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Beeinflussen die Medien den Stimmentscheid der BürgerInnen?

In Rahmen von Volksabstimmungen sind die Massenmedien von zentraler Bedeutung. Als intermediäre Instanzen zwischen den politischen Eliten (insb. Behörden, Parteien sowie Interessengruppen) und den BürgerInnen spielen sie eine wichtige Rolle. Die Journalisten wählen nicht nur die politischen Akteure aus, die in die Medienberichterstattung Eingang finden, sondern entscheiden auch über die Art und Weise, wie diese dargestellt werden. Über diese Selektions- und Präsentationslogiken hinaus scheuen sie nicht davor zurück, ihre eigenen Positionen und Ansichten einzubringen, zumal die Autonomie der Medien gegenüber dem politischen System in den letzten Jahrzehnten tendenziell stark zugenommen hat.

Die Frage, ob die Stimmentscheide der BürgerInnen auf entscheidende Weise durch die Massenmedien geprägt werden, beschäftigt die Politikwissenschaft bereits seit Jahrzehnten. Vor und während dem Zweiten Weltkrieg postulierte die theoretisch geprägte US-amerikanische Wahlforschung starke Medieneffekte. Allerdings kehrte mit den ersten breit angelegten empirischen Arbeiten zu den Präsidentschaftswahlen früh Ernüchterung ein. Die Vorstellung, wonach von Medien eine massive Beeinflussung der Wahlberechtigten ausgehe, wich dem sogenannten Minimal-Effects-Paradigma. In der Folge bestätigten zahlreiche Studien das Ausbleiben von starken und systematischen Wirkungen.

In einem kürzlich erschienenen Beitrag bin ich der Frage nachgegangen, ob die Ausrichtung der Medienberichterstattung einen direkten Effekt auf den Stimmentscheid der Stimmberechtigten ausübt. Basierend auf einer Verknüpfung von Bevölkerungsumfragen und Inhaltsanalysedaten der wichtigsten Tageszeitungen und Fernsehsendungen kommt meine Analyse zu drei Kampagnen zum Schluss, dass dies nur bei einer Vorlage der Fall war. Ein direkter Medieneffekt liess sich nur in Bezug auf die Unternehmenssteuerreform II von 2008 nachweisen. Im Gegensatz dazu blieben sowohl bei der Asylgesetzrevision von 2006 als auch bei der Einbürgerungsinitiative von 2008 statistisch signifikante Zusammenhänge aus. Dieses Hauptergebnis legt den Schluss nahe, dass unter der Bedingung von inhaltlich besonders komplexen Abstimmungsvorlagen der Meinungsbildungsprozess der StimmbürgerInnen auf systematische Weise durch die Medienberichterstattung beeinflusst werden kann.

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die geringe Anzahl an einbezogenen Fällen ein Fragezeichen hinter die Generalisierbarkeit dieses Ergebnisses setzt. Die USR2 kann aufgrund ihrer ausserordentlich hohen Komplexität im Schweizerischen Kontext als atypischer Fall angesehen werden. Gemäss den VOX/VOTO-Analysen hatten nur bei knapp 10 Prozent der Vorlagen, die auf eidgenössischer Ebene seit 1981 zur Abstimmung gelangten, die BürgerInnen ähnlich hohe Entscheidungsschwierigkeiten wie bei der Unternehmenssteuerreform II. Im Allgemeinen ist also davon auszugehen, dass sich direkte Medieneffekte nur unter ganz bestimmten Bedingungen einstellen und dementsprechend die Ausnahme bilden.

Laurent Bernhard

Dieser Artikel wurde von 50plus1 zur Verfügung gestellt. 50plus1 ist ein wissenschaftlicher und politisch unabhängiger Blog von Laurent Bernhard (FORS), Maxime Walder und Oliver Strijbis (beide Universität Zürich).

[1] Foto: Christine und Hagen Graf | Flickr

[2] Mehr zum Thema lesen Sie in: Bernhard Laurent (2018). Lassen sich in der direkten Demokratie die BürgerInnen in ihrem Stimmentschei durch die Medienberichterstattung beeinflussen? In: Daniel Kübler (Hrsg.): Medien und direkte Demokratie (S. 89-102) Zürich: Schulthess.

Quelle:

So gehen die nationalen Juni-Abstimmungen aus – vielleicht

Welcher Ausgang ist am kommenden Abstimmungssonntag am wahrscheinlichsten? Auf Antwortsuche mit Hilfe eines experimentellen Prognosemodells, das wir künftig regelmässig verwenden wollen.

Wir befinden uns nicht in den USA und können auf zig verschiedene Umfragewerte zurückgreifen, diese auswerten und damit eine Prognose erstellen. Die hiesige Realität sieht anders aus: Lediglich zwei Umfrageinstitute publizieren im Vorfeld von nationalen Abstimmungen in zwei, respektive drei Wellen Ja- und Nein-Stimmenanteile. Diese Umfragewerte werden immer wieder als Prognosen bewertet, obwohl sie das nicht sind.

Die Ja-Stimmenanteile der aktuellsten zwei Wellen pro Institut können lediglich miteinander verbunden und auf den Abstimmungstag projeziiert werden. Beim Geldspielgesetz würde also je nach Umfrageinstitut der Ja-Stimmenanteil bei 63%, respektive 68% zu liegen kommen. Aber auch hier handelt es sich um keine Prognosen sondern um Extrapolationen. Es ist auch im Nachhinein nicht eruierbar, ob diese Trends tatsächlich die Realität wiederspiegelt haben (z.B. was ist mit der Gruppe der Unentschiedenen passiert?).

Wir haben eine App entwickelt, in der sie sehen, was passieren würde, wenn sich die ausgewiesenen Trends der jeweiligen Institute fortführen würden.
Prognosen prognostizieren – nicht immer richtig

Wir haben ein «richtiges» Prognosemodell entwickelt. «Richtig» steht in Anführungs- und Schlusszeichen weil damit nicht «am präzisesten» oder «am besten» gemeint ist, sondern wir meinen ein Modell, dessen Output als Vorhersage verstanden werden kann – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das Modell schätzt den zukünftigen Ja-Stimmenanteil aufgrund verschiedener Indikatoren und versucht dabei, möglichst verschiedene Informationen zu verarbeiten. Da es sich nun um eine Vorhersage handelt, muss auch gleich gesagt werden, dass wir die Zukunft selbstverständlich nicht kennen. Auch die Prognosen des besten Modells treffen kaum immer ins Schwarze. Das liegt in der Natur der Sache, denn unvorhergesehene wie auch schwer messbare Faktoren können unerwartete Ereignisse herbeiführen.

Wie gehen wir Unsicherheit um?

Unvorhergesehene Ereignisse widerspiegeln Unsicherheit. Um dieser gerecht zu werden, wird die Prognose nicht nur einmal, sondern 10’000 mal für dieselbe Vorlage gemacht.[2] Selbstverständlich ist das eine fiktive Situation, aber sie hilft, um immer etwas andere Vorhersagewerte zu erhalten. Sobald 10’000 fiktive Resultate vorliegen, beginnt die Zählerei: Wieviele einzelne Werte sind zwischen 10% und 15% gefallen, wieviele sind unter 50% und wieviele darüber, etc.? Diese Auszählungen sind in den untenstehenden Grafiken dargestellt. Sie sehen in wievielen Fällen eine Prognose in ein gewisses Intervall gefallen ist.

Am Beispiel der Vollgeldinitiative lässt sich das so illustrieren: Knapp 12% aller Prognosen fallen zwischen 25% und 30%. In kein anderes Intervall sind mehr Prognosen gefallen, es ist somit das wahrscheinlichste Abstimmungsresultat gemäss dem Modell.

Zusätzlich weisen die Grafiken aus, wieviele Prognosen kleiner und wieviele grösser als 50% sind. So kommt die  Vollgeldinitiative zu einer Annahmewahrscheinlichkeit von 13% (also in 13 von 100 fiktiven Vollgeldabstimmungen erzielt die Initiative einen Ja-Stimmenanteil, der über 50% liegt). Ganz anders sieht es beim Geldspielgesetz aus: 82 von 100 Prognosen werden angenommen.

Wie gut diese Prognosen sind, wissen wir am 10. Juni. In den Testläufen der letzten zwei Jahre hat sich das Modell bewährt und immer wieder auch überraschend gute Vorhersagewerte abgeliefert. Wichtig scheint zum einen, dass die Unsicherheit korrekt wiedergegeben wird. So ist bei der Vollgeldinitiative auch ein Ja-Stimmenanteil zwischen 20% und 25% immer noch wahrscheinlich. Zum anderen scheint es wichtig zu erwähnen, dass die ausgewiesenen Werte nicht mehr nachbearbeitet werden. Also das bei einer Vorlage, wo aufgrund von Expertenwissen ein anderes Resultat erwartet werden kann, keine ad hoc Korrekturen vorgenommen werden.

Thomas Willi

[1] Foto: aquarian_insight | Flickr

[2] Mehr zur Grundidee und einer Anwendung in R finden Sie z.B. unter politikwissenschaften.ch

[2] Hier finden Sie mehr zum Thema Momentaufnahmen und Prognosen.

Wer profitiert von der hohen Stimmbeteiligung der NoBillag-Initiative?

Selten wurde ein Abstimmungskampf so lange und intensiv geführt wie jener zu NoBillag. Einerseits gab es eine rekordverdächtige Auseinandersetzung zwischen Gegnern und Befürwortern auf Twitter.[1] Andererseits erhielt die No-Billag-Kampagne laut dem fög auch in den klassischen Medien eine überdurchschnittliche Beachtung.[2] So intensiv der Abstimmungskampf war – so deutlich fiel das Resultat aus. Über 70 Prozent der Schweizer Bevölkerung lehnten die Initiative zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren ab. Hoch war auch die Stimmbeteiligung: mit 54.5 Prozent schweizweit lag sie deutlich über dem Durchschnitt (46% in den letzten zehn Jahren).

Trendwende bei der Stimmbeteiligung

Die erste Grafik illustriert die Stimmbeteiligung über die Zeit seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Die Punkte zeigen die jeweilige Stimmbeteiligung zu allen Initiativen (orange), obligatorischen (dunkelgrün) und fakultativen (hellgrün) Referenden (nicht einzeln ausgewiesen werden Gegenvorschläge). Bei den Linien handelt es sich um LOESS-Linien, eine Methode zum Anpassen einer glatten Kurve. Einfacher gesagt, die Linien sind mit zu einem gleitenden Durchschnitt vergleichbar. Die durchschnittliche Stimmbeteiligung hat seit Anfang des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger stetig abgenommen und steigt  seit ungefähr zehn Jahren wieder leicht an. Aus dieser Perspektive reiht sich die heutige Abstimmung in eine allgemeine Trendwende ein. Die Schweizer Bevölkerung scheint seit der Jahrtausendwende generell wieder politisch aktiver geworden zu sein.

Überdurschnittliche Stimmbeteiligung – wer profitiert?

Aber auch im aktuellen Vergleich ist die Stimmbeteiligung hoch. Am letzten Abstimmungssonntag am 24. September 2017, als über die Reform der Altersvorsorge abgestimmt wurde, lag die Stimmbeteiligung lediglich bei 46.7 Prozent. Aufgrund des Resultats zur No-Billag-Initiaitive liegt die Vermutung nahe, dass vor allem das linke Lager, welches sich gegen die Initiative engagierte, erfolgreich mobilisierte.

Auf nationaler Ebene lässt sich dieser Zusammenhang nur schwer nachweisen. Auf regionaler Ebene weist allerdings zum Beispiel Politikwissenschaftler Clau Dermont auf einen negativen Zusammenhang zwischen der Stimmbeteiligung und dem Ja-Stimmenanteil zu NoBillag für den Kanton Graubünden hin. Es stellt sich die Frage, wie sich dies auf regionale Abstimmungen und Wahlen ausgewirkt hat, über die ebenfalls heute entschieden wurde.

Überraschungserfolg der JUSO im Kanton Schwyz

So wurde im Kanton Schwyz überraschend eine Initiative der JUSO angenommen, welche Parteien und politische Organisationen dazu verpflichtet bei Wahlen und Abstimmungen künftig ihre Finanzen offenzulegen. Die NZZ spricht sogar von einem «Überraschungscoup».[3] Das Ergebnis war mit 50.28 Prozent Ja-Stimmen denkbar knapp und nur 305 Stimmen machten den Unterschied aus. Ob das Resultat nur dem Zufall zu verdanken- oder ob tatsächlich die Mobilisierung von linker Seite verantwortlich war, können wir hier nicht beantworten. Jedoch lag auch in allen Schwyzer Bezirken die  Stimmbeteiligung über dem Durchschnitt. Die untenstehende Grafik vergleicht die durchschnittliche Stimmbeteiligung mit der heutigen Stimmbeteiligung zu NoBillag in allen Schweizer Bezirken. Zu den Bezirken, in welchen die Beteiligung über 60 Prozent ausfiel, gehören vor allem die Tessiner Bezirke sowie Bezirke in Schaffhausen und Obwalden. Orange eingefärbt sind die Schwyzer Bezirke.

Die letzte Grafik stellt die Differenz zwischen der heutigen und durchschnittlichen Stimmbeteiligung in Relation zum Ja-Anteil zur «Transparenzinitiative» auf Gemeindeebene dar. Es zeigt sich ein positiver Trend: Je grösser die die Abweichung von der «normalen» Stimmbeteiligung, desto eher wurde ein «Ja» für die JUSO-Initiative an der Urne eingelegt. Bei einer so knappen Entscheidung liegt die Vermutung nahe, dass die Annahme der Initiative durch diese überdurchschnittliche Mobilisierung zumindest begünstigt wurde.

Spill-Over Effekte auf städtische Wahlen?

Zeitgleich fanden auch kommunale Wahlen statt, beispielsweise in Winterthur und Zürich. Vor vier Jahren fanden die letzten Wahlen gleichzeitig mit der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative statt. Auch jener Abstimmungssonntag zeichnete sich durch eine überdurchschnittliche Wahlbeteiligung aus. Damals vermutlich eher zugunsten der Rechten: In Winterthur gelang es der SVP 2014 erstmals seit 2002 wieder einen Sitz im Stadtrat zu erobern. An diesem Wahlsonntag kam es in den urbanen Zentren des Kantons Zürichs hingegen zu einem ruckartigen Links-Rutsch. Es lässt sich deshalb nicht ausschliessen, dass es bei den aktuellen Wahlen Spill-Over Effekte der hohen Stimmbeteiligung zur NoBillag-Initiative gab.

Sina Blassnig, Thomas Lo Russo und Thomas Willi

[1] Hier geht es zu unserem Artikel zum #NoBillag.

[2] Hier gehts zum fög.

[3] Hier der Link zum NZZ-Artikel.

Werkstattbericht zu #Nobillag – epischer Abstimmungskampf auf Twitter

Die NoBillag-Initiative fordert die Abschaffung aller Radio- und TV-Gebühren. Der Abstimmungskampf rund um die Initiative wird intensiv geführt – auch auf Social Media – und das schon relativ lange. Wir sammeln seit dem Aufkeimen des Abstimmungskampfes Twitter-Daten und zeigen, wer am aktivsten ist, welches politische Lager sich besonders engagiert und welche Journalisten am meisten zwitschern. Mittels Machine Learning haben wir die Tweets klassifiziert um herauszufinden, ob Gegner oder Befürworter die Nase vorne haben.

[Korrigendum: In der ersten Version dieses Artikels haben wir die Beschriftung Pro/Kontra in der Grafik der beiden Lager über die Zeit verwechselt. Dies ist nun angepasst (6.2.18).]

Es scheint, als wäre «No Billag» omnipräsent. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht in irgendeinem Medium von der kommenden Abstimmung berichtet wird. Aus diesem Grund haben wir uns die Tweets zum #nobillag angeschaut. Wir sammeln die Daten bereits seit dem Frühjahr 2015, jedoch besteht die Datengrundlage für diesen Bericht lediglich aus Tweets, welche nach dem 31. August 2017 gemacht wurden. Konkret: Seit dem 1. September 2017 (und damit 184 Tage vor der Abstimmung) wurden über 60’000 Tweets verschickt – das ist rekordverdächtig. Damit diese Zahl etwas in Relation gebracht werden kann der Vergleich: In den letzten acht Tagen vor der Bundesratswahl 2015 wurden 2310 Tweets verschickt und zum #abst17 wurde im ganzen Jahr (2017) weniger als 20’000 Tweets verschickt.

Die Arena: Lagerfeuer mit Ausstrahlung bis in die Social Media

Das rege Interesse spiegelt sich auch in den folgenden Zeitverläufen wider: Sind im Oktober noch durchschnittlich 217 Tweets pro Tag verschickt worden, so sind es im Januar bereits knapp 610 Tweets pro Tag. Einen vorläufigen Höhepunkt wurde in der Woche 44 im November 2017 erzielt: Damals fand die Arena zur Abstimmung statt. Vor dem lodernden «Lagerfeuer Fernsehen» haben sich während dieser Arena – zumindest für eine Stunde – Gegner und Befürworter versammelt, um dem Abstimmungskampf auf Twitter seinen bisher hitzigsten Höhepunkt zu schenken. Die Arena, ein Format aus der Ära des Röhrenfernsehgeräts, hat an dem Abend ein veritables Feuer der Deliberation im digitalen Raum entfacht.

Die aktivsten

Politische Lager

Wir haben uns auch angeschaut welche Bundesparlamentarierinnen und Parlamentarier sich auf Twitter äussern. Jene aus der SP sind am fleissigsten, dann folgen die von der SVP, welche wiederum vor der Grünen Partei sind. Es ist jedoch zu vermerken, dass die Volks- und Kantonsvertreter deutlich seltener als Medienschaffende tweeten (~700 Tweets).

Welche Journalisten besonders aktiv zwitscherten

Dank Dario Siegen und Adrian Rauchfleisch konnten wir zusätzlich untersuchen, welche Medienschaffenden sich zur Intiative mit diesem Hashtag äusserten.[1] Wie Sie der Rangliste entnehmen können, kann man sich streiten, wer als Medienschaffend gilt und wer nicht. Zum Beispiel stellt sich die berechtigte Frage, ob die Bezeichnung «Freischaffend» bereits zum Label «Journalist» reicht. Es zeigt aber auch, wie schwierig eine solche Klassifizierung ist. So oder so finden Sie untenstehend die Top 20 der Medienschaffenden.

Twitter-HandleProzent der Tweets
GregBarbey3.41%
FlorianSchwab3.34%
peter_schibli2.45%
AndreaChristen32.38%
sandroluescher2.14%
XavierBloch2.05%
AntonioCivile1.86%
juergvollmer1.81%
DennisBuehler1.72%
redder661.25%
miperrico1.20%
retoperitz1.20%
MichelVenetz1.15%
feusl1.13%
BornBeatrice1.03%
RaphAuberT1.03%
Frau_W0.96%
ZeitRauber0.94%
ChantalTauxe0.85%
RenatKuenzi0.82%
Welches Lager hat auf Twitter die Nase vorne?

Waren die Befürworter oder die Gegner auf Twitter aktiver? Dieser Blogpost stellt insofern eine Premiere dar, als dass wir mittels innotativer Werkzeuge versucht haben, Antworten auf diese Frage zu liefern. Tweets zu klassifizieren ist gegeben ihrer Kürze – meist unter 140 bis maximal 280 Zeichen – kein Kinderspiel. Insbesondere wenn für die Einordnung nur der Text selbst und keine zusätzlichen Kontextinformationen oder Angaben zu den Twitterern verwendet werden. Mit einem reduzierten Datensatz deutschsprachiger Tweets, in welchem wir vermeintliche Kontra- und Pro Tweets anhand gewisser Indizien (u.a. den Hashtags #NeinzuNobillag vs #JazuNobillag) kennzeichnen konnten, haben wir einen Machine Learning Algorithmus trainiert. Genaueres zum Verfahren, seinen Stärken und Schwächen gibt es im Abschnitt zur Methodik, weiter unten, zu lesen. Die Klassifizierung soll aufzeigen wie aktiv die beiden Lager über die Zeit waren.

Die Resultate des Modells weisen auf eine Aufholjagd der Initiativgegner hin. Gemessen an der Aktivität – also der Anzahl Tweets – haben die Initativbefürworter beim Hashtag #NoBillag die Nase vorne. Die Reichweite haben wir aus Zeitgründen (vorerst) ausgeklammert. Die Initiativbefürworter haben den Abstimmungskampf auf Twitter früh lanciert und scheinen zu Beginn noch auf wenig Gegenwehr gestossen zu sein. Die Präsenz der Befürworter nimmt jedoch laufend zu und es ist klar zu erkennen, zu welchem Zeitpunkt die Gegenkampagne an Fahrt aufgenommen hat. Der Anteil der befürwortend eingestuften Tweets steigt mit annäherndem Abstimmungstermin stark an. Im ursprünglichen Post wurden die Labels aus Versehen vertauscht, wofür wir uns entschuldigen möchten. Wir haben uns zu stark auf eine möglichst akkurate Klassifizierung der User konzentriert und haben die Abbildung des Zeitverlaufes aufgrund der knappen Zeit nicht genügend hinterfragt.

Wie akkurat ist unser Machine Learning Modell?

Unser Machine-Learning Modell klassifiziert die einzelnen Tweets anhand der Muster, die es im Text aufstöbert. Es bestimmt auf diese Weise, ob der Tweet eher dem Pro- oder Kontra NoBillag-Lager zuzuordnen ist. Die Grafik unten zeigt, wie die Tweets der Top-Twitterer klassifiziert wurden und zu welchen Anteilen Sie als Pro / Kontra klassifiziert wurden. Diejenigen mit einem Anteil über 50% an Kontra-Tweets befinden sich links, die mit mehr als 50% Pro-Tweets rechts. Die Grafik offenbart, dass wir anhand unseres Modells – welches nach wie vor ein Protoyp ist – von den 100 fleissigsten Twitternutzern die meisten richtig einordnen würden. Das Modell ordnet die Tweets der Initiativbefürworter etwas kosnistenter ein. Bei den Initiativgegnern wird eine höhere Zahl Tweets dem entgegengesetzten Lager zugeordnet. Daher gehen wir davon aus, dass die Kontra-Seite vom Algorithmus unterschätzt wird und die Anteile der zwei Lager daher weniger weit auseinander liegen, als die Grafik zu den Anteilen im Zeitverlauf oben suggeriert. In dieser Hinsicht besteht somit Optimierungspotential, welches wir bei nächster Gelegenheit durch ein feiner austariertes Modell auszuschöpfen gedenken.

Eine Schwäche unseres Modells ergibt sich daraus, dass wir das Modell zwingen eine binäre Entscheidung zu treffen. Dies führt dazu, dass die Tweets aller Nutzer einem der zwei Lager zugeordnet werden. Diese schwarz-weiss Einteilung wird der Realität nicht gerecht. Es gibt in der Debatte um NoBillag auf Twitter durchaus auch Stimmen mit differenzierten Ansichten, oder solche die lediglich Informationen teilen und als neutral eingestuft werden sollten. Diese Fälle lassen sich eigentlich nicht in eine der zwei Schubladen stecken. Eine dritte Kategorie für die nicht einwandfrei klassifizierbaren Fälle würde hier Abhilfe schaffen. Abschliessend gilt es jedoch zu sagen, dass die grosse Mehrheit in der stark polarisierten Debatte auf Twitter die eigene Position relativ deutlich preis gibt und das Modell – alles in allem – ziemlich gute Arbeit leistet.

NoBillag : droht die trumpisierung der schweizer Abstimmungsdemokratie?

Hitzige Abstimmungskämpfe sind per se nichts neues. Doch NoBillag setzt in punkto Intensität und Gehässigkeit gerade neue Massstäbe. Auf Twitter, dem digitalen Hauptschauplatz der politischen Auseinandersetzung, fliegen die Fetzen besonders häufig. Für einmal sind es nicht nur Trumps Tweets, welche die Schlagzeilen füllen, sondern auch Tweets im Zusammenhang mit NoBillag, die vermehrt als Vehikel für Beleidigungen und Ausfälligkeiten dienen. Ist NoBillag in dieser Hinsicht ein Sonderfall? Oder müssen wir im Rahmen der immer stärkeren Verlagerung des politischen Schlagabtausches in die digitale Arena mit aggressiver geführten Abstimmungskämpfen – quasi einer Trumpisierung unserer Abstimmungsdemokratie – rechnen? Die Antwort darauf steht (noch) in den Sternen geschrieben, doch werden wir auch in Zukunft weiterhin systematisch Twitter-Daten sammeln um Fragen dieser Natur nachgehen zu können.

Thomas Lo Russo und Thomas Willi

[1] Hier finden Sie Dario Siegen und hier Adrian Rauchfleisch.

Weitere Infos zum Modell

Die erste Bewährungsprobe für viele Machine Learning Modelle ist die Vorhersagepräzision, welche in einem Testdatensatz erreicht wird. Unser Modell erreichte eine Vorhersagepräzision von über 90%, was gegeben dem Umstand dass das Model über kein Kontextwissen verfügt – bescheiden ausgedrückt – ziemlich beeindruckend ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Generalisierbarkeit des Modells auf alle Tweets einwandfrei möglich und die Klassifzierung aller Tweets perfekt ist. Unser ‘Desicion-Tree’ Modell haben wir mit 9500 Tweets trainiert und anhand von 2300 Tweets getestet. Im Anschluss haben wir das Modell verwendet um die 30’000 deutschsprachigen Tweets zu klassifizieren, welche seit September 2017 abgesetzt wurden. Wie bereits weiter oben erwähnt scheint das Modell den Anteil an Kontra-NoBillag-Tweets zu unterschätzen, wie die Tweet-Anteile der Top-Twitterer verdeutlichen (siehe Grafik zu User-Anteilen).

Korrigendum

Wir haben das Script und die Daten für die zu Beginn erwähnte Grafik hier hochgeladen.