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Twitterwall @ Wahlforum BS. Foto: Flickr/Patrik Tschudin

Sind zwei einer zuviel?

Unter dem Hashtag #2von5 wirbt die SP des Kantons Basel-Landschaft für ihre beiden Regierungsratskandidaten. Doch wie erfolgreich sind Mehrfachkandidaturen im Vergleich zu Einzelkandidaturen? 

Ausgangslage

Die ersten kantonalen Wahlen im Superwahljahr 2015 finden in Baselland statt. Die Ausgangslage ist durchaus spannend. Die fünf national wählerstärksten Parteien halten jeweils einen der fünf Baselbieter Regierungssitze inne. Bei den kommenden Wahlen vom 8. Februar treten nun die vier Bisherigen der SVP, FDP, CVP und Grünen wieder an, während der bisherige SP-Vertreter Urs Wüthrich auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Der «SP-Sitz» – auf den die SP formell natürlich ebenso wenig wie alle anderen Parteien einen Anspruch hat, den sie aber seit 1925 ununterbrochen innehat – wird demnach «frei». Für diesen Sitz kandidieren nun eine zusätzliche FDP-Sprengkandidatin (Monica Gschwind) und zwei SP-Kandidaten (Regula Nebiker und Daniel Münger). Aber: Sind zwei Kandidaten derselben Partei für einen «frei werdenden» Sitz nicht einer zuviel?

Amtsinhaber werden so gut wie sicher wiedergewählt

Bevor wir uns der oben gestellten Frage zuwenden, bedarf es noch einiger Erläuterungen. Zunächst einmal werden bei Gesamterneuerungswahlen alle Regierungsräte und -rätinnen neu gewählt. Die beiden SP-Nominierten kandidieren somit nicht bloss für den Sitz des zurücktretenden Urs Wüthrich, sondern für die fünf Baselbieter Regierungssitze. Es ist demnach auch keineswegs auszuschliessen, dass beide SP-Nominierten in die Exekutive gewählt werden – zumal die SP in der Vergangenheit auch schon mit einer Doppelvertretung in der Baselbieter Regierung sass. Ein solches Szenario ist demnach möglich, aber – rein statistisch gesprochen – eher unwahrscheinlich. Warum? Das liegt am Bisherigenbonus, den Amtsinhaber im Vergleich zu neu Kandidierenden haben. Dieser Bisherigenbonus beträgt bei kantonalen Regierungswahlen in der Schweiz beinahe 20 Prozent an Wählerstimmen. Die Wiederwahlrate von Amtsinhabern ist dementsprechend hoch und beträgt 92 Prozent (2000-2014). Kurz, Bisherige werden in aller Regel wiedergewählt. Für die Baselbieter Wahlen bedeutet das nun, dass im Prinzip noch ein Sitz verbleibt – sofern alle Bisherigen bestätigt werden. Die SP-Delegierten des Kantons Baselland hatten sich nun entschieden, eine Zweierkandidatur aufzustellen. Die Frage ist nun: Schmälert eine Doppelkandidatur nicht die Erfolgschancen beider Kandidaten, weil dadurch eine Stimmenzersplitterung wahrscheinlich wird?

Die Gretchenfrage: Wie viele Kandidaten soll man nominieren?

Generell gilt: Man soll nur so viele Kandidaten aufstellen, wie man sich realistischerweise – aufgrund der Wähleranteile bzw. der «Blockstärke» – Regierungssitze zu gewinnen erhoffen darf. Eine Partei, die zu viele Kandidaten nominiert, läuft Gefahr, dass sich die Parteikandidaten am Ende gegenseitig Stimmen wegnehmen. Dass sich die Parteien zumindest näherungsweise an diese Logik halten, zeigt nachfolgende Abbildung: Es besteht – mit Ausnahme der FDP – ein starker Zusammenhang zwischen der kantonalen Parteistärke und der Anzahl nominierter Kandidaten. Je höher also der Wähleranteil einer Partei, umso mehr Kandidaten stellt sie auf. Interessant ist überdies, dass die beiden Flügelparteien SP und SVP häufiger als die beiden Mitte-Parteien auf Kandidaturen ganz verzichten. Selbst bei einem Wähleranteil von 10 Prozent (und teilweise gar mehr) kommt es bei SP und SVP vor, dass sie überhaupt keine Kandidaten nominieren.

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Boxplot zwischen der kantonalen Wählerstärke (bei den jeweiligen Kantonsratswahlen) und der Anzahl «offiziell» nominierter Kandidaten (sogenannte «wilde» Kandidaten wurden nicht berücksichtigt). Alle Majorzwahlen mit Konkurrenzcharakter zwischen 2000-2014. Wahlen, in denen eine Partei mehr als drei Kandidaten aufstellte, sind entweder zu selten für eine statistische Analyse oder haben beinahe schon den Charakter einer Proporzwahl (Kanton NE).

Aber lässt sich die grössere Wahrscheinlichkeit der Stimmenzersplitterung bei Mehrfachkandidaturen auch empirisch belegen? Wir nehmen es hier gleich vorweg: Einwandfrei belegen lässt sich das kaum. Dazu müsste man testen, wie eine Einzelkandidatur im Vergleich zu einer Doppel- (oder Mehrfach-)Kandidatur bei exakt denselben Wahlen (oder zumindest unter vergleichbaren Bedingungen) abschneidet. Deshalb ist unser Anspruch auch nicht, eine «naturwissenschaftlich» exakte, sondern bloss eine approximative Antwort auf diese Frage zu geben.

Untersuchen wollen wir, ob Neukandidierende einer Partei – es konkurrieren ja drei Neukandidierende um den frei gewordenen Baselbieter SP-Regierungssitz – besser abschneiden, wenn sie einzeln antreten als im «Doppel-» oder «Multipack». Dazu muss man aber zunächst festlegen, was unter einem «guten Abschneiden» bei Regierungsratswahlen zu verstehen ist. Wir haben das so definiert: Ein Kandidat, der von einer Partei portiert wird, soll mindestens so viele Stimmen erzielen wie seine Partei bei den (in der Regel gleichzeitig stattfindenden) kantonalen Parlamentswahlen. Das ist die untere Grenze. In der Schule würde man so ein Abschneiden mit «knapp genügend» bezeichnen. Im Prinzip darf aber von Regierungsratskandidaten erwartet werden, dass sie höhere Stimmenanteile erreichen als die Wählerstärke ihrer Partei. Zum Beispiel darf erwartet werden, dass ein SP-Kandidat auch Stimmen von grünen WählerInnen erhält. Deshalb haben wir noch eine weitere, obere Grenze definiert, die fünf Prozentpunkte über der eigenen Parteistärke liegt. Diese Grenze hat zugegebenermassen etwas willkürliches, denn ebensogut hätte man ein um zehn Prozentpunkte besseres Abschneiden als Schwellenwert definieren können. Doch für unsere Untersuchungszwecke spielt das keine entscheidende Rolle.

Die Resultate unserer Kurzanalyse sind nicht ganz so eindeutig, wie wir uns das gewünscht haben. Aber immerhin gab es bloss eine Einzelkandidatur, welche das «Plansoll» – also zumindest die Stimmen der eigenen Parteiwähler auf sich zu vereinigen – nicht erfüllte. 21 Mehrfachkandidaturen verpassten hingegen dieses Ziel. Auch wenn wir das Plansoll – wie oben geschildert – um fünf Prozentpunkte anheben, so schneiden Einzelkandidaturen tendenziell besser ab als Mehrfachkandidaturen. Wer überdies in der interaktiven Grafik die Option «Parteien» anwählt, wird feststellen, dass sich «Over-» und «Underachiever» ziemlich gleichmässig zwischen den Parteien verteilen.

Ein gutes Beispiel…

Als Exempel dienen der erste und zweite Wahlgang der Luzerner Regierungsratswahlen 2003. Hier liegt kein echtes Quasi-Experiment vor, aber immerhin eines, dass diesen Anforderungen nahe kommt. Im ersten Wahlgang traten beispielsweise vier Neukandidierende der SVP an. Das beste Ergebnis von ihnen erzielte Räto Camenisch mit rund 21 Prozent Stimmenanteilen (Wählerstärke SVP LU 2003: 19.9%). Weil kein einziger Kandidat das absolute Mehr im ersten Wahlgang erzielte, fand wenig später der zweite Wahlgang unter grundsätzlich ähnlichen Bedingungen (und ähnlicher Wahlbeteiligung) statt. Die SVP schickte nur noch einen Kandidaten (Camenisch) ins Rennen. Er wurde zwar nicht gewählt, aber erzielte immerhin 31.3 Prozent Wählerstimmen, mithin also 10 Prozent mehr als im ersten Wahlgang.

… mit Grenzen

Aber: Dass Mehrfachkandidaturen nicht zwingend schlechter sein müssen als Einzelkandidaturen, versteht sich von selbst. Schliesslich geht es bei den Exekutivwahlen ja auch (und vor allem) um Persönlichkeiten. Dies belegen auch die Glanzresultate, die von “Neulingen” erzielten wurden, welche Teil eines Mehrfachtickets waren. Ein Beispiel: Heidi Z’graggen (CVP, UR) trat 2004 als Neukandidierende an den Urner Regierungsratswahlen an und liess dabei zwei bisherige CVP-Kandidaten hinter sich. Sie erreichte einen Stimmenanteil von 78 Prozent, obwohl ihre Partei «nur» 45 Prozent der Parlamentsmandate hielt (siehe Box).

Alles in allem scheinen Kandidaten, die Teil eines Mehrfachtickets sind, im Schnitt etwas schlechter abzuschneiden als Einzelkandidaten. Aber was heisst in diesem Zusammenhang schon «im Schnitt»? Es heisst bloss, dass Einzelkandidaten ceteris paribus voraussichtlich mehr Stimmen machen, als wenn sie Teil eines Mehrfachtickets sind. Für selbstbewusste Kandidaten ist das kein Grund für schlaflose Nächte: Denn «starke» Kandidaten setzen sich so oder so durch, nur bei «durchschnittlichen» Kandidaten könnte die Stimmenzersplitterung unter Umständen den Ausschlag geben (siehe hierzu das famose “prize fighter”-Argument von John Zaller).   

 von Thomas Milic


Berechnung der kantonalen Parteistärken

Für die Berechnung der kantonalen Parteistärken wurden in aller Regel die bei den jeweiligen Kantonsratswahlen erzielten Stimmenanteile verwendet. In gewissen Kantonen – Uri, aber auch GR, AI und AR – finden (bzw. fanden) jedoch in vielen (oder allen) Wahlkreisen Majorzwahlen statt, was eine Ermittlung der Parteistärken verunmöglicht (bzw. erheblich erschwert). Für den Kanton Uri liegen erst ab 2008 solche Parteistärken vor. Wir haben in solchen Fällen die Mandatsanteile im Parlament verwendet.