Am 14. Juni 2015 hat das Schweizer Stimmvolk wiederholt über eine von linker Seite vorgeschlagenen Steuerreform zu entscheiden. Die letzten fünf wirtschaftspolitischen Initiativen aus dem linken Lager sind allesamt gescheitert, zum Teil überaus deutlich. Selbst das eigene Lager stand nur mässig hinter den Begehren. Was bedeutet das für die indirekten Wirkungen, die man mit solchen Initiativen oftmals zu erzielen versucht?
Am 14. Juni 2015 hat das Schweizer Stimmvolk über die Volksinitiative «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV» (nachfolgend kurz: Erbschaftssteuerinitiative) zu befinden. Zum wiederholten Male innert wenigen Jahren wird damit über eine steuerpolitische Vorlage aus dem linken Lager entschieden. Zwar geht es bei der Erbschaftssteuerinitiative nicht um eine nationale Harmonisierung der Einkommens- und Vermögenssteuer (wie bei der Steuergerechtigkeitsinitiative 2010) und auch nicht um eine Abschaffung der Aufwandbesteuerung (Pauschalbesteuerungsinitiative 2014), sondern um die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer. Diese sei aber kein linkes, sondern vielmehr ein urliberales Anliegen, argumentieren die Befürworter.[2] Es fördere das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit, welches doch einer der Grundpfeiler des liberalen Programms sei.
Das Buhlen um die Stimmen der liberalen Wähler und Wählerinnen scheint bislang ohne Erfolg geblieben zu sein. Vielmehr sieht es so aus, als ob der Erbschaftssteuerinitiative das gleiche Schicksal droht wie anderen, von vornherein als linke Projekte deklarierten Steuerreformen der jüngeren Vergangenheit. Die Vorumfragen von 20 Minuten und gfs.bern (siehe nachfolgende Abbildungen) deuten auf jeden Fall auf eine klare Ablehnung hin. Sollte die zweite Umfrage von gfs.bern den klassischen Trend von sinkenden Zustimmungsraten bei linken wirtschaftspolitischen Initiativen stützen, ist sogar ein ähnliches Debakel wie bei der Mindestlohninitiative zu erwarten [3]. [Update: Inzwischen ist die 2. Umfrage von gfs.bern erschienen. Sowohl diese als auch die 20 Minuten-Umfrage lassen vermuten, dass die Zustimmung gar nicht oder weniger stark gesunken ist, als bei anderen linken wirtschaftpolitischen Initiativen.]
Indirekte Wirkungen von Initiativen
Für den direkten Erfolg einer linken Initiative braucht es notwendigerweise auch eine Stimmunterstützung aus dem Lager der Mitte- oder Rechtswähler. Denn die Stimmen der linken Wählerschaft alleine reichen niemals für einen direkten Initiativerfolg aus. Die Rothenthurm-Initiative (1987) ist ein vielzitiertes, weil gutes Beispiel dafür: Sie wurde angenommen, weil neben den obligaten Stimmen der linken Umweltschützer auch noch diejenigen der rechten Heimatschützer hinzukamen. Doch zuweilen streben die Initianten – notabene aus dem linken Lager – gar keinen direkten Erfolg an der Urne an. Das heisst, sie rechnen schon bei der Lancierung ihres Begehrens nicht (bzw. kaum) mit deren Annahme durch das Volk.
Allerdings erhoffen sie sich von der Initiativabstimmung indirekte Effekte: Zum Beispiel die Auslösung eines Diskurses, der längerfristig zu einer Meinungsänderung führt (z.B. die GSoA-Initiative von 1989, welche die nachfolgenden Armeereformen eingeleitet hatte). Oder man erhofft sich einen indirekten Gegenvorschlag von Regierung und Parlament, der Teile des Begehrens «prophylaktisch» umsetzt. Zuletzt – und darauf hoffen Parteien eigentlich immer – resultieren aus einer Initiative vielleicht auch Wählerstimmen, dann nämlich, wenn das Vorlagenthema auch den (nachfolgenden) Wahlkampf zu dominieren vermag. Und in der Tat ist zumindest nicht auszuschliessen, dass man bei der Lancierung der Erbschaftssteuerinitiative eher auf diese indirekten Wirkungen abzielte als auf einen sensationellen Erfolg an der Urne. Um die eben genannten indirekten Wirkungen realisieren zu können, braucht es aber vor allem eines: Die bedingungslose Unterstützung der Initiative im eigenen Lager. Fehlt diese, darf man weder darauf hoffen, dass die Initiative als Wahlhelfer dienen könnte, noch darauf, dass Teile davon vor der Abstimmung umgesetzt werden, um die Erfolgschancen des Begehrens zu verringern.
Indes, die letzten fünf wirtschaftspolitischen Initiativen aus dem linken Lager erzielten eher ernüchternde Unterstützungswerte bei der SP. Bei vier der fünf Vorlagen wichen mehr als 30 Prozent der SP-Sympathisanten von der Stimmempfehlung ihrer nationalen Delegiertenversammlung ab. Wohlgemerkt: Diese Abweichung wurde für Initiativen ermittelt, die entweder von der SP selbst, einem SP-nahen Komitee oder aus dem linken Lager generell lanciert wurden. Nun sollte man aber erwarten dürfen, dass die Parteianhängerschaft zumindest bei eigenen Initiativen parolenkonform stimmt. Dies ist jedoch nur bedingt der Fall (siehe nachfolgende Abbildung).

Man mag nun argumentieren, dass dies der Ausdruck einer «reifen, emanzipierten» Parteianhängerschaft ist, die sich nicht einfach gedankenlos an Parolen orientiert, sondern ihre Meinung unabhängig vom offiziellen Parteistandpunkt bildet. Das wird (in dem einen oder anderen Fall) gewiss auch stimmen. Man mag aber ebenso gut argumentieren, dass es offenbar zu einem Strukturwandel in der Parteienlandschaft gekommen ist, welcher dazu geführt hat, dass eine beträchtliche Zahl der SP-Wählerschaft in Wirtschaftsfragen nicht mehr auf der gleichen Linie politisiert wie ihre Parteispitze. Dazu passt zumindest folgendes, pikantes Detail: Paradoxerweise stimmt nämlich die SP-Anhängerschaft viel disziplinierter (sprich: parolenkonformer) ab, wenn die Initiative von der SVP (oder einem ihr nahen Initiativkomitee) stammt. Damit kein Missverständnis aufkommt: Die SP-Anhängerschaft stimmt natürlich grossmehrheitlich gegen die SVP-Initiativen, demnach eben parolenkonform (denn die SP-Parole lautet in solchen Fällen stets «Nein»). Die Kernaussage aber ist: Die SP-Anhängerschaft stimmt viel parolenkonformer bei SVP-Initiativen als bei den eigenen Initiativen! Was ein «V» im Parteinamen doch alles bewirken kann! Scherz beiseite, der Grund dafür liegt wohl daran, dass die Haltung zu Europa und zu Ausländern und Ausländerinnen in der Zwischenzeit viel stärkere linke Identifikationsmerkmale sind als wirtschaftspolitische Präferenzen. Das aber dürfte nicht ohne Auswirkungen auf den indirekten Effekt wirtschaftspolitischer Initiativen von Links bleiben.
[1] Foto: Flickr/aquarian_insight
[2] Mehr dazu finden Sie hier.
[3] Die Grafiken zeigen den Ja-Anteil (Stimmabsicht) in % bei der entsprechenden Vorumfrage. Die Gesamtheit bilden bei den gfs.bern-Umfragen alle Befragten, die angeben, sicher teilnehmen zu wollen. Vom hier ausgewiesenen Ja-Anteil kann deshalb nicht automatisch auf den entsprechenden Nein-Anteil geschlossen werden, weil es immer auch noch solche gibt, die sich zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht entschieden haben. Gleiches gilt auch für die 20 Minuten-Vorumfragen: Auch hier bilden alle Teilnahmewilligen (darunter auch Unentschiedene) die Gesamtheit.