Im Wahlkampf 2015 wurde auf Twitter rege diskutiert. Doch woher stammen die Tweets? Bestimmt eine Region den gesamten Onlinediskurs? Der Gastbeitrag von Nicole Bosshard zeigt neben der Themeneinteilung auch, dass der Röstigraben auf Twitter beinahe überwunden wurde.
Twitter wurde kürzlich zehn Jahre alt. In der Schweiz sind über 250’000 Userinnen und User auf dem Social-Media-Kanal aktiv. [2] Davon konnten rund 2100 parteipolitisch-relevante Accounts identifiziert werden. Darunter sind sowohl kommunale, kantonale und nationale Politikerinnen und Politiker vertreten, wie auch Parteien aller Ebenen und User mit einer Parteibindung oder einer sonstigen parteipolitischen Affiliation.
Diese Untersuchung konzentriert sich auf alle Tweets, welche in der Wahlkampfphase zu den eidgenössischen Wahlen im letzten Herbst (18.07.2015- 18.10.2015) zu einem parteipolitischen Stichwort und/oder von einem partei-affiliiertem User publiziert wurden und eine geografische Zuordnung zuliessen. Nach Bereinigung der Daten sind dies rund 17000 Tweets.
DIE WAHLEN- DAS DOMINANTE THEMA
Zu Hashtags wie #Chvote, #WahlCH15 oder #wahlen – um nur einige der untersuchten Stichworte zum Themenkreis «Wahlen 2015» zu nennen – wurde am absolut häufigsten getweetet. Unter der Rubrik «Politik Allgemein» folgten politische Hashtags wie #politik oder #abst, oder auch jene, welche direkt auf sachpolitischen Inhalte zielen, wie beispielsweise #mei. Das Thema «Sonstiges» fasst Tweets mit theoretisch politisch irrelevantem Content, wie #srf oder #wetter zusammen. Die Parteien umfassen die sieben grossen Schweizer Parteien. Mediale oder öffentlichkeitsrelevante Stichworte, wie zum Beispiel #refugeeswelcome werden unter «Öffentlichkeit» gruppiert. Mobilisierungsbemühungen gegen die SVP (unter anderem: #stopSVP) oder auch Wahlaufforderungen (z.B. #govote) fanden verhältnismässig geringen Anteil.
Sprachregionale Unterschiede lassen sich sowohl in der Quantität der Tweets, wie auch in deren Inhalt finden. Die Mehrheit der Tweets stammte erwartungsgemäss aus der Deutschschweiz (76%). Jedoch ist nur eine Minderheit der Deutschschweizer Tweets (~35%) eindeutig dem Wahlkampf zuzuordnen. Je rund 20% der Tweets in diesem Gebiet widmeten sich den Parteien- oder der allgemeinen Politik.
Das Tessin verfasste nur 1% aller Tweets im Wahlkampf. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem italienisch-sprachigen Teil der Schweiz ist deshalb gesamtschweizerisch kaum relevant. Hinzuweisen ist nichtsdestotrotz darauf, dass auch im Tessin das Wahlkampfthema überwog. Ebenfalls erwähnenswert ist die Tatsache, dass medial- und öffentlichkeits-relevante Themen einen höheren Anteil der Tweets ausmachten, als in den anderen Sprachregionen.
AKTIVISTIN ROMANDIE
Gegenteilig dazu zeigt sich die Romandie: 23% aller Tweets wurden in einem (mehrheitlich) französischsprachigen Kanton versendet und rund 80% dieser Kurznachrichten drehten sich rund ums Thema Wahlkampf.
GEOGRAFISCHE ZUORDNUNG
In einer Analyse erkannten Wüest und Müller, dass die urbanen Zentren die meisten partei-affiliierten Accounts in der Schweizer Twitterlandschaft bewirtschaften.[3] Die grössten Städte sind dabei eher diejenigen mit den meisten Accounts. Kleinere Ortschaften sind in ihrem Sample ebenfalls ziemlich gut repräsentiert, während der Nachteil eher bei mittelgrossen Gemeinden (20000 bis 30000 Einwohner) liegt.
TWITTERWAHLKAMPF IN DEN KANTONEN
Kantone mit den (absolut) gesehen meisten politischen Tweets sind Bern, Zürich, Waadt und Luzern. Kantone ohne urbane Zentren wie die beiden Appenzell, Uri, Jura, Glarus, Nid- und Obwalden oder Schwyz spielten im politischen Twitter absolut und relativ gesehen kaum eine Rolle. Die Analyse zeigt auch, dass Twitter noch nicht eine gesamtschweizerische Etablierung erreichen konnte. Besonders ländliche Kantone, wie auch das Tessin, aber auch Genf oder Schaffhausen hinken ihrem Potential hinterher.
DIE WAHLKAMPFKÖNIGE
Die Zahlen der User des Kantons Waadt sind als Überraschung einzustufen. Mit einem sehr kleinen Anteil (gerade mal 4%) an der Diskussion zu Parteipolitik und allgemeinen politischen Themen erwartet man nicht zwingend ein Auffallen in der Nutzung von wahlkampfspezifischen Hashtags. Jedoch gehen fast 21% aller Wahlkampftweets in den Kanton Waadt. Gesamthaft war er der relativ dritt aktivste Kanton im Twitter-Wahlkampf. Verantwortlich dafür ist die Aktivität von Usern aus Lausanne. Stellten Wüest und Müller (2015) noch fest, dass Lausanne unter den parteipolitischen Twitterer eher unterrepräsentiert war, haben diese im letzten Wahlkampf zugelegt und waren sehr aktiv.
Eher erwartet wurde eine grosse Aktivität von den Berner Accounts. Sowohl im allgemeinen politischen Diskurs (rund 30% aller Tweets aus dem Kanton Bern), wie auch in der Wahlkampfdiskussion (über 20%) erwies sich der Kanton absolut und relativ als äusserst aktiv.
DER RÖSTIGRABEN IST NICHT BESONDERS TIEF
Die Grafik untermauert die Annahme, dass Twitter -zumindest in der politischen Sphäre- eher ein Wahlkampfmedium der Kantone mit urbanen Zentren war. Diese Feststellung lässt sich jedoch nicht auf alle Kantone übertragen. Der Kanton Genf etwa zeigte sich im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl ziemlich inaktiv. Interessant ist, dass in der Aktivität der Kantone kein tiefer Röstigraben existiert. Unterschiede bestehen hingegen in der Themenwahl: Die französischsprachige Schweiz zeigt sich wahlkampforientierter als die deutschsprachige Schweiz.
Nicole Bosshard
Nicole Bosshard studiert an der Universität Zürich (MA) mit dem Hauptfach Politikwissenschaft und dem Nebenfach Publizistik und Kommunikationswissenschaften.
Daten
Die Daten stammen aus einer Erhebung des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Zürich. Die Tweets wurden mittels Twitter-API für den Zeitraum des Wahlkampfes gestreamt. Die Ortschaften wurden mittels Google-Maps codiert. Eine randomisierte Strichprobe zeigte, dass die Codierung zuverlässig erfolgte. Die Hashtags wurden in einem mehrschichtigen Verfahren definiert. Und dabei unter anderem mit den Stichworten von Politan und dem foeg abgeglichen.[4][5] Die Endauswahl beinhaltet 38 (der 80 meist verwendeten Hashtags), welche in acht Themengebiete gruppiert werden können. Die Fallzahl beträgt 17000: Dies sind alle Tweets, die von einem partei-affiliiertem Account gesendet wurden, oder aber ein partei-affiliiertes Stichwort beinhalten, sich codieren liessen und einem Themengebiet zuzuordnen waren.
[1] Foto: cagbay |Flickr
[2] Informieren Sie sich unter diesem Link über die Zahlen der Net-Metrix-Erhebung.
[3] Die Studie von Wüest und Müller können Sie hier nachlesen.
[4] Lesen Sie mehr im folgenden Artikel von Politan.
[5] Die Medienagenden des foeg sind hier zu finden.