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Isabelle Moret und Ignazio Cassis unterscheiden sich kaum

Am Mittwoch findet die Ersatzwahl von Bundesrat Didier Burkhalter statt. Die FDP tritt gleich mit drei Persönlichkeiten an: die Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret, der Tessiner Nationalrat Ignazio Cassis und der Genfer Staatsrat Pierre Maudet. Doch wie unterscheiden sich diese Kandidaten?

Am meisten Chancen dürften die beiden Kandidaten aus dem Nationalrat haben, da in der Diskussion um die Bundesratswahl vor allem die Region und Geschlechterfrage im Zentrum steht. Die italienische Schweiz war das letzte Mal 1986 mit Flavio Cotti im Bundesrat vertreten. Deshalb hofft die Tessiner Bevölkerung mit Ignazio Cassis nach über 30 Jahren ohne Bundesrat endlich wieder vertreten zu sein. Ebenfalls Anspruch erhebt auch die Westschweizer Frauen. Sie seien noch nie vertreten gewesen, weshalb es umso wichtiger sei, dass mit Isabelle Moret endlich eine Frau aus der lateinischen Schweiz Bundesrätin werde.

Nun kommt die Frage auf, inwiefern sich die beiden Nationalratsmitglieder im Parlament unterscheiden. Es gibt keinen signifikanten Unterschied in der aktuellen Legislatur sowohl auf der kulturellen wie auch auf der ökonomischen Dimension. Das heisst aber noch lange nicht, dass Ignazio Cassis und Isabelle Moret bei allen Abstimmungen gleich gestimmt haben. So haben sie in 20 von 868 unterschiedlich gestimmt, also in gerade mal gut zwei Prozent aller Abstimmungen. In 68 Prozent aller Abstimmungen haben sie gleich gestimmt. In einer Abstimmung haben sich beide enthalten und in vier haben beide nicht teilgenommen. Ignazio Cassis hat nur bei 15 Abstimmungen nicht teilgenommen und sich bei 9 Enthalten. Isabelle Moret hingegen hat bei 212 Abstimmungen nicht teilgenommen, was fast ein Viertel alle Abstimmungen ist. Gerade vier dieser Abwesenheiten waren entschuldigt. 26 Mal hat sie sich enthalten.

Auf der kulturellen Dimension unterscheiden sich die beiden beispielsweise beim Umgang mit Straftätern. Isabell Moret stimmte für eine Erschwerung der Entlassung von Verwahrten. Ebenso war sie für die Haftung des Gemeinwesens bei einer Bedingten Entlassung von Sexualstraftätern und die bei schweren Delikten zwingend eine DNA-Probe genommen werden muss. Ignazio Cassis war bei allen drei Vorlagen dagegen.

Hier geht es zur interaktiven Version der Karte

Auch auf der ökonomischen Dimension finden sich Unterschiede. So hat beispielsweise die Waadtländer Bundesratskandidaten für das Gesetz über die Schwarzarbeit gestimmt wohingegen der Tessiner Bundesratskandidaten dagegen war.

Was die Analyse auch zeigt: Im Vergleich zur Legislatur 2011-2015, als Cassis noch eher zum linken Flügel der Fraktion zählte, hat er sich nach rechts bewegt. Wer der nächste Bundesrat oder die nächste Bundesrätin wird, zeigt sich am Mittwoch. Was schon jetzt klar ist: Ob Cassis oder Moret gewählt werden, macht inhaltlich wenig Unterschied.

Benjamin Schlegel

[1] Foto: Felix Imobersteg

Die anderen 16 Unterschiede

Isabelle Moret war für die Abschreibung der parlamentarischen Initiative, dass Komatrinker ihren Spitalaufenthalt selber bezahlen müssen, Ignazio Cassis war dagegen. Der Tessin war gegen eine Anpassung, dass die Finma sich aktiv für das Ansehen und die Stärkung des Finanzplatzes einsetzen soll, die Waadtländerin war dafür. Die französischsprachige Kandidatin war zudem für eine Studie über die Auswirkungen des neuen Namensrecht, er war dagegen.

Auch bei den Finanzen hatten die beiden das Heu nicht immer auf der gleichen Bühne. Moret hat dem Voranschlag 2016 zugestimmt, Cassis hat ihn abgelehnt. Sie war auch dafür, dass Unternehmen im Dienstleistungssektor einfacher Kurzarbeit einführen konnten. Der italienischsprachige Kandidat war hingegen für einen Abbau des Administrativaufwands für die AHV, sie war dagegen. Die Waadtländerin hat für eine Besteuerung von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken gestimmt, er hat die Vorlage des Bundesrates abgelehnt.

Er war dafür, dass neu das Parlament für die SRG-Konzession zuständig ist. Davon wollte Moret nichts wissen. Sie hätte lieber eine duale Konzessionskompetenz gehabt mit Bundesrat und Parlament, wovon ihr Fraktionskollege jedoch nichts wissen wollt. Sie wollte auch nichts davon wissen, dass die Finanzhilfe für familienergänzende Kinderbetreuung erhöht wird. Er hingegen schon.

Isabelle Moret wollte zudem eine Studie zu den Auswirkungen des Pestizids Glyphosat in der Schweiz. Ignazio Cassis war dagegen. Auch nahm die Waadtländerin das Zusatzprotokoll zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung an, er lehnt es ab. Er war hingegen dafür, dass für jedes neue Gesetz ein bestehendes aufgehoben werden muss, sie war dagegen.

Der Tessiner hat für mehr Direktzüge von Luzern ins Tessin gestimmt, sie war dagegen. Er war auch gegen eine Motion, dass weiterhin Schweizer Milchprodukte für die Linderung von Hungersnöten weltweit eingesetzt werden, sie war dagegen. Isabelle Moret war für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Parlament, er war dagegen.

Methode

Im folgenden wurde zur Analyse der Abstimmungen ein zweidimensionales IRT Modell gerechnet. Für die Analyse wurden alle Abstimmungen der laufenden Legislatur übernommen, wobei die laufende Session nicht einbezogen wurde. Die Signifikanz der Unterschiede wurde mittels First-Difference-Schätzung ermittelt.

Wer wählte wen und warum bei den Ständeratswahlen

Warum schneidet die SVP immer so schlecht ab bei den Ständeratswahlen, obwohl sie bei den Nationalratswahlen mit Abstand die stärkste Partei ist? Und warum trifft dies bei der SP nicht zu, obwohl sie, wie die SVP, eine Polpartei ist? Die Masterarbeit von Benjamin Schlegel zu den Ständeratswahlen 2015 ist zu interessanten Ergebnissen gekommen.

Man könnte meinen, die Parteien im Bürgerblock würde sich bei den Ständeratswahlen gegenseitig unterstützen. Dem ist aber nicht so. Personen, welche die FDP-Liste bei den Nationalratswahlen 2015 eingelegt haben, unterstützen ihre eigene Partei am stärksten. Soweit so gut. An zweiter Stelle kommt nun aber nicht die CVP oder SVP, wie man denken könnte, sondern die SP, die 15.5 Prozent der FDP-Stimmen erhielt. An die CVP-Ständeratskandidaten gingen hingegen nur gerade 12.1 Prozent der Stimmen.

Nicht nur bei der FDP punktet die SP

Das Gleiche gilt auch für die CVP-Basis, die schweizweit gesehen der SP gegenüber der FDP den Vorzug gaben bei der Wahl des Ständerates. Ebenso trifft das auf die BDP- und GLP-Basis zu, wo die SP ebenfalls bereits an zweiter Stelle kommt. Von den Grünen und den Sozialdemokraten bekamen die SP-Kandidaten nochmals viele Stimmen dazu. Nur bei der SVP-Basis konnten die SP-Ständeratskandidaten kaum punkten.

SVP-Kandidaten bekommen von anderen Parteien keine Unterstützung

Anders sieht es bei den SVP-Kandidaten aus. Die FDP-Basis unterstützte SVP-Ständeratskandidaturen erst an vierter Stelle (ca. 10.5% der Stimmen) und die Unterstützung aus der CVP ist quasi inexistent (3.5% der Stimmen).

Ursachenforschung bei der SVP…

Was sind die Ursachen für diese extreme Differenz zwischen SVP und SP? Bei der Tamedia-Nachwahlbefragung konnten die Umfrageteilnehmer aus mehreren Gründen auswählen, welche für sie entscheidend waren. Zur Auswahl standen die Persönlichkeit des Kandidaten, die Parteizugehörigkeit, das politische Profil, das Geschlecht, die Amtsführung, Kompetenz oder ein anderer Grund.

  • Hat ein Wähler als Wahlgrund die politische Position oder die Parteizugehörigkeit eines Kandidaten angegeben, so war seine Wahrscheinlichkeit, dass er einen SVP-Ständeratskandidaten unterstützte grösser, als wenn für ihn keiner dieser Gründe entscheidend waren.
  • Die Kompetenz hingegen wurde kaum als Grund bei der Wahl eines SVP-Kandidaten angegeben. Da die Mitte-Wähler in der Regel die Position der SVP nicht teilen, gaben sie ihnen auch keine Stimme.

Die SVP schneidet bei den Ständeratswahlen so schlecht ab, weil die Wähler ihre Kandidaten und Kandidatinnen in erster Linie als Parteisoldaten sehen und sie deshalb hauptsächlich von ihrer eigenen Basis gewählt werden. Die extremen Positionen und die stramme Parteiführung bringt zwar Vorteile für die Nationalratswahlen, scheint sich aber bei den Ständeratswahlen nicht auszuzahlen.

… und bei der SP

Anders sieht es bei den SP-Ständeratskandidaten aus. Bei diesen waren die Gründe Kompetenz und Persönlichkeit ausschlaggebend für einen Grossteil der Wählerinnen und Wähler. Aus diesem Grund wurden sie auch von vielen Mitte-Wählern unterstützt, da die Wähler nicht das politisches Profil des Kandidaten vor Augen hatten, sondern seine Persönlichkeit und Kompetenz. Und dies über alle Partei-Basen hinweg.

Der SP gelingt es also im Unterschied zur SVP ihre Kandidaten als kompetente Persönlichkeiten zu vermarkten und schneidet deshalb bei den Ständeratswahlen überdurchschnittlich erfolgreich ab.

Benjamin Schlegel

Die Tamedia-Nachwahlbefragung wurde von Sotomo im Auftrag von Tamedia durchgeführt. Die Umfrage fand am Wahlwochenende der National- und Ständeratswahlen im Oktober 2015 statt. Fast 40’000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben die Umfrage online ausgefüllt. Die Daten wurden anschliessend nach Kanton, Alter, Bildung sowie dem Entscheidungsverhalten bei vergangenen Wahlen und Abstimmungen gewichtet.

Der Wählerfluss (von den Nationalratswahlen zu den Ständeratswahlen) wurde mit einer gewichteten Häufigkeitstabelle berechnet. Welche Gründe für die Wahl entscheidend waren, wurde mithilfe einer multinomialen Regression eruiert.

 

Social Media und Schweizer Politik im September 2016

Alle scheinen sich einig zu sein: Social Media sind ein wichtiges Werkzeug für Politikerinnen und Politiker, Campaigner und sogar Bundesräte. Doch wozu ist Social Media wirklich gut? Sind die Netzwerke mehr als ein Marketingtool und taugen sie sogar für Prognosen? Für den Monat September hat Bruno Wüest das Netzwerk Schweizer Politiker unter die Lupe genommen.

Die zentralsten Nutzer von Twitter

Welche Schweizer Politiker sind besonders zentral? Bruno Wüest hat sich dieser Frage angenommen und die Schweizer Politiker auf Twitter untersucht.[2,3] Daraus ist die untenstehende interaktive Grafik entstanden. Erstens fällt auf, dass es sehr wenige Akteure mit einer hohen Zentralität gibt. Der grösste Teil der politischen Twitter-Nutzer folgt nur sehr wenigen Accounts und hat selbst wenige Follower. Zudem lässt sich die Wichtigkeit eines Akteurs nicht immer mit der Gesamtzahl Follower feststellen, wie das Beispiel von Arnaud Bonvin zeigt. Mit relativ wenig Followern ist er trotzdem für das Twitter-Netzwerk der Schweizer Parteien sehr zentral. Interessant ist zudem, dass unter den am besten vernetzten PolitikerInnen überaus häufig FDP-Accounts sind (Chrisitian Wasserfallen, Claudine Esseiva, Arnaud Bonvin, Christa Markwalder und der nationale FDP-Account FDP.DieLiberalen). Die FDP versteht es offensichtlich am besten, sich auf Twitter zu vernetzen. Andere Accounts wie derjenige von Cédric Wermuth und Nathalie Nickli, welche in früheren Analysen noch obenaus geschwungen sind, haben deutlich an Wichtigkeit verloren.[4]

Entwicklungen im Vergleich zum Vormonat

Wenn die Entwicklung der «Follower» an der Zahl zu Beginn des Monates gemessen wird, dann bilden wieder die glp und die SP die Schlusslichter.[5] Die Septemberabstimmungen scheinen keine nennenswerte Entwicklung verursacht zu haben. Die EVP, die CVP, die EVP und die FDP sind ähnlich stark gewachsen, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau.

Die Grünen und die BDP legen prozentual am meisten zu, was im Falle von ersteren mit der Initiative «Grüne Wirtschaft» zusammenhängen dürfte. Interessant wird im Zusammenhang mit der Grünen Partei sein, ob sich der Abstimmungskampf im Vorfeld der Atomausstiegsinitiative (27. November 2016) in der Entwicklung der Followerzahlen niederschlägt.

Facebook

Auf Facebook sieht die Lage anders aus. Gemessen an der Anzahl «Likes» zu Beginn des Monates haben die BDP, die glp, die CVP und die Grünen am wenigsten zugelegt. Das Wachstum der SP ist wieder auf ein normales Niveau gefallen, während die SVP prozentual am stärksten gewachsen ist und sich damit wieder stärker von der SP abzusetzen vermag.

Thomas Willi und Bruno Wüest

Wrap-Up: Zu Beginn jedes Monats veröffentlichen wir die aktuelle Entwicklung der «Likes» und «Followers» der nationalen Parteiaccounts auf Twitter und Facebook. Natürlich sind diese Zahlen mit Vorsicht zu geniessen. So bedeutet eine hohe Anzahl von «Likes» zum Beispiel noch nicht, dass eine Partei besonders gut über den eigenen Tellerrand hinaus «mobilisiert». Es kann auch sein, dass das Netzwerk einer Partei einfach grösser ist als das einer anderen Partei. Dennoch weisen die absoluten Zahlen zumindest auf das Potential von Viralität hin.

[1] Foto: Jason Howie|Flickr

[2] Die vollständige Analyse von Bruno Wüest finden Sie auf seiner Homepage.

[3] Wer ist zentral und was ist Zentralität überhaupt?  Zentralität lässt sich auf viele Arten feststellen. Die folgende Grafik stützt sich dafür auf die Eigenwert- und Betweenness-Zentralität. Twitter-Akteure mit einem hohen Eigenwert haben viele Friends und Follower, und deren Friends und Follower haben wiederum viele Friends und Follower und so weiter  und so fort – bis zum Rand des Netzwerkes. Die Betweenness-Zentralität hingegen entspricht der Anzahl kürzester Verbindungen zwischen allen Usern, die über den betrachteten Akteur führen. Ein Akteur mit einer hohen Betweenness-Zentralität verbindet viele andere Nutzer miteinander auf direktem Weg. Weil die Eigenwert-Zentralität auf die Accounts fokussiert und die Betweenness-Zentralität die Verbindungen berücksichtigt, ergänzen sich die beiden Analysen gut zu einem Gesamtbild. Zusätzlich ist die Anzahl Followers in der Grösse der Punkte dargestellt. Alle Angaben sind mit einer Aktivierung durch den Mauszeiger ersichtlich.

[4] Den Beitrag zur Schweizer Tweetokratie finden Sie hier.

[5] Die Beobachtungsperiode startet am 1.9.2016 und endet am 31.9.2016.

Wie die FDP-Abweichler das RTVG «retteten»

Folgen die kantonalen Sektionen den nationalen Parolen und wenn nicht, spielt das eine Rolle? Am Beispiel des RTVG geht der Gastbeitrag von Dominik Braunschweiger der Frage nach, wie stark sich kantonale Abweichler auf die Parolenkonformität und damit auf das Abstimmungsresultat auswirken.

Ein zentrales Merkmal des politischen Systems der Schweiz ist der stark ausgeprägte Föderalismus. Dieser äussert sich unter anderem in der hohen Unabhängigkeit regionaler politischer Parteisektionen von ihrer nationalen Mutterpartei. So kommt es regelmässig vor, dass eine kantonale Parteisektion in einer Abstimmungsfrage vom nationalen Parteikonsens abweicht und ihren Sympathisanten eine andere Parole nahelegt. Üblicherweise geschieht dies zum Missfallen der nationalen Meinungsträger und Führungspersonen der betroffenen Partei. So bezeichnete etwa Altbundesrat Christoph Blocher die SVP Thurgau als «faules Nest».[1] Die SVP Thurgau hatte im Jahr 2008 alleine in neun Abstimmungen andere Parolen herausgegeben als die SVP Schweiz und war damit Spitzenreiter der Abweichler.

Es scheint, Blocher und Co. ärgern sich zu Recht: Während den letzten 35 Jahren wichen in insgesamt 2352 Fällen kantonale Parteisektionen von den Parolen ihrer Mutterparteien ab. Das sind insgesamt rund 67 Abweichler pro Jahr, oder mehr als acht pro Abstimmungsvorlage. Doch wie relevant sind diese Abweichler wirklich? Lässt sich das Stimmvolk tatsächlich von den Argumenten und Parolen kantonaler Parteisektionen überzeugen oder bildet ohnehin die nationale Partei die Referenz?

Abweichler senken die Parolendisziplin

Diese Studie geht der Frage nach, ob kantonale Abweichler einen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis haben und wie geschlossen sich die Sympathisanten und Unterstützer einer Partei in Abstimmungen an die nationalen Parolen halten. Die Ergebnisse zeigen, dass kantonale Abweichler durchaus eine wichtige Rolle spielen. Zentral ist dabei die Parole der Parteisektion des Heimatkantons. Das sind die Resultate:

  • Weicht die Parole des Heimkantons ab, so sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Unterstützer einer Partei konform zur Parole der nationalen Partei stimmen und dies um 25 bis 60%.
  • Doch auch wenn zu viele andere Kantone abweichen, sinkt die Unterstützung der Basis für die nationale Parteileitung: Jeder abweichende Kanton senkt die Wahrscheinlichkeit, dass Unterstützer einer Partei gemäss nationaler Parole stimmen um rund zehn Prozent.

Mit knapp 45 Prozent hielt sich deutlich weniger als die Hälfte der FDP Wählerschaft an die nationale Parole.

Das kann bisweilen durchaus einen entscheidenden Einfluss auf den Verlauf einer Abstimmung haben. So waren beispielsweise bei der Abstimmung zum RTVG letztes Jahr die Glarner, Solothurner, Walliser, Tessiner, Genfer, Waadtländer und Jurassier Freisinnigen nicht mit der NEIN-Parole der FDP Schweiz einverstanden. Diese Uneinigkeit spiegelte sich denn auch im Abstimmungsverhalten der FDP-Sympathisanten wieder. Mit knapp 45 Prozent hielt sich deutlich weniger als die Hälfte der FDP Wählerschaft an die Parole ihrer Partei. In den Kantonen, wo Kantonssektionen abwichen, sank dieser Anteil sogar noch weiter auf knapp einen Drittel. Zum Vergleich: Durchschnittlich hielten sich während den letzten 35 Jahren jeweils knapp 70 Prozent der FDP-Sympathisanten an die Parole der Mutterpartei. Wäre ihre Parolenkonformität bei der Asbtimmung zum RTVG ähnlich hoch ausgefallen, so hätte dies definitiv ausgereicht, um das Resultat zu kippen. Die Vorlage wäre abgelehnt worden.[2]

map_parolenkonform

Wer weicht wie stark ab?

Interessant ist auch der Blick auf die verschiedenen Parteien. Während eine hohe Anzahl Abweichler die fünf wählerstärksten Parteien (SVP, SP, FDP, CVP und GPS) alle etwa gleich stark trifft, zeigen sich deutliche Unterschiede bezüglich des Effekts der Abweichung des Heimatkantons. So sinkt etwa bei den Anhängern der Grünen die Wahrscheinlicht zum parolenkonformem Stimmverhalten um gut 60%, wenn der Heimatkanton abweicht. Dieser extreme Einfluss der grünen Kantonssektionen mag teilweise durch die Tessiner Grünen und ihre umstrittene Position zur Migrationspolitik zustande gekommen sein. Er zeugt jedoch auch deutlich vom aussergewöhnlich stark regionalen Ursprung und der Heterogenität der grünen Bewegung.

Auf der anderen Seite der Skala finden sich SVP und CVP, bei denen abweichende Heimatkantone die Wahrscheinlichkeit zum parolenkonformen Abstimmungsverhalten ihrer Anhänger nur um rund 25% senken. Die Sympathisanten von SVP und CVP orientieren sich also offenbar eher an der Position der nationalen Partei als an ihren Kantonssektionen. Die Faulen Nester mögen Blocher und Co. noch nicht komplett im Griff haben – dafür immerhin ihre Wählerschaft.

Dominik Braunschweiger

Dominik Braunschweiger hat einen Master in Politikwissenschaften der Universität Zürich.

[1] Lesen Sie hier mehr dazu.

[2] Natürlich hätten auch andere Faktoren das äusserst knappe Resultat (50.1% Ja-Stimmen, respektive 3649 mehr Ja als Nein-Stimmen) kippen können. Die gewählte Vorlage erfüllt vor allem illustrative Zwecke.

Die politische Grosswetterlage: Bewölkt für Grüne und GLP, sonnig für die FDP?

Im Kanton Zürich brauchte die FDP 20 Jahre, um auf den Gewinnerpfad zurück zu finden. Die populärste These ist, dass diese Entwicklung mit der Themenkonjunktur zusammenhängt. Lässt sie sich bestätigen?

Die ökologischen Kräfte zählen bisher zu den Verlierern im Wahljahr 2015. Die kantonalen Wahlen von Zürich sind diesbezüglich keine Ausnahme. Auf der anderen Seite ist es der FDP in allen drei kantonalen Wahlgängen gelungen, Stimmanteile hinzuzugewinnen. So weit so bekannt. Natürlich haben die unterschiedlichen Ausgangslagen und die verschiedenen Wahlkämpfen gewisse Erklärungskraft. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das geschlossene Auftreten der bürgerlichen Parteien im Kanton Baselland oder die vom Elektorat anscheinend als ungenügend eingeschätzte Performanz des grünen Regierungsrates Graf in Zürich.[1] Dies mag den Ausgang der jeweiligen Legislativwahlen beeinflusst haben. Jedoch stellt sich gerade im Hinblick auf die Nationalratswahlen im Herbst, ob es kantonsübergreifende Ursachen für die Veränderungen der Parteistärken gibt.

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Eigene Darstellung. Quellen: Statistisches Amt Kanton Zürich und Bundesamt für Statistik.

Vergleichen Sie Parteistärke der FDP bei den Kantonsratswahlen 2011 mit jenen von 2015. Ziehen Sie hierzu den Slider nach links oder rechts. Je dunkler eine Gemeinde eingefärbt ist, desto stärker ist die Partei.

Das Wahlbarometer gibt mögliche Auskünfte

Sehr oft wird in diesem Zusammenhang auf die veränderten politischen Prioritäten verwiesen. Die kantonalen Wahlgänge vor vier Jahren fanden alle mehr oder weniger kurz nach dem Fukushima-Unglück im März 2011 statt. Im Wahlbarometer des Instituts GfS Bern vom Juni 2011 kam die Kategorie «Umwelt» bei der Frage «Welches ist Ihrer Meinung nach das dringendste Problem, das die schweizerische Politik heute lösen soll?»  aufsummiert auf 43% (erste und zweite Nennung). Damit war in diesem Politikfeld der empfunde Problemdruck am grössten. Parteien, die einen Atomausstieg befürworten, dürften davon profitiert haben. Im Wahlbarometer vom März 2015 wird der (empfundene) Problemdruck differenzierter abgefragt, aber selbst wenn wir alle auch nur irgendwie mit ökologischen Kernanliegen verbundenen Anliegen addieren, kommen wir nur noch auf 28%.[2] Das sind 15 Prozentpunkte weniger, als dies 2011 der Fall war. Hinzu kommt, dass wir so den Anteil der Personen, die mindestens eine der ökologischen Antwortkategorien gewählt haben, aufgrund der doppelten Antwortmöglichkeit ziemlich sicher überschätzen.

Kategorien, welche die Umwelt als wichtiges Handlungsfeld angeben, kommen nur noch auf 28%.

Anders als 2011 ist das Überthema dieses Jahr die Migrationspolitik (49%), gefolgt von EU nahen Themen (24%). Wobei bei unter letzterer Kategorie sowohl die Euro-Krise, die Bilateralen als auch weitere EU betreffende Antworten zusammengefasst sind. Dies ist symptomatisch, denn seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative befindet sich die Schweiz in einer Phase verstärkt empfundener Unsicherheit. Dem Wirtschaftsstandort Schweiz weht momentan ein rauer Wind entgegen. Die bilateralen Verträge stehen auf einem unsicheren Fundament und mit dem Wegfallen des Euro-Mindestkurses haben sich wirtschaftliche Unsicherheiten zusätzlich akzentuiert. Die Partei, die aus dem empfundenen Problemdruck Kapital zu schlagen scheint, ist die FDP: Offenbar sind Sorgen um den Arbeitsplatz wichtiger als Themen des Umweltschutzes. Wenn die Zukunft des Werkplatzes Schweiz auf dem Spiel steht, ist deren Kernanliegen – sprich, möglichst wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen – hoch im Kurs.[3]  Die veränderte Interessens-, Salienz-, Präferenz- oder Prioritätenlage erkennt man auch anhand der Google-Trends Daten.

debakel

Natürlich gibt es noch eine Vielzahl anderer möglicher Ursachen für die jüngsten Veränderungen der Parteienstärken. Vor allem müssen die tieferen Stimmanteile von GLP und GPS nicht diesselbe Grundlage haben. Angesichts der jüngsten Veränderungen bei den Parteistärken scheint es sich jedoch zu lohnen, für das Kommentieren von Wahlergebnissen den folgenden Satzbausstein ganz fett ins Notizenheft zu schreiben: «It’s the [*insert current event here*], stupid!».

[1] Der Artikel zur Exit-Umfrage vom Tages-Anzeiger: «Was Graf die Wiederwahl kostete».

[2] Dabei handelt es sich um die vier Kategorien Umwelt, Kernenergie/Ernergiewende, Bevölkerungswachstum/Mobilität/Zersiedelung, und Verkehr/Raumplanung, welche jeweils als wichtigstes oder zweitwichtigstes Problem genannte werden konnten.

[3] Charles Lewsinky widerspricht dieser These, denn der Mythos, dass die FDP eine Wirtschaftspartei sei, habe sich aufgelöst. Das Interview finden Sie hier: «Im Zweifelsfall wählt man bei uns immer Schneider-Ammann, egal in welcher Partei er ist».

[4] Passing Storm von Flickr/Roadsidepictures.

Gibt der Kanton Zürich den Ton an? Hier geht es zum Artikel.

Hier geht es zum Media-Monitor der Regierungsratswahlen im Kanton Zürich.

Hier finden Sie Wähleranteile (2011) auf Gemeindeebene des Kantons Zürich.

Hier finden Sie alles rund um die Stimmkraftausschöpfung.