Warum schneidet die SVP immer so schlecht ab bei den Ständeratswahlen, obwohl sie bei den Nationalratswahlen mit Abstand die stärkste Partei ist? Und warum trifft dies bei der SP nicht zu, obwohl sie, wie die SVP, eine Polpartei ist? Die Masterarbeit von Benjamin Schlegel zu den Ständeratswahlen 2015 ist zu interessanten Ergebnissen gekommen.
Man könnte meinen, die Parteien im Bürgerblock würde sich bei den Ständeratswahlen gegenseitig unterstützen. Dem ist aber nicht so. Personen, welche die FDP-Liste bei den Nationalratswahlen 2015 eingelegt haben, unterstützen ihre eigene Partei am stärksten. Soweit so gut. An zweiter Stelle kommt nun aber nicht die CVP oder SVP, wie man denken könnte, sondern die SP, die 15.5 Prozent der FDP-Stimmen erhielt. An die CVP-Ständeratskandidaten gingen hingegen nur gerade 12.1 Prozent der Stimmen.
Nicht nur bei der FDP punktet die SP
Das Gleiche gilt auch für die CVP-Basis, die schweizweit gesehen der SP gegenüber der FDP den Vorzug gaben bei der Wahl des Ständerates. Ebenso trifft das auf die BDP- und GLP-Basis zu, wo die SP ebenfalls bereits an zweiter Stelle kommt. Von den Grünen und den Sozialdemokraten bekamen die SP-Kandidaten nochmals viele Stimmen dazu. Nur bei der SVP-Basis konnten die SP-Ständeratskandidaten kaum punkten.
SVP-Kandidaten bekommen von anderen Parteien keine Unterstützung
Anders sieht es bei den SVP-Kandidaten aus. Die FDP-Basis unterstützte SVP-Ständeratskandidaturen erst an vierter Stelle (ca. 10.5% der Stimmen) und die Unterstützung aus der CVP ist quasi inexistent (3.5% der Stimmen).
Ursachenforschung bei der SVP…
Was sind die Ursachen für diese extreme Differenz zwischen SVP und SP? Bei der Tamedia-Nachwahlbefragung konnten die Umfrageteilnehmer aus mehreren Gründen auswählen, welche für sie entscheidend waren. Zur Auswahl standen die Persönlichkeit des Kandidaten, die Parteizugehörigkeit, das politische Profil, das Geschlecht, die Amtsführung, Kompetenz oder ein anderer Grund.
Hat ein Wähler als Wahlgrund die politische Position oder die Parteizugehörigkeit eines Kandidaten angegeben, so war seine Wahrscheinlichkeit, dass er einen SVP-Ständeratskandidaten unterstützte grösser, als wenn für ihn keiner dieser Gründe entscheidend waren.
Die Kompetenz hingegen wurde kaum als Grund bei der Wahl eines SVP-Kandidaten angegeben. Da die Mitte-Wähler in der Regel die Position der SVP nicht teilen, gaben sie ihnen auch keine Stimme.
Die SVP schneidet bei den Ständeratswahlen so schlecht ab, weil die Wähler ihre Kandidaten und Kandidatinnen in erster Linie als Parteisoldaten sehen und sie deshalb hauptsächlich von ihrer eigenen Basis gewählt werden. Die extremen Positionen und die stramme Parteiführung bringt zwar Vorteile für die Nationalratswahlen, scheint sich aber bei den Ständeratswahlen nicht auszuzahlen.
… und bei der SP
Anders sieht es bei den SP-Ständeratskandidaten aus. Bei diesen waren die Gründe Kompetenz und Persönlichkeit ausschlaggebend für einen Grossteil der Wählerinnen und Wähler. Aus diesem Grund wurden sie auch von vielen Mitte-Wählern unterstützt, da die Wähler nicht das politisches Profil des Kandidaten vor Augen hatten, sondern seine Persönlichkeit und Kompetenz. Und dies über alle Partei-Basen hinweg.
Der SP gelingt es also im Unterschied zur SVP ihre Kandidaten als kompetente Persönlichkeiten zu vermarkten und schneidet deshalb bei den Ständeratswahlen überdurchschnittlich erfolgreich ab.
Die Tamedia-Nachwahlbefragung wurde von Sotomo im Auftrag von Tamedia durchgeführt. Die Umfrage fand am Wahlwochenende der National- und Ständeratswahlen im Oktober 2015 statt. Fast 40’000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben die Umfrage online ausgefüllt. Die Daten wurden anschliessend nach Kanton, Alter, Bildung sowie dem Entscheidungsverhalten bei vergangenen Wahlen und Abstimmungen gewichtet.
Der Wählerfluss (von den Nationalratswahlen zu den Ständeratswahlen) wurde mit einer gewichteten Häufigkeitstabelle berechnet. Welche Gründe für die Wahl entscheidend waren, wurde mithilfe einer multinomialen Regression eruiert.
Alle scheinen sich einig zu sein: Social Media sind ein wichtiges Werkzeug für Politikerinnen und Politiker, Campaigner und sogar Bundesräte. Doch wozu ist Social Media wirklich gut? Sind die Netzwerke mehr als ein Marketingtool und taugen sie sogar für Prognosen? Für den Monat September hat Bruno Wüest das Netzwerk Schweizer Politiker unter die Lupe genommen.
Die zentralsten Nutzer von Twitter
Welche Schweizer Politiker sind besonders zentral? Bruno Wüest hat sich dieser Frage angenommen und die Schweizer Politiker auf Twitter untersucht.[2,3] Daraus ist die untenstehende interaktive Grafik entstanden. Erstens fällt auf, dass es sehr wenige Akteure mit einer hohen Zentralität gibt. Der grösste Teil der politischen Twitter-Nutzer folgt nur sehr wenigen Accounts und hat selbst wenige Follower. Zudem lässt sich die Wichtigkeit eines Akteurs nicht immer mit der Gesamtzahl Follower feststellen, wie das Beispiel von Arnaud Bonvin zeigt. Mit relativ wenig Followern ist er trotzdem für das Twitter-Netzwerk der Schweizer Parteien sehr zentral. Interessant ist zudem, dass unter den am besten vernetzten PolitikerInnen überaus häufig FDP-Accounts sind (Chrisitian Wasserfallen, Claudine Esseiva, Arnaud Bonvin, Christa Markwalder und der nationale FDP-Account FDP.DieLiberalen). Die FDP versteht es offensichtlich am besten, sich auf Twitter zu vernetzen. Andere Accounts wie derjenige von Cédric Wermuth und Nathalie Nickli, welche in früheren Analysen noch obenaus geschwungen sind, haben deutlich an Wichtigkeit verloren.[4]
Entwicklungen im Vergleich zum Vormonat
Wenn die Entwicklung der «Follower» an der Zahl zu Beginn des Monates gemessen wird, dann bilden wieder die glp und die SP die Schlusslichter.[5] Die Septemberabstimmungen scheinen keine nennenswerte Entwicklung verursacht zu haben. Die EVP, die CVP, die EVP und die FDP sind ähnlich stark gewachsen, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau.
Die Grünen und die BDP legen prozentual am meisten zu, was im Falle von ersteren mit der Initiative «Grüne Wirtschaft» zusammenhängen dürfte. Interessant wird im Zusammenhang mit der Grünen Partei sein, ob sich der Abstimmungskampf im Vorfeld der Atomausstiegsinitiative (27. November 2016) in der Entwicklung der Followerzahlen niederschlägt.
Facebook
Auf Facebook sieht die Lage anders aus. Gemessen an der Anzahl «Likes» zu Beginn des Monates haben die BDP, die glp, die CVP und die Grünen am wenigsten zugelegt. Das Wachstum der SP ist wieder auf ein normales Niveau gefallen, während die SVP prozentual am stärksten gewachsen ist und sich damit wieder stärker von der SP abzusetzen vermag.
Wrap-Up: Zu Beginn jedes Monats veröffentlichen wir die aktuelle Entwicklung der «Likes» und «Followers» der nationalen Parteiaccounts auf Twitter und Facebook. Natürlich sind diese Zahlen mit Vorsicht zu geniessen. So bedeutet eine hohe Anzahl von «Likes» zum Beispiel noch nicht, dass eine Partei besonders gut über den eigenen Tellerrand hinaus «mobilisiert». Es kann auch sein, dass das Netzwerk einer Partei einfach grösser ist als das einer anderen Partei. Dennoch weisen die absoluten Zahlen zumindest auf das Potential von Viralität hin.
[2] Die vollständige Analyse von Bruno Wüest finden Sie auf seiner Homepage.
[3] Wer ist zentral und was ist Zentralität überhaupt? Zentralität lässt sich auf viele Arten feststellen. Die folgende Grafik stützt sich dafür auf die Eigenwert- und Betweenness-Zentralität. Twitter-Akteure mit einem hohen Eigenwert haben viele Friends und Follower, und deren Friends und Follower haben wiederum viele Friends und Follower und so weiter und so fort – bis zum Rand des Netzwerkes. Die Betweenness-Zentralität hingegen entspricht der Anzahl kürzester Verbindungen zwischen allen Usern, die über den betrachteten Akteur führen. Ein Akteur mit einer hohen Betweenness-Zentralität verbindet viele andere Nutzer miteinander auf direktem Weg. Weil die Eigenwert-Zentralität auf die Accounts fokussiert und die Betweenness-Zentralität die Verbindungen berücksichtigt, ergänzen sich die beiden Analysen gut zu einem Gesamtbild. Zusätzlich ist die Anzahl Followers in der Grösse der Punkte dargestellt. Alle Angaben sind mit einer Aktivierung durch den Mauszeiger ersichtlich.
[4] Den Beitrag zur Schweizer Tweetokratie finden Sie hier.
[5] Die Beobachtungsperiode startet am 1.9.2016 und endet am 31.9.2016.
Die Anhänger der Schweizer Polparteien SP und SVP unterscheiden sich fundamental: Während bei Kernthemen SP-Sympathisanten in Scharen zu den Gegnern überlaufen, kann die SVP bei ihren Hauptanliegen auf Unterstützung der Basis zählen.
Die SP hat ein Problem. Bei eigenen oder generell linken Initiativen stimmen ihre Anhänger oft nicht parteikonform. Das heisst, das Abstimmungsverhalten der Parteibasis weicht stark von der nationalen Parteiparole ab. Das gilt vor allem für die eigentlichen Kernthemen der SP: Wirtschafts- und Sozialfragen.
Bei der 1:12-Initiative hielten sich beispielsweise lediglich etwa zwei von drei SP-Sympathisanten und bei der Mindestlohn- und der Gesundheitsinitiative sogar nur etwas mehr als jeder Zweite an die Parole der Partei. Obwohl die SP-Spitze auf einer Linie war. Ein interner Zwist erklärt die Abweichung nicht. Bei den drei Abstimmungen wich keine einzige kantonale Sektion von der nationalen Empfehlung ab. Trotzdem liefen die SP-Anhänger in Scharen ins Lager der Gegner über.
Abstimmungen sind ein Stimmungstest. Sie zeigen, wie sehr die Wählerschaft der eigenen Parteilinie folgt – oder eben nicht. Die Parteilinie wird dabei durch die Abstimmungsparole vorgegeben. Die Parolen widerspiegeln aber primär die Haltung der Parteieliten und nur beschränkt jene der Parteibasis. Wie die Basis über eine Sachfrage denkt, zeigt sich erst am jeweiligen Abstimmungssonntag. Die Abstimmungsforschung in der Schweiz hat gezeigt, dass Parteisympathisanten sich zwar oft an der Parole ihrer bevorzugten Partei orientieren, aber längst nicht immer.
Während die SP Mühe hat, die Basis bei eigenen Anliegen auf der Parteilinie zu halten, ist die Stimmdisziplin hoch, wenn es sich um rechte Initiativen oder Referenden handelt. Gegen den politischen Gegner sind die Reihen geschlossen und SP-Sympathisanten weichen kaum von der Parole ab, wenn Anliegen aus rechten Kreisen, vor allem der SVP kommen. Ergreift die SP aber zu gleichen Themen ein Referendum – zum Beispiel gegen eine Verschärfung des Ausländer- oder Asylrechts, bröckelt dieser Zusammenhalt bereits wieder. Die SP braucht offenbar ein klares «Feindbild», um einheitlich zusammenzustehen.
Im Gegensatz zur SP hat die SVP wenig Probleme, ihre Sympathisanten bei Kernfragen auf Kurs zu halten. Bei Abstimmungen über eigene Initiativen in der Ausländer- und Aussenpolitik sind die Annahmeraten bei der SVP-Wählerschaft fast schon phänomenal hoch. Das gilt auch dann, wenn die SVP Referenden in diesem Themenbereich ergreift.
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Bei linken Referenden im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik hat die SVP hingegen Mühe, ihre Basis von der Parteimeinung zu überzeugen – genauso wie die SP, aber mit umgekehrten Vorzeichen. Dies hat beim Elektrizitätsmarktgesetz (EMG) zur verblüffenden Situation geführt, dass SVP-Anhänger das Liberalisierungsprojekt stärker bodigten als SP-Anhänger. Bei anderen linken Referenden wie dem BVG-Umwandlungssatz oder den Öffnungszeiten der Tankstellenshops lagen die Nein-Anteile von SP- und SVP-Anhängern zumindest nahe beieinander.
Gering ist die Parolenkonformität bei der SVP ausserdem bei Abstimmungen, bei denen alle grösseren Parteien dieselbe Parole wie die SVP fassen. Während sich die anderen Wählerschaften meistens an diese Empfehlung halten, weichen die SVP-Wähler vergleichsweise oft davon ab.
Die Gründe dafür sind im gesellschaftlichen Strukturwandel und der Veränderung der Parteienlandschaft zu suchen. Die tieferen Einkommensschichten, einst die treue Klientel der Sozialdemokratie, wählen heute häufiger SVP als SP.[1] Sie tun dies nicht wegen, sondern trotz der Sozialpolitik der SVP. Denn ausschlaggebend für die Wahl einer Partei ist bei den Büezern nicht etwa die Sozialpolitik, sondern immer häufiger die Ausländer- und Aussenpolitik.
Die Wählerschaft der SP wiederum setzt sich zu einem erheblichen Anteil aus sogenannten «sozio-kulturellen Spezialisten» zusammen. Dies sind beispielsweise Lehrerinnen und Lehrer, Journalisten und Journalistinnen oder im Gesundheits- und Sozialwesen tätige Personen. Diese Berufskategorien wählten früher noch stärker bürgerlich. Mittlerweile wählen sie meist links, hauptsächlich aufgrund ihrer gesellschaftspolitischen Überzeugungen.
Weil viele SP-Wählende mittlerweile zu den besser Verdienenden zählen, unterscheiden sich ihre materiellen Interessen zudem zusehends von der offiziellen Sozial- und Wirtschaftspolitik der SP, was die Partei bei eigenen Initiativen vor Probleme stellt. Die Gefolgschaft bröckelt.
Dieser Artikel wurde als Gastbeitrag auf dem Datenblog des Tages-Anzeiger veröffentlicht.[2]
Wie fast immer bei Datenauswertungen handelt es sich um eine Abstraktion der Realität, welche mit gewissen Unsicherheiten einhergeht. Folgende Punkte sollten Sie auf jeden Fall beachten:
Berücksichtigt wurden alle Vox-Umfragen seit 1999.
Wie immer bei Umfragen handelt es sich bei den ausgewiesenen Werten um Schätzungen. Schätzungen sind aber mit Unsicherheiten behaftet. Eine relevante Kennzahl ist dabei die Fehlermarge. Diese ist von verschiedenen Parametern abhängig und beträgt für die hier untersuchten Fälle durchschnittlich etwa acht Prozentpunkte.
Wenn Sie die Fehlermarge kennen, können Sie das Intervall, in welchem der reale Wert mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent liegt, ausrechnen. Dazu addieren sie die Fehlermarge zum ausgewiesenen Schätzwert, womit sie die Obergrenze des 95-Prozent-Vertrauensintervalls erhalten. Anschliessend subtrahieren sie die Fehlermarge vom Schätzwert und erhalten die entsprechende Untergrenze.
Die Fehlergrenze variiert zwischen den einzelnen Abstimmungen. Wir bitten Sie deshalb, die jeweiligen Werte zur Kenntnis zu nehmen. Diese erfahren Sie, wenn Sie über die Schätzpunkte in der interaktiven Grafik fahren.
Die Einteilung der einzelnen Vorlagen in ein Politikfeld beruht auf der Arbeit von Politikwissenschaftler Hans-Peter Kriesi. Wir haben diese Einteilung vereinfacht, indem wir einzelne Kategorien zusammengelegt haben.
Am 14. Juni 2015 hat das Schweizer Stimmvolk wiederholt über eine von linker Seite vorgeschlagenen Steuerreform zu entscheiden. Die letzten fünf wirtschaftspolitischen Initiativen aus dem linken Lager sind allesamt gescheitert, zum Teil überaus deutlich. Selbst das eigene Lager stand nur mässig hinter den Begehren. Was bedeutet das für die indirekten Wirkungen, die man mit solchen Initiativen oftmals zu erzielen versucht?
Am 14. Juni 2015 hat das Schweizer Stimmvolk über die Volksinitiative «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV» (nachfolgend kurz: Erbschaftssteuerinitiative) zu befinden. Zum wiederholten Male innert wenigen Jahren wird damit über eine steuerpolitische Vorlage aus dem linken Lager entschieden. Zwar geht es bei der Erbschaftssteuerinitiative nicht um eine nationale Harmonisierung der Einkommens- und Vermögenssteuer (wie bei der Steuergerechtigkeitsinitiative 2010) und auch nicht um eine Abschaffung der Aufwandbesteuerung (Pauschalbesteuerungsinitiative 2014), sondern um die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer. Diese sei aber kein linkes, sondern vielmehr ein urliberales Anliegen, argumentieren die Befürworter.[2] Es fördere das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit, welches doch einer der Grundpfeiler des liberalen Programms sei.
Das Buhlen um die Stimmen der liberalen Wähler und Wählerinnen scheint bislang ohne Erfolg geblieben zu sein. Vielmehr sieht es so aus, als ob der Erbschaftssteuerinitiative das gleiche Schicksal droht wie anderen, von vornherein als linke Projekte deklarierten Steuerreformen der jüngeren Vergangenheit. Die Vorumfragen von 20 Minuten und gfs.bern (siehe nachfolgende Abbildungen) deuten auf jeden Fall auf eine klare Ablehnung hin. Sollte die zweite Umfrage von gfs.bern den klassischen Trend von sinkenden Zustimmungsraten bei linken wirtschaftspolitischen Initiativen stützen, ist sogar ein ähnliches Debakel wie bei der Mindestlohninitiative zu erwarten [3]. [Update: Inzwischen ist die 2. Umfrage von gfs.bern erschienen. Sowohl diese als auch die 20 Minuten-Umfrage lassen vermuten, dass die Zustimmung gar nicht oder weniger stark gesunken ist, als bei anderen linken wirtschaftpolitischen Initiativen.]
Indirekte Wirkungen von Initiativen
Für den direkten Erfolg einer linken Initiative braucht es notwendigerweise auch eine Stimmunterstützung aus dem Lager der Mitte- oder Rechtswähler. Denn die Stimmen der linken Wählerschaft alleine reichen niemals für einen direkten Initiativerfolg aus. Die Rothenthurm-Initiative (1987) ist ein vielzitiertes, weil gutes Beispiel dafür: Sie wurde angenommen, weil neben den obligaten Stimmen der linken Umweltschützer auch noch diejenigen der rechten Heimatschützer hinzukamen. Doch zuweilen streben die Initianten – notabene aus dem linken Lager – gar keinen direkten Erfolg an der Urne an. Das heisst, sie rechnen schon bei der Lancierung ihres Begehrens nicht (bzw. kaum) mit deren Annahme durch das Volk.
Zentral ist die bedingungslose Unterstützung der Initiative im eigenen Lager.
Allerdings erhoffen sie sich von der Initiativabstimmung indirekte Effekte: Zum Beispiel die Auslösung eines Diskurses, der längerfristig zu einer Meinungsänderung führt (z.B. die GSoA-Initiative von 1989, welche die nachfolgenden Armeereformen eingeleitet hatte). Oder man erhofft sich einen indirekten Gegenvorschlag von Regierung und Parlament, der Teile des Begehrens «prophylaktisch» umsetzt. Zuletzt – und darauf hoffen Parteien eigentlich immer – resultieren aus einer Initiative vielleicht auch Wählerstimmen, dann nämlich, wenn das Vorlagenthema auch den (nachfolgenden) Wahlkampf zu dominieren vermag. Und in der Tat ist zumindest nicht auszuschliessen, dass man bei der Lancierung der Erbschaftssteuerinitiative eher auf diese indirekten Wirkungen abzielte als auf einen sensationellen Erfolg an der Urne. Um die eben genannten indirekten Wirkungen realisieren zu können, braucht es aber vor allem eines: Die bedingungslose Unterstützung der Initiative im eigenen Lager. Fehlt diese, darf man weder darauf hoffen, dass die Initiative als Wahlhelfer dienen könnte, noch darauf, dass Teile davon vor der Abstimmung umgesetzt werden, um die Erfolgschancen des Begehrens zu verringern.
Indes, die letzten fünf wirtschaftspolitischen Initiativen aus dem linken Lager erzielten eher ernüchternde Unterstützungswerte bei der SP. Bei vier der fünf Vorlagen wichen mehr als 30 Prozent der SP-Sympathisanten von der Stimmempfehlung ihrer nationalen Delegiertenversammlung ab. Wohlgemerkt: Diese Abweichung wurde für Initiativen ermittelt, die entweder von der SP selbst, einem SP-nahen Komitee oder aus dem linken Lager generell lanciert wurden. Nun sollte man aber erwarten dürfen, dass die Parteianhängerschaft zumindest bei eigenen Initiativen parolenkonform stimmt. Dies ist jedoch nur bedingt der Fall (siehe nachfolgende Abbildung).
Abweichung des Stimmentscheids der SP-Anhängerschaft von der nationalen Parole in % (ausgewählte Vorlagen zwischen 2009-2015). Die Daten stammen aus den entsprechenden VOX-Nacherhebungen. Der schwarze Balken steht für das jeweilige Konfidenzintervall.
Man mag nun argumentieren, dass dies der Ausdruck einer «reifen, emanzipierten» Parteianhängerschaft ist, die sich nicht einfach gedankenlos an Parolen orientiert, sondern ihre Meinung unabhängig vom offiziellen Parteistandpunkt bildet. Das wird (in dem einen oder anderen Fall) gewiss auch stimmen. Man mag aber ebenso gut argumentieren, dass es offenbar zu einem Strukturwandel in der Parteienlandschaft gekommen ist, welcher dazu geführt hat, dass eine beträchtliche Zahl der SP-Wählerschaft in Wirtschaftsfragen nicht mehr auf der gleichen Linie politisiert wie ihre Parteispitze. Dazu passt zumindest folgendes, pikantes Detail: Paradoxerweise stimmt nämlich die SP-Anhängerschaft viel disziplinierter (sprich: parolenkonformer) ab, wenn die Initiative von der SVP (oder einem ihr nahen Initiativkomitee) stammt. Damit kein Missverständnis aufkommt: Die SP-Anhängerschaft stimmt natürlich grossmehrheitlich gegen die SVP-Initiativen, demnach eben parolenkonform (denn die SP-Parole lautet in solchen Fällen stets «Nein»). Die Kernaussage aber ist: Die SP-Anhängerschaft stimmt viel parolenkonformer bei SVP-Initiativen als bei den eigenen Initiativen! Was ein «V» im Parteinamen doch alles bewirken kann! Scherz beiseite, der Grund dafür liegt wohl daran, dass die Haltung zu Europa und zu Ausländern und Ausländerinnen in der Zwischenzeit viel stärkere linke Identifikationsmerkmale sind als wirtschaftspolitische Präferenzen. Das aber dürfte nicht ohne Auswirkungen auf den indirekten Effekt wirtschaftspolitischer Initiativen von Links bleiben.
[3] Die Grafiken zeigen den Ja-Anteil (Stimmabsicht) in % bei der entsprechenden Vorumfrage. Die Gesamtheit bilden bei den gfs.bern-Umfragen alle Befragten, die angeben, sicher teilnehmen zu wollen. Vom hier ausgewiesenen Ja-Anteil kann deshalb nicht automatisch auf den entsprechenden Nein-Anteil geschlossen werden, weil es immer auch noch solche gibt, die sich zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht entschieden haben. Gleiches gilt auch für die 20 Minuten-Vorumfragen: Auch hier bilden alle Teilnahmewilligen (darunter auch Unentschiedene) die Gesamtheit.
Unter dem Hashtag #2von5 wirbt die SP des Kantons Basel-Landschaft für ihre beiden Regierungsratskandidaten. Doch wie erfolgreich sind Mehrfachkandidaturen im Vergleich zu Einzelkandidaturen?
Ausgangslage
Die ersten kantonalen Wahlen im Superwahljahr 2015 finden in Baselland statt. Die Ausgangslage ist durchaus spannend. Die fünf national wählerstärksten Parteien halten jeweils einen der fünf Baselbieter Regierungssitze inne. Bei den kommenden Wahlen vom 8. Februar treten nun die vier Bisherigen der SVP, FDP, CVP und Grünen wieder an, während der bisherige SP-Vertreter Urs Wüthrich auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Der «SP-Sitz» – auf den die SP formell natürlich ebenso wenig wie alle anderen Parteien einen Anspruch hat, den sie aber seit 1925 ununterbrochen innehat – wird demnach «frei». Für diesen Sitz kandidieren nun eine zusätzliche FDP-Sprengkandidatin (Monica Gschwind) und zwei SP-Kandidaten (Regula Nebiker und Daniel Münger). Aber: Sind zwei Kandidaten derselben Partei für einen «frei werdenden» Sitz nicht einer zuviel?
Amtsinhaber werden so gut wie sicher wiedergewählt
Bevor wir uns der oben gestellten Frage zuwenden, bedarf es noch einiger Erläuterungen. Zunächst einmal werden bei Gesamterneuerungswahlen alle Regierungsräte und -rätinnen neu gewählt. Die beiden SP-Nominierten kandidieren somit nicht bloss für den Sitz des zurücktretenden Urs Wüthrich, sondern für die fünf Baselbieter Regierungssitze. Es ist demnach auch keineswegs auszuschliessen, dass beide SP-Nominierten in die Exekutive gewählt werden – zumal die SP in der Vergangenheit auch schon mit einer Doppelvertretung in der Baselbieter Regierung sass. Ein solches Szenario ist demnach möglich, aber – rein statistisch gesprochen – eher unwahrscheinlich. Warum? Das liegt am Bisherigenbonus, den Amtsinhaber im Vergleich zu neu Kandidierenden haben. Dieser Bisherigenbonus beträgt bei kantonalen Regierungswahlen in der Schweiz beinahe 20 Prozent an Wählerstimmen. Die Wiederwahlrate von Amtsinhabern ist dementsprechend hoch und beträgt 92 Prozent (2000-2014). Kurz, Bisherige werden in aller Regel wiedergewählt. Für die Baselbieter Wahlen bedeutet das nun, dass im Prinzip noch ein Sitz verbleibt – sofern alle Bisherigen bestätigt werden. Die SP-Delegierten des Kantons Baselland hatten sich nun entschieden, eine Zweierkandidatur aufzustellen. Die Frage ist nun: Schmälert eine Doppelkandidatur nicht die Erfolgschancen beider Kandidaten, weil dadurch eine Stimmenzersplitterung wahrscheinlich wird?
Die Gretchenfrage: Wie viele Kandidaten soll man nominieren?
Generell gilt: Man soll nur so viele Kandidaten aufstellen, wie man sich realistischerweise – aufgrund der Wähleranteile bzw. der «Blockstärke» – Regierungssitze zu gewinnen erhoffen darf. Eine Partei, die zu viele Kandidaten nominiert, läuft Gefahr, dass sich die Parteikandidaten am Ende gegenseitig Stimmen wegnehmen. Dass sich die Parteien zumindest näherungsweise an diese Logik halten, zeigt nachfolgende Abbildung: Es besteht – mit Ausnahme der FDP – ein starker Zusammenhang zwischen der kantonalen Parteistärke und der Anzahl nominierter Kandidaten. Je höher also der Wähleranteil einer Partei, umso mehr Kandidaten stellt sie auf. Interessant ist überdies, dass die beiden Flügelparteien SP und SVP häufiger als die beiden Mitte-Parteien auf Kandidaturen ganz verzichten. Selbst bei einem Wähleranteil von 10 Prozent (und teilweise gar mehr) kommt es bei SP und SVP vor, dass sie überhaupt keine Kandidaten nominieren.
Boxplot zwischen der kantonalen Wählerstärke (bei den jeweiligen Kantonsratswahlen) und der Anzahl «offiziell» nominierter Kandidaten (sogenannte «wilde» Kandidaten wurden nicht berücksichtigt). Alle Majorzwahlen mit Konkurrenzcharakter zwischen 2000-2014. Wahlen, in denen eine Partei mehr als drei Kandidaten aufstellte, sind entweder zu selten für eine statistische Analyse oder haben beinahe schon den Charakter einer Proporzwahl (Kanton NE).
Aber lässt sich die grössere Wahrscheinlichkeit der Stimmenzersplitterung bei Mehrfachkandidaturen auch empirisch belegen? Wir nehmen es hier gleich vorweg: Einwandfrei belegen lässt sich das kaum. Dazu müsste man testen, wie eine Einzelkandidatur im Vergleich zu einer Doppel- (oder Mehrfach-)Kandidatur bei exakt denselben Wahlen (oder zumindest unter vergleichbaren Bedingungen) abschneidet. Deshalb ist unser Anspruch auch nicht, eine «naturwissenschaftlich» exakte, sondern bloss eine approximative Antwort auf diese Frage zu geben.
Untersuchen wollen wir, ob Neukandidierende einer Partei – es konkurrieren ja drei Neukandidierende um den frei gewordenen Baselbieter SP-Regierungssitz – besser abschneiden, wenn sie einzeln antreten als im «Doppel-» oder «Multipack». Dazu muss man aber zunächst festlegen, was unter einem «guten Abschneiden» bei Regierungsratswahlen zu verstehen ist. Wir haben das so definiert: Ein Kandidat, der von einer Partei portiert wird, soll mindestens so viele Stimmen erzielen wie seine Partei bei den (in der Regel gleichzeitig stattfindenden) kantonalen Parlamentswahlen. Das ist die untere Grenze. In der Schule würde man so ein Abschneiden mit «knapp genügend» bezeichnen. Im Prinzip darf aber von Regierungsratskandidaten erwartet werden, dass sie höhere Stimmenanteile erreichen als die Wählerstärke ihrer Partei. Zum Beispiel darf erwartet werden, dass ein SP-Kandidat auch Stimmen von grünen WählerInnen erhält. Deshalb haben wir noch eine weitere, obere Grenze definiert, die fünf Prozentpunkte über der eigenen Parteistärke liegt. Diese Grenze hat zugegebenermassen etwas willkürliches, denn ebensogut hätte man ein um zehn Prozentpunkte besseres Abschneiden als Schwellenwert definieren können. Doch für unsere Untersuchungszwecke spielt das keine entscheidende Rolle.
Die Resultate unserer Kurzanalyse sind nicht ganz so eindeutig, wie wir uns das gewünscht haben. Aber immerhin gab es bloss eine Einzelkandidatur, welche das «Plansoll» – also zumindest die Stimmen der eigenen Parteiwähler auf sich zu vereinigen – nicht erfüllte. 21 Mehrfachkandidaturen verpassten hingegen dieses Ziel. Auch wenn wir das Plansoll – wie oben geschildert – um fünf Prozentpunkte anheben, so schneiden Einzelkandidaturen tendenziell besser ab als Mehrfachkandidaturen. Wer überdies in der interaktiven Grafik die Option «Parteien» anwählt, wird feststellen, dass sich «Over-» und «Underachiever» ziemlich gleichmässig zwischen den Parteien verteilen.
Ein gutes Beispiel…
Als Exempel dienen der erste und zweite Wahlgang der Luzerner Regierungsratswahlen 2003. Hier liegt kein echtes Quasi-Experiment vor, aber immerhin eines, dass diesen Anforderungen nahe kommt. Im ersten Wahlgang traten beispielsweise vier Neukandidierende der SVP an. Das beste Ergebnis von ihnen erzielte Räto Camenisch mit rund 21 Prozent Stimmenanteilen (Wählerstärke SVP LU 2003: 19.9%). Weil kein einziger Kandidat das absolute Mehr im ersten Wahlgang erzielte, fand wenig später der zweite Wahlgang unter grundsätzlich ähnlichen Bedingungen (und ähnlicher Wahlbeteiligung) statt. Die SVP schickte nur noch einen Kandidaten (Camenisch) ins Rennen. Er wurde zwar nicht gewählt, aber erzielte immerhin 31.3 Prozent Wählerstimmen, mithin also 10 Prozent mehr als im ersten Wahlgang.
… mit Grenzen
Aber: Dass Mehrfachkandidaturen nicht zwingend schlechter sein müssen als Einzelkandidaturen, versteht sich von selbst. Schliesslich geht es bei den Exekutivwahlen ja auch (und vor allem) um Persönlichkeiten. Dies belegen auch die Glanzresultate, die von “Neulingen” erzielten wurden, welche Teil eines Mehrfachtickets waren. Ein Beispiel: Heidi Z’graggen (CVP, UR) trat 2004 als Neukandidierende an den Urner Regierungsratswahlen an und liess dabei zwei bisherige CVP-Kandidaten hinter sich. Sie erreichte einen Stimmenanteil von 78 Prozent, obwohl ihre Partei «nur» 45 Prozent der Parlamentsmandate hielt (siehe Box).
Alles in allem scheinen Kandidaten, die Teil eines Mehrfachtickets sind, im Schnitt etwas schlechter abzuschneiden als Einzelkandidaten. Aber was heisst in diesem Zusammenhang schon «im Schnitt»? Es heisst bloss, dass Einzelkandidaten ceteris paribus voraussichtlichmehr Stimmen machen, als wenn sie Teil eines Mehrfachtickets sind. Für selbstbewusste Kandidaten ist das kein Grund für schlaflose Nächte: Denn «starke» Kandidaten setzen sich so oder so durch, nur bei «durchschnittlichen» Kandidaten könnte die Stimmenzersplitterung unter Umständen den Ausschlag geben (siehe hierzu das famose “prize fighter”-Argument von John Zaller).
Für die Berechnung der kantonalen Parteistärken wurden in aller Regel die bei den jeweiligen Kantonsratswahlen erzielten Stimmenanteile verwendet. In gewissen Kantonen – Uri, aber auch GR, AI und AR – finden (bzw. fanden) jedoch in vielen (oder allen) Wahlkreisen Majorzwahlen statt, was eine Ermittlung der Parteistärken verunmöglicht (bzw. erheblich erschwert). Für den Kanton Uri liegen erst ab 2008 solche Parteistärken vor. Wir haben in solchen Fällen die Mandatsanteile im Parlament verwendet.