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Wie sich eine Personenwahl einer Parteiwahl annähert

Am 23. Oktober wählen die Aargauer und Aargauerinnen eine neue Regierung. Für die fünf Regierungssitze konkurrieren nicht weniger als vierzehn Kandidatinnen und Kandidaten. Die hohe Kandidatenzahl macht zum einen einen zweiten Wahlgang wahrscheinlich und fördert zum anderen partei- bzw. blockgebundenes Wählen – was dem Charakter einer Personenwahl widerspricht.

 

Bei Podien zu den diesjährigen Exekutivwahlen des Kantons Aargau dürfte der eine oder andere Kandidierende regelrechten «Dichtestress» erleiden: Denn heuer haben sich vierzehn Kandidierende für das Rennen um die fünf Aargauer Regierungssitze angemeldet.
Ein zweiter Wahlgang ist wahrscheinlich
Das ist ungewöhnlich viel, obschon 2008 auch schon 12 Kandidierende ins Wahlrennen stiegen. Eine solch hohe Zahl von Kandidierenden hat Auswirkungen auf den Wahlausgang. Zunächst ist ein zweiter Wahlgang wahrscheinlich. Zwar wird im Kanton Aargau zur Ermittlung des absoluten Mehrs nicht auf (gültige) Stimmzettel, sondern auf gültige Stimmen abgestellt.[2] Das verringert vorderhand die Wahrscheinlichkeit eines zweiten Wahlgangs, weil die Kandidierenden – anders als in Kantonen mit einem «strikten», auf Wahlzetteln bezogenen absoluten Mehr – nicht mehr auf jedem zweiten gültigen Wahlzettel aufgeführt sein müssen, um das absolute Mehr zu erzielen.[3] Aber bei einer hohen Anzahl von Kandidierenden schreiben die Wähler – ceteris paribus – auch mehr Namen von Kandidierenden auf den Wahlzettel. Denn sie haben mit wachsender Zahl von Kandidierenden auch eine grössere Auswahl. Für Wähler, die primär in ideologischen Blöcken denken (links vs. rechts), ist bei einer solch hohen Zahl von Kandidierenden beispielsweise gewährleistet, dass sie ihren Wahlzettel vollständig mit Kandidierenden aus dem eigenen Lager komplettieren können. Dadurch verringert sich aber die Zahl der leeren Stimmen, was wiederum die Hürde für das absolute Mehr erhöht. Kurz, mit wachsender Zahl Kandidierender erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines zweiten Wahlganges. Und tatsächlich war 2008 mit zwölf Bewerber um die Aargauer Exekutivsitze ein zweiter Wahlgang nötig.
Regierungsratswahlen sind Personenwahlen
Ein grosser Andrang auf das kantonale Regierungsamt wirkt sich aber auch auf das Ergebnis der einzelnen Kandidaten und Kandidatinnen aus. Kantonale Exekutivwahlen sind in 25 von 26 Kantonen Majorzwahlen und als solches in erster Linie Personenwahlen. Nicht Parteien bzw. die Parteizugehörigkeit des Kandidaten oder der Kandidatin soll bei Personenwahlen im Vordergrund stehen, sondern die Person und seine/ihre (ausserparteilichen) Eigenschaften. So mag es in der Theorie sein. Tatsächlich aber spielt die Parteizugehörigkeit eines Regierungsratskandidaten oder einer Regierungsratskandidatin für viele Wähler gleichwohl eine erhebliche Rolle. Sie ist zunächst einmal eine sehr effiziente Entscheidhilfe. Weiss man beispielsweise nicht viel über den Kandidierenden, so kennt man doch oftmals seine Parteizugehörigkeit. Und das genügt bestimmten Wählern und Wählerinnen bereits schon. Mehr wollen sie gar nicht wissen. Das widerspricht dem Charakter einer Personenwahl, wo Köpfe im Vordergrund stehen sollen und nicht Parteien. Aber Wahlkriterien lassen sich nicht vorschreiben. Unsere Vermutung ist nun diejenige, dass bei einer hohen Anzahl von Kandidierenden die Parteizugehörigkeit als Wahlkriterium immer wichtiger wird. Mit anderen Worten: Je höher die Anzahl Kandidierender, desto eher entspricht das Ergebnis eines Kandidaten oder einer Kandidatin in etwa dem, welches seine/ihre Partei bei den (oftmals) gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erzielt.
Breite des Kandidierendenfelds hat Einfluss auf die Parteigebundenheit des Entscheids
Dazu haben wir die Differenz zwischen dem Kandidatenergebnis und dem Ergebnis seiner jeweiligen Partei für alle kantonalen Regierungsratswahlen (mit kompetitiven Charakter) seit 2000 ermittelt. Sodann haben wir ein Multilevelmodell zur Erklärung dieser Differenz gerechnet. Unser Hauptaugenmerk galt dabei der Anzahl Kandidaten, aber natürlich spielen hierbei auch noch andere Faktoren eine Rolle. Auf der Individualebene ist das natürlich der Amtsinhaberstatus: Amtsinhaber und Amtsinhaberinnen erzielen ein Ergebnis, dass «ihr» Parteiergebnis in aller Regel weit übertrifft. [4] Mit anderen Worten: Sie erhalten nicht nur aus ihrem eigenen Lager Stimmen, sondern auch von anderen Parteianhängerschaften. Daneben enthält unser Modell auch noch weitere Bestimmungsgründe: Das Geschlecht, das Alter, die Parteizugehörigkeit (jeweils dichotom) und auf Kontextebene die Zahl der Regierungssitze, die Zahl der frei werdenden Regierungssitze und natürlich auch die Anzahl Kandidierender.
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Abgebildet ist die simulierte Differenz (in Prozentpunkten) zwischen dem Ergebnis der Kandidaten und dem Ergebnis seiner/ihrer Partei bei den gleichzeitig (bzw. zeitnah) stattfindenden Parlamentswahlen.
Die Breite des Kandidierendenfelds hat gemäss diesem Modell einen gehörigen Einfluss auf die Parteigebundenheit des Entscheids. Um das zu veranschaulichen, haben wir – aufbauend auf den oben genannten Modellschätzungen – kontrafaktische Wahlsituationen simuliert. Bei einer hypothetischen Aargauer Wahl mit bloss sechs Kandidierenden würde die Differenz zum Parteiergebnis im Schnitt rund 30 Prozent betragen. Das heisst, die einzelnen Kandidierenden würden durchschnittlich einen Stimmenanteil erzielen, der 30 Prozentpunkte über dem Parteiergebnis zu liegen käme. Bei einer Wahl mit vierzehn Kandidierenden beträgt diese Differenz nur noch 14 Prozentpunkte. Mit anderen Worten: Die Wähler und Wählerinnen halten sich bei einer hohen Anzahl Kandidierendr viel stärker an die parteieigenen bzw. blockeigenen Kandidaten und Kandidatinnen und «verschenken» ihre Stimmen nur ungern an Kandidierende aus anderen Parteien. Die Personenwahlen werden so zu Parteiwahlen bzw. sie nähern sich diesen an.
Proporz wider Willen
Im Übrigen, wenn wir davon ausgehen, dass das absolute Mehr bei rund 40 Prozent der gültigen Wahlzettel zu liegen kommt, würden unserem Modell gemäss vier Kandidierenden dieses absolute Mehr im ersten Wahlgang erreichen. Demnach wäre ein zweiter Wahlgang nötig und dort werden die Karten bekanntlich neu gemischt. Bei einer hypothetischen Wahl mit lediglich sechs Kandidierenden hätten es hingegen alle sechs Kandidierende im ersten Wahlgang geschafft (eine Person wäre demnach überzählig gewesen). Gewiss, dies ist bloss ein Gedankenspiel. Denn am 23. Oktober treten nicht sechs, sondern vierzehn Kandidaten und Kandidatinnen an. Aber das Gedankenspiel zeigt, wie sich eine Personenwahl bei einer hohen Anzahl Kandidierenden einer Parteiwahl annähert.

Thomas Milic und Thomas Willi

[1] Foto: Kanton Aargau | Twitter

[1] § 22 * des GPR: Ermittlung des Ergebnisses, absolutes Mehr: 1) Bei der Ermittlung des Ergebnisses einer Wahl oder Abstimmung fallen die leeren und ungültigen Stimmzettel beziehungsweise Stimmen ausser Betracht. 2) Das absolute Mehr berechnet sich wie folgt: Die Gesamtzahl der gülti­gen Stimmen wird durch die Anzahl der zu wählenden Behördenmitglieder geteilt und das Ergebnis halbiert. Die nächsthöhere ganze Zahl ist das absolute Mehr.
[2] Man nehme etwa das Beispiel des Kantons Schwyz. Im Kanton Schwyz galt bis 2005 der auf den Wahlzetteln beruhende Modus zur Berechnung des absoluten Mehrs. Bei den letzten, nach diesem Berechnungsverfahren durchgeführten Wahlen vom 28. März 2004 erreichte keiner der 9 Kandidierenden das erforderliche Mehr im ersten Wahlgang. Bei den Wahlen vom 16. März 2008 wurden erstmals nur noch die gültigen Kandidatenstimmen berücksichtigt. Da die Schwyzer Wählerschaft im Schnitt nur 4.03 Kandidatennamen auf die Wahlzettel schrieb, sank der Schwellenwert des absoluten Mehrs bei diesen Wahlen auf 28.7 Prozent aller gültigen Wahlzettel.Mit anderen Worten: Im Vergleich zur Wahl von 2004 war nur noch etwa die Hälfte der Stimmen notwendig, um das absolute Mehr zu erreichen. Dieses Mehr erreichten alle neun angetretenen Kandidaten. Ein zweiter Wahlgang war 2008 nicht mehr nötig.
[3] Lesen Sie dazu hier wie im Kanton Zug, der jüngst von Proporz- auf Majorzwahlen bei Exekutivämtern umstieg, dafür geworben wurde.
 

Regierungsrätin dank Dignitas?

Der Regierungsrat des Kantons Zürich ist gewählt. An dessen Parteizusammensetzung hat der Zürcher Souverän eine bedeutende Änderung vorgenommen. Silvia Steiner konnte für die CVP den 2011 an die Grünen verlorenen Sitz zurückerobern. Wir schauen zurück auf die zwei wichtigsten Ereignisse des Wahlkampfs und gehen der Frage nach, inwiefern die Regierungszusammensetzung die Parteistärken widerspiegelt.

Ernst Stocker (SVP), Markus Kägi (SVP), Thomas Heiniger (FDP), Carmen Walker Späh (FDP), Mario Fehr (SP), Jacqueline Fehr (SP) sowie Silvia Steiner (CVP) werden in der Legislaturperiode 2015 bis 2019 die Geschicke des Kantons in die Hände nehmen. Nach einem spannenden Wahlkampf, der von einer Diffamierungskampagne gegen Silvia Steiner überschattet war, gelang es dieser, den bisherigen grünen Regierungsrat aus dem Amt zu verdrängen. Mit ganzen 8852 Stimmen Vorsprung auf Martin Graf (Grüne) eroberte sie den vier Jahre zuvor verlorenen Sitz für die CVP zurück. Damals wurde CVP-Magistrat Hans Hollenstein von Graf um 2328 Stimmen geschlagen.

Verhalf Kampagne gegen Steiner zu ihrem Wahlsieg?

Am 16. März sorgte ein Flugblatt gegen Silvia Steiner für grosse Furore: Dignitas-Gründer Ludwig Minelli bezeichnete darin die CVP-Vertreterin als inkompetente Staatsanwältin, erzkonservative Politikerin und radikale Sterbehilfe-Gegnerin. Diese Aktion ging aber klar nach hinten los; letztlich verhalf sie Silvia Steiner wahrscheinlich sogar zum Wahlsieg. Das Hauptproblem Steiners war nämlich ihre anfängliche Unbekanntheit im Zürcher Stimmvolk. Das Flugblatt verhalf ihr, diese zu überwinden. Dass das Interesse an der CVP-Politikerin tatsächlich massiv in die Höhe schnellte, zeigt die grosse Anzahl Wikipedia-Aufrufe ihres Profils nach Erscheinen des Flugblatts.

Tagi-Aufruf kann Graf nicht mehr retten

Res Strehle, Chefredaktor des Tagesanzeigers, rief in einem am 6. April erschienenen Leitartikel dazu auf, den grünen Regierungsrat zu unterstützen. Dieser Aufruf kam für Martin Graf allem Anschein nach zu spät. Der Tagi-Artikel reichte zwar für eine kleine Zunahme des Interesses an der Person des Grünen, entfaltete aber bei Weitem nicht die Wirkung, wie dies die Negativ-Kampagne gegen Steiner tat. Durch Verschieben des Sliders können die Unterschiede in den Wikipedia-Abfragen zu Silvia Steiner und Martin Graf sichtbar gemacht werden.

Steiners Erfolg ist insofern bemerkenswert, als dass sie mit der CVP eine Partei vertritt, welche einen kleineren Wähleranteil aufweist als jeweils die GLP und die Grünen. Dass eine Partei mit einem Wähleranteil von gerade mal 4.9% einen neuen Regierungsratssitz erobert, ist im Kanton Zürich ein politisches Novum. Silvia Steiner hat, Negativkampagne sei Dank, den Wahlkampf dominiert. Ohne die überdurchschnittliche Aufmerksamkeit, welche ihrer Person zukam, wäre dieser historische Erfolg wahrscheinlich nicht möglich gewesen.

FDP, SP und CVP im Regierungsrat klar übervertreten

Der Vergleich der Anzahl Regierungsratssitze mit den tatsächlichen Wählerstärken der Parteien zeigt, welche Parteien in der Exekutive über- bzw. unterrepräsentiert sind. Würde sich die Parteistärke bei den Parlamentswahlen perfekt in der Regierungsratswahl widerspiegeln, so gäbe es pro 14.3% Stimmenanteil einen Regierungssitz. Der wählerstärksten Zürcher Partei, der SVP, kämen somit 2.1 Sitze zu. Damit ist sie mit ihren zwei wiedergewählten Vertretern von allen Parteien am adäquatesten im Regierungsrat vertreten. Deutlich übervertreten wären nach diesen Gesichtspunkten FDP und SP: Die Differenzen zwischen deren Anteilen an Regierungsratssitzen und den jeweiligen Parteistärken betragen 10.7 respektive 9.3 Prozentpunkte. Obwohl die CVP als Kleinpartei im Kanton Zürich gerade mal einen Wähleranteil von 4.9% erreichte, stellt sie künftig eine Regierungsrätin. Damit gehört sie ebenfalls zu den Parteien, welche im Verhältnis mit ihrem Wähleranteil, überproportional stark an der Regierungsmacht beteiligt sein wird. Der CVP würden 0.34 Regierungsratssitze, abgerundet also keiner, zustehen. Auf ähnlich kleine Werte kommen die Kleinstparteien AL, EDU, BDP und EVP. Da keiner ihrer Vertreter in die Exekutive gewählt worden ist, entstehen hier verglichen mit deren Wählerstärken kleine Unterrepräsentationswerte.

Grüne Ansichten kommen zu kurz

Tendenziell untervertreten im neuen Regierungsrat sind allerdings die Grünliberalen und die Grüne Partei. Zwar haben beide Parteien gegenüber 2011 empfindliche Verluste erlitten, ihre exekutive Abwesenheit ist aber insofern auffällig, als sie (zusammengezählt) immerhin 14.9% Wähleranteil erreichen. Grüne Ansichten und Ideen werden es in der bevorstehenden Legislaturperiode folglich weniger oft auf die Regierungsagenda schaffen.

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Regierung widerspiegelt überwiegende Mehrheit der Wählerschaft

Als Mass der Repräsentationsgüte wird oft der Vergleich in der Regierung vertretener Parteien mit deren Wähleranteilen herangeführt. 2011 bis 2015 stellten die vier Parteien SVP, SP, FDP und Grüne sämtliche Regierungsräte. Damit waren 72.5% des Stimmvolkes in der Regierung vertreten. Durch die eben erfolgten Gesamterneuerungswahlen ist dieser Wert nur geringfügig zurückgegangen und beträgt neu 71.9%. Die neue Zusammensetzung der Regierung stimmt somit etwa zum selben Grade mit den Wähleranteilen überein wie in der Legislaturperiode 2011-2015.

 

Welche Kandidaten waren wann besonders gefragt? (Wikipedia-traffic)


 

Zu den Wahlen im Kanton Zürich

Die Stimmberechtigten des Kantons Zürich wählen am 12. April eine neue Regierung und ein neues Parlament. Neben den Monitoren für den Kanton Baselland und Luzern haben wir auch für die Zürcher Regierungsratswahlen einen Media-Monitor aufgeschaltet. Täglich aktualisiert zeigen wir sowohl die Aktivität der Kandidaten auf Twitter als auch die Anzahl Artikel in Printmedien, in denen die Regierungsratskandidaten zumindest einmal erwähnt wurden. Weiter stellen wir die Anzahl der Seitenaufrufe des Wikipedia-Profils der Kandidaten zur Verfügung. Anhand der aktualisierten Grafik sehen Sie, welche Kandidatin und welcher Kandidat über oder unter dem Durchschnitt liegt. Insbesondere für Twitter und Wikipedia gilt, dass nur dargestellt werden kann, was auch verfügbar ist. Einzelne Kandidaten verfügen über keinen Wikipedia-Eintrag (meist Herausforderer) oder kein Twitter-Konto (betrifft vor allem Amtsinhaber).

Hier geht es zum Media-Monitor.

 Hier finden Sie alles rund um die Stimmkraftausschöpfung.

Damit wir die Kantonsratswahlen nicht aus dem Auge verlieren, zeigen wir, in welcher Gemeinde die Parteien auf welche Unterstützung zählen können – dies alles auf der Basis der Kantonsratswahlen 2011. Je dunkler eine Gemeinde eingefärbt ist, desto mehr Wähler hat die entsprechende Partei in dieser Gemeinde. Unterhalb der Karten finden sich Histogramme. Diesen lässt sich entnehmen, in wie vielen Gemeinden eine Partei wie stark ist. So sieht man am Beispiel der EVP, dass die Partei in den meisten Gemeinden einen Wähleranteil zwischen 0 und 10 Prozent aufweist.

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Wähleranteile in den Zürcher Gemeinden. Quelle: Statistisches Amt Kt. Zürich.

 

Regierungsratswahlen: Schwellenwert des absoluten Mehrs

Im Kanton Zürich wird das absolute Mehr auf der Basis der gültigen Kandidatenstimmen errechnet. Deshalb reichte es bei den letzten drei Zürcher Gesamterneuerungswahlen aus, wenn der Name eines Kandidaten im Schnitt auf etwas mehr als 30 Prozent aller Wahlzettel stand. Aus demselben Grund waren in der jüngeren Vergangenheit auch keine zweiten Wahlgänge nötig.

Regierungsratswahlen: Stimmkraftausschöpfung

Das absolute Mehr ist im Kanton Zürich von der Stimmkraftausschöpfung abhängig. Würden beispielsweise alle Wähler und Wählerinnen exakt sieben Namen auf den leeren Wahlzettel schreiben, würde die Höhe des absoluten Mehrs 50 Prozent (+1) der Wahlzettel betragen. Das ist aber längst nicht immer der Fall. Genauer gesagt: Die durchschnittliche Stimmkraftausschöpfung im Kanton Zürich beträgt für die letzten drei Gesamterneuerungswahlen 64.4 Prozent. Das heisst: Im Schnitt liessen die Wähler und Wählerinnen etwa zweieinhalb Zeilen leer.

Parteistärke aufgrund der Kantonsratswahlen (kantonal)…

Vergleicht man die Parteienstärke über die Zeit, so lassen sich nationale Tendenzen auch auf kommunaler Ebene nachzeichnen. Die SVP vermochte ihre Stärke seit 1991 von ca. 19 auf knapp 30 Prozent auszubauen, während die FDP zwischen 1991 und 2011 um 10 Prozentpunkte geschrumpft ist und 2011 die neuen Mitteparteien auftauchen. Im linken Lager konnte die SP das Niveau von knapp 20 Prozent seit Anfangs 90er Jahre halten, derweil die Grünen in diesem Zeitraum knapp 1 Prozentpunkt zugelegt haben.

 

Quelle: Bundesamt für Statistik. Eigene Darstellung.

 

… und aufgrund der Nationalratswahlen (kantonal)

Quelle: Bundesamt für Statistik. Eigene Darstellung.

Zu den Wahlen im Kanton Luzern

Die Stimmberechtigten des Kantons Luzern wählen am 29. März eine neue Regierung und ein neues Parlament. Auch für die Luzerner Regierungsratswahlen haben wir einen Media-Monitor aufgeschaltet. Täglich aktualisiert zeigen wir sowohl die Aktivität der Kandidaten auf Twitter als auch die Anzahl Artikel in Printmedien, in denen die Regierungsratskandidaten zumindest einmal erwähnt wurden. Weiter stellen wir die Anzahl der Seitenaufrufe des Wikipedia-Profils der Kandidaten zur Verfügung. Anhand der aktualisierten Grafik sehen Sie, welche Kandidatin und welcher Kandidat über oder unter dem Durchschnitt liegt. Insbesondere für Twitter und Wikipedia gilt, dass nur dargestellt werden kann, was auch verfügbar ist. Einzelne Kandidaten verfügen über keinen Wikipedia-Eintrag (meist Herausforderer) oder kein Twitter-Konto (betrifft vor allem Amtsinhaber).

Hier geht es zum Media-Monitor.

 Hier finden Sie alles rund um die Stimmkraftausschöpfung.

Damit die Kantonsratswahlen nicht vergessen gehen, zeigen wir, in welcher Gemeinde die Parteien auf welche Unterstützung zählen können – dies alles auf der Basis der Kantonsratswahlen 2011. Je dunkler eine Gemeinde eingefärbt ist, desto mehr Wähler hat die entsprechende Partei in dieser Gemeinde. Unterhalb der Karten finden sich Histogramme. Diesen lässt sich entnehmen, in wie vielen Gemeinden eine Partei wie stark ist. So sieht man am Beispiel der CVP, dass die Partei in relativ vielen Gemeinden einen Wähleranteil zwischen 20 und 50 Prozent aufweist.

Wähleranteile in den Gemeinden des Kantons Luzern. Quelle: LUSTAT.
Wähleranteile in den Gemeinden des Kantons Luzern. Quelle: LUSTAT.

 

Regierungsratswahlen

Im Kanton Luzern gibt es im Gegensatz zum Kanton Basel-Landschaft nicht nur den amtlichen (leeren) Wahlzettel, sondern auch ausseramtliche Wahllisten – oft, aber nicht immer sind das «Parteilisten». Der Kantonsrat wird im Proporz, die Exekutive im Majorz gewählt. Wer im 1. Wahlgang als Regierungsrat bzw. Regierungsrätin gewählt sein will, muss mehr als 50% der gültigen Wahlzettel erzielen. Bei den Regierungsratswahlen 2011 ist das nur Guido Graf (CVP) gelungen: Seine Kandidatur erzielte auf Anhieb mehr als die im ersten Wahlgang erforderlichen 53’242 Stimmen. Für die Wahlen am 29. März 2015 haben wir eine Vorhersage aufgrund eines statischen Prognosemodells gewagt. Hier lesen Sie unsere Prognose für die Regierungsratswahlen

Parteistärke aufgrund der Kantonsratswahlen…

Vergleicht man die Parteienstärke über die Zeit, so lassen sich nationale Tendenzen auch auf kommunaler Ebene nachzeichnen. Die SVP vermochte seit 1991 aus der faktischen Inexistenz auf 22 Prozent zu wachsen, während die FDP seit 1987 kontinuierlich auf 19% geschrumpft ist. Auch im Kanton Luzern tauchen 2011 die neuen Mitteparteien auf. Im linken Lager konnte die SP das Niveau von 7 Prozent seit 1987 leicht auf 11 Prozent anheben. Die Grünen tauchen 1991 das erste Mal bei Kantonsratswahlen auf und erreichen auf Anhieb 7%.
Quellen: Bundesamt für Statistik. Eigene Darstellung.

 

… und aufgrund der Nationalratswahlen (kantonal)

Quellen: Bundesamt für Statistik. Eigene Darstellung.

 

Hier geht es zum Media-Monitor.

 Hier finden Sie alles rund um die Stimmkraftausschöpfung.

Hier lesen Sie unsere Prognose für die Regierungsratswahlen

Wie sich die Parteienstärke berechnet und weitere detaillierte Informationen rund um das Thema der Wahlen im Kanton Luzern finden Sie hier: Internetauftritt von LUSTAT.

Sind zwei einer zuviel?

Unter dem Hashtag #2von5 wirbt die SP des Kantons Basel-Landschaft für ihre beiden Regierungsratskandidaten. Doch wie erfolgreich sind Mehrfachkandidaturen im Vergleich zu Einzelkandidaturen? 

Ausgangslage

Die ersten kantonalen Wahlen im Superwahljahr 2015 finden in Baselland statt. Die Ausgangslage ist durchaus spannend. Die fünf national wählerstärksten Parteien halten jeweils einen der fünf Baselbieter Regierungssitze inne. Bei den kommenden Wahlen vom 8. Februar treten nun die vier Bisherigen der SVP, FDP, CVP und Grünen wieder an, während der bisherige SP-Vertreter Urs Wüthrich auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Der «SP-Sitz» – auf den die SP formell natürlich ebenso wenig wie alle anderen Parteien einen Anspruch hat, den sie aber seit 1925 ununterbrochen innehat – wird demnach «frei». Für diesen Sitz kandidieren nun eine zusätzliche FDP-Sprengkandidatin (Monica Gschwind) und zwei SP-Kandidaten (Regula Nebiker und Daniel Münger). Aber: Sind zwei Kandidaten derselben Partei für einen «frei werdenden» Sitz nicht einer zuviel?

Amtsinhaber werden so gut wie sicher wiedergewählt

Bevor wir uns der oben gestellten Frage zuwenden, bedarf es noch einiger Erläuterungen. Zunächst einmal werden bei Gesamterneuerungswahlen alle Regierungsräte und -rätinnen neu gewählt. Die beiden SP-Nominierten kandidieren somit nicht bloss für den Sitz des zurücktretenden Urs Wüthrich, sondern für die fünf Baselbieter Regierungssitze. Es ist demnach auch keineswegs auszuschliessen, dass beide SP-Nominierten in die Exekutive gewählt werden – zumal die SP in der Vergangenheit auch schon mit einer Doppelvertretung in der Baselbieter Regierung sass. Ein solches Szenario ist demnach möglich, aber – rein statistisch gesprochen – eher unwahrscheinlich. Warum? Das liegt am Bisherigenbonus, den Amtsinhaber im Vergleich zu neu Kandidierenden haben. Dieser Bisherigenbonus beträgt bei kantonalen Regierungswahlen in der Schweiz beinahe 20 Prozent an Wählerstimmen. Die Wiederwahlrate von Amtsinhabern ist dementsprechend hoch und beträgt 92 Prozent (2000-2014). Kurz, Bisherige werden in aller Regel wiedergewählt. Für die Baselbieter Wahlen bedeutet das nun, dass im Prinzip noch ein Sitz verbleibt – sofern alle Bisherigen bestätigt werden. Die SP-Delegierten des Kantons Baselland hatten sich nun entschieden, eine Zweierkandidatur aufzustellen. Die Frage ist nun: Schmälert eine Doppelkandidatur nicht die Erfolgschancen beider Kandidaten, weil dadurch eine Stimmenzersplitterung wahrscheinlich wird?

Die Gretchenfrage: Wie viele Kandidaten soll man nominieren?

Generell gilt: Man soll nur so viele Kandidaten aufstellen, wie man sich realistischerweise – aufgrund der Wähleranteile bzw. der «Blockstärke» – Regierungssitze zu gewinnen erhoffen darf. Eine Partei, die zu viele Kandidaten nominiert, läuft Gefahr, dass sich die Parteikandidaten am Ende gegenseitig Stimmen wegnehmen. Dass sich die Parteien zumindest näherungsweise an diese Logik halten, zeigt nachfolgende Abbildung: Es besteht – mit Ausnahme der FDP – ein starker Zusammenhang zwischen der kantonalen Parteistärke und der Anzahl nominierter Kandidaten. Je höher also der Wähleranteil einer Partei, umso mehr Kandidaten stellt sie auf. Interessant ist überdies, dass die beiden Flügelparteien SP und SVP häufiger als die beiden Mitte-Parteien auf Kandidaturen ganz verzichten. Selbst bei einem Wähleranteil von 10 Prozent (und teilweise gar mehr) kommt es bei SP und SVP vor, dass sie überhaupt keine Kandidaten nominieren.

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Boxplot zwischen der kantonalen Wählerstärke (bei den jeweiligen Kantonsratswahlen) und der Anzahl «offiziell» nominierter Kandidaten (sogenannte «wilde» Kandidaten wurden nicht berücksichtigt). Alle Majorzwahlen mit Konkurrenzcharakter zwischen 2000-2014. Wahlen, in denen eine Partei mehr als drei Kandidaten aufstellte, sind entweder zu selten für eine statistische Analyse oder haben beinahe schon den Charakter einer Proporzwahl (Kanton NE).

Aber lässt sich die grössere Wahrscheinlichkeit der Stimmenzersplitterung bei Mehrfachkandidaturen auch empirisch belegen? Wir nehmen es hier gleich vorweg: Einwandfrei belegen lässt sich das kaum. Dazu müsste man testen, wie eine Einzelkandidatur im Vergleich zu einer Doppel- (oder Mehrfach-)Kandidatur bei exakt denselben Wahlen (oder zumindest unter vergleichbaren Bedingungen) abschneidet. Deshalb ist unser Anspruch auch nicht, eine «naturwissenschaftlich» exakte, sondern bloss eine approximative Antwort auf diese Frage zu geben.

Untersuchen wollen wir, ob Neukandidierende einer Partei – es konkurrieren ja drei Neukandidierende um den frei gewordenen Baselbieter SP-Regierungssitz – besser abschneiden, wenn sie einzeln antreten als im «Doppel-» oder «Multipack». Dazu muss man aber zunächst festlegen, was unter einem «guten Abschneiden» bei Regierungsratswahlen zu verstehen ist. Wir haben das so definiert: Ein Kandidat, der von einer Partei portiert wird, soll mindestens so viele Stimmen erzielen wie seine Partei bei den (in der Regel gleichzeitig stattfindenden) kantonalen Parlamentswahlen. Das ist die untere Grenze. In der Schule würde man so ein Abschneiden mit «knapp genügend» bezeichnen. Im Prinzip darf aber von Regierungsratskandidaten erwartet werden, dass sie höhere Stimmenanteile erreichen als die Wählerstärke ihrer Partei. Zum Beispiel darf erwartet werden, dass ein SP-Kandidat auch Stimmen von grünen WählerInnen erhält. Deshalb haben wir noch eine weitere, obere Grenze definiert, die fünf Prozentpunkte über der eigenen Parteistärke liegt. Diese Grenze hat zugegebenermassen etwas willkürliches, denn ebensogut hätte man ein um zehn Prozentpunkte besseres Abschneiden als Schwellenwert definieren können. Doch für unsere Untersuchungszwecke spielt das keine entscheidende Rolle.

Die Resultate unserer Kurzanalyse sind nicht ganz so eindeutig, wie wir uns das gewünscht haben. Aber immerhin gab es bloss eine Einzelkandidatur, welche das «Plansoll» – also zumindest die Stimmen der eigenen Parteiwähler auf sich zu vereinigen – nicht erfüllte. 21 Mehrfachkandidaturen verpassten hingegen dieses Ziel. Auch wenn wir das Plansoll – wie oben geschildert – um fünf Prozentpunkte anheben, so schneiden Einzelkandidaturen tendenziell besser ab als Mehrfachkandidaturen. Wer überdies in der interaktiven Grafik die Option «Parteien» anwählt, wird feststellen, dass sich «Over-» und «Underachiever» ziemlich gleichmässig zwischen den Parteien verteilen.

Ein gutes Beispiel…

Als Exempel dienen der erste und zweite Wahlgang der Luzerner Regierungsratswahlen 2003. Hier liegt kein echtes Quasi-Experiment vor, aber immerhin eines, dass diesen Anforderungen nahe kommt. Im ersten Wahlgang traten beispielsweise vier Neukandidierende der SVP an. Das beste Ergebnis von ihnen erzielte Räto Camenisch mit rund 21 Prozent Stimmenanteilen (Wählerstärke SVP LU 2003: 19.9%). Weil kein einziger Kandidat das absolute Mehr im ersten Wahlgang erzielte, fand wenig später der zweite Wahlgang unter grundsätzlich ähnlichen Bedingungen (und ähnlicher Wahlbeteiligung) statt. Die SVP schickte nur noch einen Kandidaten (Camenisch) ins Rennen. Er wurde zwar nicht gewählt, aber erzielte immerhin 31.3 Prozent Wählerstimmen, mithin also 10 Prozent mehr als im ersten Wahlgang.

… mit Grenzen

Aber: Dass Mehrfachkandidaturen nicht zwingend schlechter sein müssen als Einzelkandidaturen, versteht sich von selbst. Schliesslich geht es bei den Exekutivwahlen ja auch (und vor allem) um Persönlichkeiten. Dies belegen auch die Glanzresultate, die von “Neulingen” erzielten wurden, welche Teil eines Mehrfachtickets waren. Ein Beispiel: Heidi Z’graggen (CVP, UR) trat 2004 als Neukandidierende an den Urner Regierungsratswahlen an und liess dabei zwei bisherige CVP-Kandidaten hinter sich. Sie erreichte einen Stimmenanteil von 78 Prozent, obwohl ihre Partei «nur» 45 Prozent der Parlamentsmandate hielt (siehe Box).

Alles in allem scheinen Kandidaten, die Teil eines Mehrfachtickets sind, im Schnitt etwas schlechter abzuschneiden als Einzelkandidaten. Aber was heisst in diesem Zusammenhang schon «im Schnitt»? Es heisst bloss, dass Einzelkandidaten ceteris paribus voraussichtlich mehr Stimmen machen, als wenn sie Teil eines Mehrfachtickets sind. Für selbstbewusste Kandidaten ist das kein Grund für schlaflose Nächte: Denn «starke» Kandidaten setzen sich so oder so durch, nur bei «durchschnittlichen» Kandidaten könnte die Stimmenzersplitterung unter Umständen den Ausschlag geben (siehe hierzu das famose “prize fighter”-Argument von John Zaller).   

 von Thomas Milic


Berechnung der kantonalen Parteistärken

Für die Berechnung der kantonalen Parteistärken wurden in aller Regel die bei den jeweiligen Kantonsratswahlen erzielten Stimmenanteile verwendet. In gewissen Kantonen – Uri, aber auch GR, AI und AR – finden (bzw. fanden) jedoch in vielen (oder allen) Wahlkreisen Majorzwahlen statt, was eine Ermittlung der Parteistärken verunmöglicht (bzw. erheblich erschwert). Für den Kanton Uri liegen erst ab 2008 solche Parteistärken vor. Wir haben in solchen Fällen die Mandatsanteile im Parlament verwendet.

One man, too many votes

Für die Wahl in den Zürcher Regierungsrat genügte es bei den letzten drei Gesamterneuerungswahlen, auf knapp einem Drittel der Wahlzettel gelistet zu sein. Die Schwelle lag somit deutlich tiefer als zum Beispiel in den Kantonen Glarus oder Appenzell Ausserrhoden und weit entfernt von der 50%-Hürde. Das liegt daran, dass auf den Zürcher Wahlzetteln im Schnitt mehr als zwei Zeilen leer blieben.   

Bereits grüssen bekannte, aber auch weniger bekannte Politikergesichter von den Zürcher Plakatwänden. Der Grund dafür sind die Regierungsratswahlen, die im April anstehen. Bis dann werden die Parteien versuchen, ihre Kandidaten dem Elektorat mit Namen bekannt zu machen. Denn den Zürcher Wahlberechtigten wird für die Exekutivwahlen ein Wahlzettel mit sieben leeren Zeilen zugesandt. Wer diesen leeren Wahlzettel ausfüllen möchte, muss wissen, wie die (wichtigsten und chancenreichsten) Kandidatinnen und Kandidaten mit Namen heissen. Diese Namen bekannt zu machen, ist das primäre Ziel der inzwischen angelaufenen Kandidatenkampagnen. Aber gelingt das den Kampagnen auch bzw. in welchem Masse? Oder anders gefragt: In welchem Ausmass schöpfen die Wähler und Wählerinnen ihre Stimmkraft aus?

Manch einer mag an dieser Stelle einwenden, dass diese Problemstellung rein akademischer oder gar nur statistischer Natur ist. Das ist falsch. Im Kanton Zürich (und zehn weiteren Kantonen) wird das absolute Mehr, welches man im ersten Wahlgang zwingend erzielen muss, um gewählt zu werden, nicht auf der Basis der gültigen Wahlzettel, sondern der gültigen Stimmen berechnet. Einfacher ausgedrückt: Für die Berechnung des absoluten Mehrs werden in Zürich die leeren Zeilen – dann also, wenn ein Wähler seine Stimmkraft nicht voll ausschöpft – nicht berücksichtigt. Bei den letzten drei Zürcher Gesamterneuerungswahlen reichte es deshalb aus, wenn der Name im Schnitt etwa auf einem Drittel (32.2%) der Wahlzettel stand.

Die nachfolgende Abbildung macht deutlich, dass in den meisten Kantonen, welche denselben Berechnungsmodus anwenden wie Zürich, Kandidierende auf weniger als 40 Prozent der Wahlzettel gelistet sein müssen, um das erforderliche Mehr zu erzielen (hier geht es zur Version der Grafik für mobile Geräte).

Beispiel Kanton Schwyz

Welchen Effekt ein Systemwechsel bei der Berechnung des absoluten Mehrs haben kann, zeigt das Beispiel des Kantons Schwyz. Bis im Jahr 2005 galt dort der auf den Wahlzetteln beruhende Modus zur Berechnung des absoluten Mehrs.[1] Bei den letzten, nach diesem Berechnungsverfahren durchgeführten Wahlen vom 28. März 2004 erreichte keiner der 9 Kandidaten das erforderliche Mehr im ersten Wahlgang. Ein zweiter Wahlgang war nötig. Bei den Wahlen vom 16. März 2008 wurden erstmals nur noch die gültigen Kandidatenstimmen berücksichtigt. Als Folge davon halbierte sich der Schwellenwert des absoluten Mehrs beinahe und zwar auf 28.7 Prozent aller gültigen Wahlzettel. Dieses Mehr erreichten alle neun angetretenen Kandidaten. Ein zweiter Wahlgang war 2008 nicht mehr nötig.

Das erforderliche Mehr ist von der Stimmkraftausschöpfung abhängig

Das absolute Mehr, wie es in Zürich ermittelt wird, ist von der Stimmkraftausschöpfung abhängig. Würden beispielsweise alle Wähler und Wählerinnen exakt sieben Namen auf den leeren Wahlzettel schreiben, würde die Höhe des absoluten Mehrs 50 Prozent (+1) der Wahlzettel betragen. Bei den Zürcher Wahlen 2003 und 2007 hätten das nur jeweils drei Kandidaten, in 2011 gar nur ein Kandidat (Mario Fehr, SP) erreicht. Stets wäre in einem solchen hypothetischen Fall ein zweiter Wahlgang nötig gewesen. Kurz, die Stimmkraftausschöpfung entscheidet darüber (mit), ob ein zweiter, kostspieliger Wahlgang nötig ist.

Vergleicht man die Stimmkraftausschöpfung zwischen den Kantonen (AI und TI wurden ausgeschlossen), so zeigen sich teilweise drastische Unterschiede. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden werden die Stimmzettel fast gänzlich ausgefüllt (bzw. es werden die gedruckten ausseramtlichen Wahlzettel unverändert eingelegt), während im Kanton Wallis mehr als die Hälfte der Linien auf dem Wahlzettel leer bleiben. Auffallend ist auch, dass in einigen Kantonen die Stimmkraftausschöpfung von Wahl zu Wahl stark variiert (zum Beispiel im Kanton Neuenburg), während sie in anderen Kantonen stets etwa gleich hoch ist (Kanton Glarus). Der Kanton Zürich rangiert dabei im Mittelfeld mit vergleichsweise konstanten Werten von etwas über 60 Prozent. Nachfolgender Boxplot zeigt den Median, das untere und obere Quartal sowie (allfällige) Ausreisser.

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Stimmkraftausschöpfung bei kantonalen Exekutivwahlen nach Majorz (2000-2014). Quelle: Eigene Daten und Berechnungen.

Unterschiedliche Arten von Wahlzettel

Woran liegt es, dass die Appenzeller den Wahlzettel derart gewissenhaft bis (fast) zur letzten Zeile ausfüllen, während etwa die Walliser die Hälfte der Zeilen leer lassen? Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen, angefangen mit dem kantonalen Wahlrecht, der Form der Wahlzettel (ausseramtliche oder leere Wahlzettel), dem Informationsmaterial, welches dem Wahlmaterial beigelegt wird, der Konkurrenzsituation, etc. Darauf werden wir in einem späteren Post vertiefter eingehen. Einstweilen möchten wir aber auf gewisse kantonale Eigenheiten hinweisen: Innerhalb eines Kantons variieren die Werte in Neuenburg am stärksten. Das liegt hauptsächlich daran, dass im Kanton Neuenburg ausseramtliche Wahlzettel zugelassen sind. Diese sind in der Regel «Parteilisten» (oder allenfalls «Parteiverbindungen» im Sinne eines Tickets wie man es etwa von Ständeratswahlen kennt), in denen die Namen der Parteikandidaten bereits vorgedruckt sind. Eine Parteisympathisantin kann diesen vorgedruckten Wahlzettel unverändert in die Wahlurnen einlegen, was sie/er auch häufig tut. In solch einem Fall ist die Stimmkraftausschöpfung ganz einfach davon abhängig, wie viele Namen auf diesen vorgedruckten Wahlzetteln stehen. Diese Zahl variiert in Neuenburg nun ziemlich stark. In ersten Wahlgängen kandidieren zuweilen 30 Kandidaten für die fünf Regierungssitze. Es gilt ausserdem das absolute Mehr, das kaum jemand schon im ersten Wahlgang erzielt. Die vorgedruckten Wahlzettel enthalten somit häufig auch fünf Kandidatennamen. In zweiten Wahlgängen ist das absolute Mehr nicht mehr erforderlich. Das Kandidatenfeld lichtet sich deshalb auch stark, denn es empfiehlt sich, nur so viele Kandidaten vorzuschlagen, wie man realistischerweise Sitze zu gewinnen erhofft. Und als Folge davon enthalten die vorgedruckten Wahlzettel auch nur noch drei oder vier Kandidatennamen.

Beispiel Kanton Wallis

Nirgendwo werden Wahlzeilen so häufig leer gelassen wie im Kanton Wallis. Hier trifft der obige Titel “one man, too many votes”, der sich am berühmten Slogan “one man, one vote” anlehnt, demnach am ehesten zu. Der Grund hierfür sind wiederum die ausseramtlichen Wahlzettel, die im Wallis erlaubt sind. Die Walliser Parteien legen dem Wahlmaterial ihre vorgedruckten Wahlzettel bei, die – wie etwa bei den Staatsratswahlen 2013 – häufig nur einen Namen aufweisen. Wird ein solcher Wahlzettel unverändert eingelegt, beträgt die Stimmkraftausschöpfung gerade mal 20 Prozent. Interessant ist in diesem Zusammenhang zudem, dass im Kanton Wallis aussergewöhnlich viele ungültige Wahlzettel eingelegt wurden. Der häufigste Grund für die Ungültigerklärung: Es wurden mehrere vorgedruckte Wahlzettel gleichzeitig eingelegt. Zum Beispiel: die Liste der SVP (einziger Kandidat 2013: Oskar Freysinger) und die Liste der SP (einzige Kandidatin 2013: Esther Waeber-Kalbermatten). Zugegeben, diese Kombination – SVP und SP – ist wohl eher selten so eingeworfen worden, aber im Prinzip wäre der Wählerwille in solch einem Fall weiterhin erkennbar und die Stimmkraftausschöpfung würde steigen. Doch das Einlegen zweier Listen (auch wenn sie die Maximalzahl der zu wählenden Kandidaten nicht übersteigt) ist im Kanton Wallis nicht gültig (siehe hierzu diesen Artikel im Walliser Boten). Dies ist wohl ein weiterer Grund für die tiefe Stimmkraftausschöpfung im Wallis.

Schweizer Meister in der Stimmkraftausschöpfung: Der Kanton Glarus

Weil die Form der Wahllisten offenbar einen starken Einfluss auf die Stimmkraftausschöpfung ausübt, folgt nachstehend noch eine Abbildung derjenigen Kantone, die weder ausseramtliche Wahlzettel noch Kandidatenlisten zum Ankreuzen kennen.

 

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Stimmkraftausschöpfung bei kantonalen Exekutivwahlen nach Majorz und mit ausschliesslich leeren Wahlzetteln (2000-2014). Quelle: Eigene Daten und Berechnungen.

Selbst wenn man Kantone mit ausseramtlichen «Parteilisten» und Kandidatenlisten zum Ankreuzen nicht berücksichtigt, ergeben sich immer noch erhebliche Unterschiede. Spitzenreiter ist dabei der Kanton Glarus mit einer Stimmkraftausschöpfung von rund 90 Prozent. Die Glarner Wähler und Wählerinnen erhalten jedoch nur einen leeren Wahlzettel, kein zusätzliches Informationsmaterial. Und trotzdem bleiben im kleinen Landsgemeindekanton kaum welche Zeilen auf dem Wahlzettel leer. Ob es dafür nebst dem anekdotischem Beweismaterial auch noch systematische und empirisch überprüfbare Gründe gibt, wollen wir in einem späteren Post erläutern.

von Thomas Milic (und Basil Schläpfer)

[1] § 41 des Gesetzes über die Wahlen und Abstimmungen des Kantons Schwyz wurde am 23.11.2005 geändert.

 

Berechnung der Stimmkraftausschöpfung

Bei den kantonalen Exekutivwahlen besitzt jeder Wähler und jede Wählerin so viele Stimmen wie Regierungssitze zu vergeben sind. In dreizehn Kantonen sind dies sieben, in den anderen dreizehn Kantonen fünf Stimmen. Diese sieben bzw. fünf Stimmen stellen das individuelle Stimmenpotenzial dar. Dieses muss nicht vollständig ausgeschöpft werden. Der Wahlzettel kann auch nur zu einem Teil ausgefüllt werden (bzw. es ist auch möglich, einen gänzlich leeren Wahlzettel einzuwerfen). Uns interessiert nun ebendiese Zahl, d.h., wie viele gültige Namen durchschnittlich auf den Wahlzettel geschrieben werden. Weil die Zahl der Regierungssitze zwischen den Kantonen variiert, haben wir in der Folge nicht die Zahl der Stimmen pro Wähler ausgerechnet, sondern den Anteil Stimmen in Prozent. Die Referenzgrösse bildeten dabei die gültigen, materiellen Wahlzettel. Mit anderen Worten wurden nur diejenigen als Wähler bzw. Wählerinnen berücksichtigt, welche einen gültigen Wahlzettel eingeworfen haben, der zumindest einen Kandidatennamen enthielt. Dies entspricht im Schnitt 96 Prozent aller Teilnehmenden (2000 – dato), demnach einer überwältigenden Mehrheit aller Teilnehmenden.

Berechnung der massgebenden Stimmen

Der Anteil Stimmen pro Wähler errechnet sich als Anteil massgebender Stimmen pro gültigem Wahlzettel. Diese Zahl ist nicht notwendigerweise identisch mit der durchschnittlichen Zahl der Namen, welche ein Wähler auf den Stimmzettel notierte. Aus zwei Gründen: Zunächst bilden nicht die Wähler, sondern die gültigen Wahlzettel den «Nenner». Anzahl Wähler und Anzahl gültige Wahlzettel sind in der Regel fast gleich hoch, aber nicht identisch. Hinzu kommt, dass in einer gewissen Zahl von Kantonen Wahlvorschläge verbindlich sind. Nicht in Zürich, hier ist jede stimmberechtigte Person, die ihren politischen Wohnsitz im Kanton Zürich hat, wählbar. Man kann sich somit selbst auf den Wahlzettel schreiben. Bei den Regierungsratskandidaten darf man im Übrigen davon ausgehen, dass sie genau dies tun: nämlich sich selbst auf den Wahlzettel aufführen. Doch auch die Autoren dieses Beitrags könnten dies in Zürich tun. Gewiss, ihre Chancen, die Wahlen zu gewinnen, sind annähernd Null, aber diese Stimmen würden als gültige Stimme zählen (und würden notabene für die Berechnung des absoluten Mehrs einfliessen). Dies ist aber nicht in allen Kantonen so. Im Kanton Solothurn beispielsweise sind Wahlvorschläge verbindlich, d.h. nur Kandidaten, die sich innerhalb einer bestimmten Frist angemeldet haben und von mind. 100 Stimmberechtigten «vorgeschlagen» wurden, können gewählt werden. Wer sich also im Kanton Solothurn selbst auf den Wahlzettel schreibt (und kein «vorgeschlagener» Kandidat ist), gibt eine ungültige Einzelstimme ab. Diese ungültigen Stimmen wurde im vorliegenden Beitrag zur Berechnung der Stimmkraftausschöpfung nicht berücksichtigt. Wie wir meinen, zu Recht. Denn, wer eine ungültige Stimme abgibt, schöpft seine Stimmkraft nicht aus – ungeachtet dessen, dass exakt dieselbe Vorgehensweise in einem anderen Kanton nicht sanktioniert wird.