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Elisabeth Kopp wurde 1984 als erste Frau in den Bundesrat gewählt. [1]

Vom verschwindenden Dominoeffekt bei Politikerinnen

Frauen sind weltweit politisch unterrepräsentiert. Die Schweiz bildet da keine Ausnahme. Lange Zeit ging man davon aus, dass jede in ein Amt gewählte Frau vielen nachfolgenden Politikerinnen den Weg ebnet und sich der Frauenanteil automatisch erhöht. Doch diese Annahme trifft nicht mehr zu: Nach einigen Jahren des stetigen Erfolgs stagniert die Zahl der Politikerinnen. Wir zeigen Entwicklungen und warten mit einer App auf.

OHNE KANDIDATINNEN KEINE GEWÄHLTE POLITIKERINNEN

Die Wirtschaftselite gleicht nach wie vor einer Männerdomäne. Sowohl im Topmanagement wie auch in Verwaltungsräten sind Frauen bislang noch selten anzutreffen. Die Problematik trifft aber nicht nur im Falle dieser Gremien zu, vielmehr sind Frauen eigentlich fast überall auf der Welt auch politisch unterrepräsentiert.[2] Mittlerweile gilt das Fehlen von gewillten Kandidatinnen als eine der grössten Hürden auf dem Weg zu einer ausgeglicheneren Geschlechtervertretung in der Politik. Zwar finden sich noch immer strukturelle Nachteile für Frauen in gewissen politischen Institutionen und Wahlsystemen, doch die Angebotsseite – die Tatsache, dass weniger Frauen als Männer kandidieren – ist auch für die Untervertretung mitverantwortlich.

Trotz signifikantem Fortschritt in den letzten Jahrzehnten bleiben Frauen in der Politik unterrepräsentiert.- Fabrizio Gilardi

AUF JEDE GEWÄHLTE POLITIKERIN FOLGEN KANDIDATINNEN

Eine erfolgreiche Frauenkandidatur ist nicht nur der Anfang einer Politikerinnenkarriere. Eine Frauenkandidatur hat auch eine indirekte Wirkung: Sie motiviert andere Frauen in die Politik zu gehen und diese wiederum erwirken ebenfalls weitere Frauenkandidaturen. Dieser Effekt folgt einem klaren räumlichen Muster.

Wird eine Kandidatin in ein Amt gewählt, so dient sie zum einen direkt als Vorbild für Frauen in derselben politischen Gemeinde. Ihr Erfolg strahlt aber auch auf benachbarte Gemeinden aus. Eine Politikerinnenkarriere, die in einer Gemeinde mit der erfolgreichen Wahl beginnt, führt dazu, dass sich Frauen in Nachbarsgemeinden in den nächsten Wahlen eher als Kandidatinnen aufstellen lassen. Die Motivation von Frauen, sich politisch zu betätigen, schwappt also von einer Gemeinde zu benachbarten Gemeinden über.

In den grau eingefärbten Gemeinden steigt die Wahrscheinlichkeit, dass bei den Wahlen 1974 eine Frau kandidiert. Eigene Darstellung.
DER DOMINOEFFEKT

Am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich hat sich Fabrizio Gilardi mit dieser Art Dominoeffekt befasst.[3] Der Professor für Policy Analyse untersuchte, wie die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz ab 1971 von Wahl zu Wahl mehr Frauen in der Politik führte. Seine Studie zeigt es eindrücklich: Jede gewählte Frau in einer Gemeinde im Kanton Zürich zog in der nächsten Wahlperiode in zehn Prozent der umliegenden Gemeinden eine zusätzliche Kandidatin für dasselbe Amt mit sich.

Wurden Sie schon einmal mit politischen Botschaften in den sozialen Medien konfrontiert?

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Doch dieser Effekt hält nur für ein paar Wahlperioden an. Im Kanton Zürich verschwindet er um das Jahr 1990. Weibliche Vorbilder scheinen ab diesem Zeitpunkt plötzlich ihre Ausstrahlungskraft zu verlieren. Weshalb ist der Dominoeffekt nicht nachhaltig?

IST EIN VIERTEL FRAUEN GENUG GLEICHBERECHTIGUNG?

Gilardi macht dafür zwei Gründe verantwortlich: Zum einen spielen externe Effekte nur dann eine Rolle, wenn sich bei einer Wahl keine Amtsinhaberin zur Wiederwahl aufstellen lässt. Erst-kandidierende Frauen werden schliesslich eher als Pionierinnen wahrgenommen als bereits etablierte Amtsinhaberinnen. Da sich die politische Repräsentation von Frauen jedoch kontinuierlich verbessert hat, wurden diese Fälle im Verlauf der Zeit seltener. Zum anderen hat sich der Frauenanteil bei Wahlen in die lokale Exekutive bei einem Fünftel bis einem Viertel eingependelt. Offenbar führt dies bei der Bevölkerung, den Parteien und potentiellen Kandidatinnen zur Überzeugung, dass dieser Anteil für eine gleichberechtigte Vertretung beider Geschlechter in der Politik ausreichend ist. Die Politikwissenschaftlerin Sarah Bütikofer sieht darum auch die Parteien in der Pflicht:

Aus Sicht einiger Parteien gibt heute keine Notwendigkeit mehr, dran zu bleiben, denn es wurde ja einiges erreicht.- Sarah Bütikofer

Das Beispiel einer erfolgreichen Kandidatin kann andere Frauen motivieren, eine politische Karriere anzustreben, jedoch nur bis der Anteil der Frauen in der Politik als «genügend» wahrgenommen wird. Ob sich diese Wahrnehmung in Zukunft wieder ändern wird, das sei dahingestellt …

 

 

Auch zu diesem Artikel stellen wir eine Applikation zur Verfügung. Wählen Sie ein Jahr und einen Indikator aus, mit dem Sie die Karte des Kantons Zürich einfärben wollen. In welcher Gemeinde gab es am meisten Kandidatinnen oder in welcher Gemeinde wurden am meisten Frauen gewählt? Dies und mehr finden Sie hier.  

Die Resultate der zitierten Studie finden Sie auch auf dem persönlichen Blog von Fabrizio Gilardi. Von ebendiesem stammt auch das Zitat. Den Link zu den Daten finden Sie in der Applikation.

[1] Foto: «NR.80» von Fernand Rausser – Jean Ryniker, Fernand Rausser: Unsere Eidgenossenschaft, Mondo-Verlag, Lausanne, 1984. Lizenziert unter CC BY 3.0 über Wikimedia Commons. Quelle.

[2] Mehr Daten finden Sie hier.

[3] Hier finden Sie die Studie von Fabrizio Gilardi.

Das Zitat von Sarah Bütikofer entstammt einem Artikel von srf.ch. Sie finden sowohl den Artikel als auch das Zitat hier im Original.