
Selten wurde ein Abstimmungskampf so lange und intensiv geführt wie jener zu NoBillag. Einerseits gab es eine rekordverdächtige Auseinandersetzung zwischen Gegnern und Befürwortern auf Twitter.[1] Andererseits erhielt die No-Billag-Kampagne laut dem fög auch in den klassischen Medien eine überdurchschnittliche Beachtung.[2] So intensiv der Abstimmungskampf war – so deutlich fiel das Resultat aus. Über 70 Prozent der Schweizer Bevölkerung lehnten die Initiative zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren ab. Hoch war auch die Stimmbeteiligung: mit 54.5 Prozent schweizweit lag sie deutlich über dem Durchschnitt (46% in den letzten zehn Jahren).
Trendwende bei der Stimmbeteiligung
Die erste Grafik illustriert die Stimmbeteiligung über die Zeit seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Die Punkte zeigen die jeweilige Stimmbeteiligung zu allen Initiativen (orange), obligatorischen (dunkelgrün) und fakultativen (hellgrün) Referenden (nicht einzeln ausgewiesen werden Gegenvorschläge). Bei den Linien handelt es sich um LOESS-Linien, eine Methode zum Anpassen einer glatten Kurve. Einfacher gesagt, die Linien sind mit zu einem gleitenden Durchschnitt vergleichbar. Die durchschnittliche Stimmbeteiligung hat seit Anfang des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger stetig abgenommen und steigt seit ungefähr zehn Jahren wieder leicht an. Aus dieser Perspektive reiht sich die heutige Abstimmung in eine allgemeine Trendwende ein. Die Schweizer Bevölkerung scheint seit der Jahrtausendwende generell wieder politisch aktiver geworden zu sein.
Überdurschnittliche Stimmbeteiligung – wer profitiert?
Aber auch im aktuellen Vergleich ist die Stimmbeteiligung hoch. Am letzten Abstimmungssonntag am 24. September 2017, als über die Reform der Altersvorsorge abgestimmt wurde, lag die Stimmbeteiligung lediglich bei 46.7 Prozent. Aufgrund des Resultats zur No-Billag-Initiaitive liegt die Vermutung nahe, dass vor allem das linke Lager, welches sich gegen die Initiative engagierte, erfolgreich mobilisierte.
Auf nationaler Ebene lässt sich dieser Zusammenhang nur schwer nachweisen. Auf regionaler Ebene weist allerdings zum Beispiel Politikwissenschaftler Clau Dermont auf einen negativen Zusammenhang zwischen der Stimmbeteiligung und dem Ja-Stimmenanteil zu NoBillag für den Kanton Graubünden hin. Es stellt sich die Frage, wie sich dies auf regionale Abstimmungen und Wahlen ausgewirkt hat, über die ebenfalls heute entschieden wurde.
Überraschungserfolg der JUSO im Kanton Schwyz
So wurde im Kanton Schwyz überraschend eine Initiative der JUSO angenommen, welche Parteien und politische Organisationen dazu verpflichtet bei Wahlen und Abstimmungen künftig ihre Finanzen offenzulegen. Die NZZ spricht sogar von einem «Überraschungscoup».[3] Das Ergebnis war mit 50.28 Prozent Ja-Stimmen denkbar knapp und nur 305 Stimmen machten den Unterschied aus. Ob das Resultat nur dem Zufall zu verdanken- oder ob tatsächlich die Mobilisierung von linker Seite verantwortlich war, können wir hier nicht beantworten. Jedoch lag auch in allen Schwyzer Bezirken die Stimmbeteiligung über dem Durchschnitt. Die untenstehende Grafik vergleicht die durchschnittliche Stimmbeteiligung mit der heutigen Stimmbeteiligung zu NoBillag in allen Schweizer Bezirken. Zu den Bezirken, in welchen die Beteiligung über 60 Prozent ausfiel, gehören vor allem die Tessiner Bezirke sowie Bezirke in Schaffhausen und Obwalden. Orange eingefärbt sind die Schwyzer Bezirke.
Die letzte Grafik stellt die Differenz zwischen der heutigen und durchschnittlichen Stimmbeteiligung in Relation zum Ja-Anteil zur «Transparenzinitiative» auf Gemeindeebene dar. Es zeigt sich ein positiver Trend: Je grösser die die Abweichung von der «normalen» Stimmbeteiligung, desto eher wurde ein «Ja» für die JUSO-Initiative an der Urne eingelegt. Bei einer so knappen Entscheidung liegt die Vermutung nahe, dass die Annahme der Initiative durch diese überdurchschnittliche Mobilisierung zumindest begünstigt wurde.
Spill-Over Effekte auf städtische Wahlen?
Zeitgleich fanden auch kommunale Wahlen statt, beispielsweise in Winterthur und Zürich. Vor vier Jahren fanden die letzten Wahlen gleichzeitig mit der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative statt. Auch jener Abstimmungssonntag zeichnete sich durch eine überdurchschnittliche Wahlbeteiligung aus. Damals vermutlich eher zugunsten der Rechten: In Winterthur gelang es der SVP 2014 erstmals seit 2002 wieder einen Sitz im Stadtrat zu erobern. An diesem Wahlsonntag kam es in den urbanen Zentren des Kantons Zürichs hingegen zu einem ruckartigen Links-Rutsch. Es lässt sich deshalb nicht ausschliessen, dass es bei den aktuellen Wahlen Spill-Over Effekte der hohen Stimmbeteiligung zur NoBillag-Initiative gab.
Sina Blassnig, Thomas Lo Russo und Thomas Willi