Von einer historischen Schlappe für die GLP war am Abstimmungssonntag die Rede. Und die Frage, welche die politische Schweiz am stärksten herumtrieb, war diejenige, ob sich das Abstimmungsdebakel auf die Wahlchancen der GLP auswirken könnte. Wenn man das Abstimmungsresultat im Verhältnis zur Wählerstärke der tragenden Partei setzt, war das gestrige Resultat jedoch keine historische Niederlage.
92 Prozent der Teilnehmenden lehnten die erste GLP-Initiative der Geschichte ab. Um auf einen ähnlich hohen Nein-Stimmenanteil zu einer Initiative zu stossen, muss man in den Annalen der Schweizer Abstimmungsdemokratie lange zurückblättern: 1923 wurde die Schutzhaft-Initiative mit 89 Prozent verworfen. Historisch ist die GLP-Abstimmungsschlappe demnach schon. Aber die GLP ist – verglichen mit den «grossen» Bundesratsparteien – auch eine Kleinpartei mit einem nationalen Wähleranteil von 5.4 Prozent (Wahlen 2011). Wenn man die Wahlchancen im Blick hat, so sollte man sich nicht alleine am Abstimmungsresultat orientieren, sondern auch daran, wie gross die Wählerschaft der Urheberpartei ist. Bildet nun die aktuelle Wählerstärke den Referenzpunkt, so vermochte die GLP am Abstimmungssonntag jenen Wert um immerhin 2.6 Prozent zu übertreffen. Das ist wenig. Und damit liegt die GLP-Initiative natürlich weit entfernt von den Spitzenwerten, die wir unten ausgewiesen haben. Aber sie ist nicht das Schlusslicht einer Rangliste der «Over-» und «Underachiever» unter den Volksbegehren. Die nachfolgende Grafik zeigt, wie die Initiativen der laufenden Legislaturperiode gemessen an der Wählerstärke ihrer Urheberpartei abgeschnitten haben.
Als Urheber einer Partei wurde entweder diejenige Partei identifiziert, welche das Begehren einreichte oder mit der Vorlage stark assoziiert wurde. Zudem haben wir – um einen FDP-Fall ausweisen zu können – die Verbandsbeschwerderechtinitiative der vergangenen Legislaturperiode hinzugezogen.
Am besten schnitt die SVP bei der Masseneinwanderungsinitiative ab. Sie vermochte weit über ihre Stammwählerschaft zu punkten und übertraf ihren Wähleranteil um mehr als 20 Prozent. Die SP folgt mit ihrer Initiative zur Einheitskrankenkasse auf Platz Zwei. Zwar scheiterte das Volksbegehren, aber es stimmten anteilsmässig mehr als doppelt so viele Stimmbürger für das Begehren als die SP Wähler zählt. Doch die beiden Flügelparteien sorgten auch für die ernüchterndsten Ergebnisse in der laufenden Legislaturperiode. Die Volkswahl des Bundesrates und die Staatsvertragsinitiative der SVP bzw. AUNS erzielten geringere Zustimmungsanteile als die SVP Wähler zählt. Der «Saldo» beträgt -2.9 beziehungsweise -1.9 Prozent. Die SP erlitt mit der Mindestlohninitiative eine ähnliche Schlappe: Das Begehren konnte gerade mal 5 Prozent mehr Stimmen auf sich vereinigen als die SP bei den Wahlen 2011 erzielte.
Die Abbildung ermöglicht auch einen Vergleich zwischen der SVP- und CVP-Familieninitiative. Die erstere wurde bloss von der SVP (und der EVP) zur Annahme empfohlen, während die letztere von der nationalen CVP- und SVP-Delegiertenversammlung (und anderen Kleinparteien) eine Ja-Parole erhielt. Würden sich die Parteianhängerschaften an die Empfehlung ihrer Partei halten, so hätte die CVP-Familieninitiative nicht nur in absoluten Werten, sondern auch relativ zu ihrer Wählerstärke klar besser abschneiden müssen als das SVP-Begehren von 2013. Das war aber nicht der Fall. Im Gegenteil: Die SVP-Familieninitiative erzielte bei der CVP (oder den anderen Parteien bzw. Parteiungebundenen) offenbar mehr Stimmenanteile als die CVP-Initiative bei der SVP-Anhängerschaft – und dies, obwohl ihr die Parolenunterstützung der CVP seinerzeit fehlte.
Die Frage, welche Auswirkungen ein Abstimmungsergebnis auf die Wahlchancen einer Partei hat, ist mit dem vorliegenden Vergleich natürlich nicht zu beantworten. Aber die Beispiele der SVP und SP, die in der laufenden Legislaturperiode sowohl hervorragende wie auch schlechte Ergebnisse bei Abstimmungen erzielten, zeigen, dass solche Schlüsse auf der Basis von Abstimmungsergebnissen keineswegs so einfach zu ziehen sind. Denn: Aufgrund welcher Abstimmung soll man im Falle dieser beiden Parteien auf die entsprechenden Wahlchancen schliessen? Ist beispielsweise bei der SP das Ergebnis bei der Einheitskasse oder bei der Mindestlohninitiative das entsprechenden «Menetekel»? Am wahrscheinlichsten ist, dass sich Abstimmungsergebnisse generell schlecht dazu eignen, auf die Wahlchancen der tragenden Partei zu schliessen. Abstimmungen und Wahlen sind eben zwei verschiedene Paar Schuhe.
Hier finden Sie die Informationen zur Volksinitiative «Volkswahl des Bundesrates». Hier finden Sie die Informationen zur Volksinitiative «Für die Stärkung der Volksrechte in der Aussenpolitik (Staatsverträge vors Volk!)».