindest einen Kandidatennamen enthielt. Dies entspricht im Schnitt 96 Prozent aller Teilnehmenden (2000 – dato), demnach einer überwältigenden Mehrheit aller Teilnehmenden.

Berechnung der massgebenden Stimmen

Der Anteil Stimmen pro Wähler errechnet sich als Anteil massgebender Stimmen pro gültigem Wahlzettel. Diese Zahl ist nicht notwendigerweise identisch mit der durchschnittlichen Zahl der Namen, welche ein Wähler auf den Stimmzettel notierte. Aus zwei Gründen: Zunächst bilden nicht die Wähler, sondern die gültigen Wahlzettel den «Nenner». Anzahl Wähler und Anzahl gültige Wahlzettel sind in der Regel fast gleich hoch, aber nicht identisch. Hinzu kommt, dass in einer gewissen Zahl von Kantonen Wahlvorschläge verbindlich sind. Nicht in Zürich, hier ist jede stimmberechtigte Person, die ihren politischen Wohnsitz im Kanton Zürich hat, wählbar. Man kann sich somit selbst auf den Wahlzettel schreiben. Bei den Regierungsratskandidaten darf man im Übrigen davon ausgehen, dass sie genau dies tun: nämlich sich selbst auf den Wahlzettel aufführen. Doch auch die Autoren dieses Beitrags könnten dies in Zürich tun. Gewiss, ihre Chancen, die Wahlen zu gewinnen, sind annähernd Null, aber diese Stimmen würden als gültige Stimme zählen (und würden notabene für die Berechnung des absoluten Mehrs einfliessen). Dies ist aber nicht in allen Kantonen so. Im Kanton Solothurn beispielsweise sind Wahlvorschläge verbindlich, d.h. nur Kandidaten, die sich innerhalb einer bestimmten Frist angemeldet haben und von mind. 100 Stimmberechtigten «vorgeschlagen» wurden, können gewählt werden. Wer sich also im Kanton Solothurn selbst auf den Wahlzettel schreibt (und kein «vorgeschlagener» Kandidat ist), gibt eine ungültige Einzelstimme ab. Diese ungültigen Stimmen wurde im vorliegenden Beitrag zur Berechnung der Stimmkraftausschöpfung nicht berücksichtigt. Wie wir meinen, zu Recht. Denn, wer eine ungültige Stimme abgibt, schöpft seine Stimmkraft nicht aus – ungeachtet dessen, dass exakt dieselbe Vorgehensweise in einem anderen Kanton nicht sanktioniert wird.