Die Ecopop-Initiative fordert eine Begrenzung der Nettozuwanderung auf 0.2 Prozent der ständigen Bevölkerungsgrösse, was einer Nettozuwanderung von rund 16’000 Personen jährlich entspräche. Gleichzeitig sollen zehn Prozent des Entwicklungshilfebudgets in die Familienplanung investiert werden. Damit stimmt das Schweizer Stimmvolk zum wiederholten Male über eine Zuwanderungsfrage ab. Und doch ist die Ecopop-Initiative nicht vergleichbar mit den Migrationsvorlagen, mit denen sich die Schweizer Stimmberechtigten bisher konfrontiert sahen. Denn es handelt sich um eine Forderung nach Zuwanderungsbegrenzung, die von links-ökologischen Kreisen lanciert wurde und die von der SVP – zumindest von ihren Parteispitzen – abgelehnt wird. Die übliche Konfliktkonfiguration im Vorfeld solcher Abstimmungen wurde gewissermassen auf den Kopf gestellt. Hinzu kommt: Verschiedene SVP-Exponenten rieten zwar, die Initiative abzulehnen, liessen gleichzeitig aber durchblicken, dass ihnen eine knappe Ablehnung durchaus gelegen käme. Höchst ungewöhnlich ist auch, dass eine Initiative aus links-ökologischen Kreisen von den meisten national bekannten Exponenten der Grünen Partei vehement bekämpft wird.
Damoklesschwert MEI
Was die Abstimmung über die Ecopop-Initiative zusätzlich von anderen Migrationsvorlagen unterscheidet, ist der Umstand, dass die Masseneinwanderungsinitiative wie ein Damoklesschwert über der Abstimmung hängt: Den Stimmbürgern und Stimmbürgerinnen ist kaum entgangen, dass ein hoher Ja-Stimmenanteil als unmissverständliche Aufforderung, die MEI strikt umzusetzen, interpretiert würde. Ein tiefer Ja-Stimmenanteil würde hingegen als Signal für eine laxe Umsetzung der MEI verstanden. Das könnte sich in einem rein taktisch motivierten Stimmentscheid niederschlagen: Einige Bürger werden wohl nicht nur über die Ecopop-Initiative abstimmen, sondern zugleich auch über die Umsetzung der MEI. Alles in allem stellt dies eine sehr ungewöhnliche Ausgangslage dar.
Mobilisierung möglicherweise mitentscheidend
Zur Irritation trug sodann auch bei, dass die Vorumfragen von 20 Minuten und SRF zu Beginn diametral entgegengesetzte Momentaufnahmen auswiesen. In der ersten Welle der 20 Minuten-Umfrage sprach sich eine knappe Mehrheit zugunsten des Volksbegehrens aus, während gfs.bern das Lager der Befürworter auf lediglich 35 Prozent bezifferte. Die 20 Minuten-Umfrage löste bei den Gegnern offenbar einen Schock aus, denn es folgte eine massive Gegenkampagne.
Von gewisser Bedeutung für die Erfolgsaussichten einer Initiative im Bereich der Migrationspolitik ist die Mobilisierung.
Eigene Darstellung, Daten: bfs
Je höher die Stimmbeteiligung, umso stärker steigen die Erfolgschancen einer solchen Initiative. Denn bei einer hohen Stimmbeteiligung nehmen viele Bürger teil, die ansonsten nie oder höchst selten partizipieren. Das ist selbstredend kein Naturgesetz. Obige Darstellung zeigt, dass es davon durchaus Ausnahmen gibt. Aber generell gilt: Je mehr unregelmässige Urnengänger partizipieren, desto höher der Ja-Stimmenanteil für Initiativen, die eine restriktivere Migrationspolitik fordern. Ein gutes Beispiel ist die MEI: Die entsprechende Vox-Analyse belegte, dass die selten partizipierenden Stimmbürger deutlich stärker zugunsten der Initiative gestimmt haben als die fleissigen und regelmässigen Urnengänger.
Stimmbeteiligung
Wie hoch die Beteiligungsrate am 30. November 2014 ausfallen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt unbekannt. Die Staatskanzlei des Kantons Genf und die Stadt Zürich weisen jedoch täglich den Anteil der eingegangenen Stimmzettel aus. Daraus lassen sich – unter Berücksichtigung gewisser Parameter – Aussagen zur Beteiligungshöhe kommender Urnengänge ableiten. Im Falle der Ecopop-Initiative liegt ein Vergleich zur MEI nahe. Zum einen wird am 30. November 2014 über eine sehr ähnliche Sachfrage abgestimmt wie am 9. Februar 2014 und zum anderen liegt die MEI-Abstimmung bloss wenige Monate zurück. Der Anteil brieflich Stimmender wird sich in dieser kurzen Zeit kaum gross verändert haben, was einen Vergleich verlässlicher macht als ein solcher mit einer Vorlage, die weit in der Vergangenheit zurück liegt.
Eigene Darstellung, Daten: bfs, Staatskanzlei Kanton Genf, Stadt Zürich
Die Abbildung verdeutlicht, dass eine tiefere Stimmbeteiligung als am 9. Februar erwartet werden darf. Damals betrug die Stimmbeteiligung im Kanton Genf 57.4 Prozent, während sie schweizweit nur unwesentlich darunter lag – bei 56.6 Prozent. Aktuell beträgt die Beteiligungsdifferenz zwischen den beiden Urnengängen am jeweiligen Vergleichstag (vier Tage vor dem Abstimmungstermin) in Genf bei über fünf Prozent – mit einer steigenden Tendenz. Und genau dieser Umstand könnte für Ecopop matchentscheidend sein.
von Thomas Milic, Thomas Willi, Chris Goodman und Basil Schläpfer