
Am 28. Februar 2016 stehen im Kanton St. Gallen sowohl eidgenössische Abstimmungen wie auch kantonale Wahlen an. Fallen nationale und kantonale Wahltermine zusammen, wirkt sich das oftmals auf die Beteiligungsquote aus. Wem nützt das und wem schadet es?
Kantonale Wahlen elektrisieren die Massen nur selten. Im Kanton Zürich und im Kanton Luzern sank die Beteiligungsquote bei den letztjährigen kantonalen Parlaments- und Regierungswahlen auf einen selten tiefen Wert. Diese Malaise wird im Kanton St. Gallen – so unsere kühne Annahme – keine Fortsetzung finden. Nein, vielmehr ist davon auszugehen, dass die kantonalen St. Galler Wahlen gar eine selten hohe Beteiligungsquote aufweisen werden. Das liegt nicht an der aussergewöhnlich spannenden Ausgangslage, sondern daran, dass gleichzeitig eidgenössische Abstimmungen stattfinden. Eidgenössische Abstimmungen wirken sich oft belebend auf die Beteiligungshöhe bei gleichzeitig stattfindenden kantonalen Wahlen oder Vorlagen aus.
Dieses Phänomen ist einfach zu erklären. Nationale Vorlagen mobilisieren in der Regel stärker als kantonale Vorlagen. Denn für sie wird stärker geworben, sie sind in den Medien präsenter und sie haben generell ein höheres Konfliktpotential. Ihretwegen strömen die Massen an die Urnen. Das bleibt für die anderen, gleichzeitig vorgelegten Geschäfte nicht ohne Folgen. Denn: Wer sich dazu durchringt teilzunehmen, füllt häufig alle dem Stimmcouvert beigelegten Wahl- und Stimmzettel aus. Das ist daran erkennbar, dass sich die Beteiligungszahlen zwischen den Vorlagen, die am gleichen Tag zur Abstimmung standen, üblicherweise eher geringfügig unterscheiden. Der Kanton St. Gallen ist da keine Ausnahme. Nachfolgende Abbildung zeigt, dass die Beteiligung an den St. Galler Regierungsratswahlen massgeblich davon abhängig ist, ob am gleichen Tag auch eidgenössische Abstimmungen stattfanden und wie hoch die Beteiligung an diesen Abstimmungen war. 2000 und 2008 trat genau diese Situation in St. Gallen ein und beide Male kletterte die Beteiligungsquote auf über 40 Prozent. 2004 und 2008 hingegen wurden am kantonalen Wahltermin keine eidgenössischen Sachfragen vorgelegt und die Quote fiel auf unter 40 Prozent.
Die Beteiligung an Parlamentswahlen hingegen ist weniger volatil. Mit anderen Worten: Ob nun gleichzeitig eine hochkonfliktive eidgenössische Abstimmung stattfindet oder nicht, wirkt sich auf die Beteiligung zu den Kantonsratswahlen geringer aus als auf die Beteiligung bei den Regierungsratswahlen.
Für den 28. Februar bedeutet dies folgendes: Die Durchsetzungsinitiative und sekundär die zweite Gotthardröhre werden die Lokomotivvorlagen sein. Sie werden aller Voraussicht nach für eine überdurchschnittlich hohe Beteiligung sorgen – national wie auch im Kanton St. Gallen. Im Sog der Durchsetzungsinitiative werden wohl auch die Beteiligungszahlen für die Regierungs- und – etwas geringer – für die Parlamentswahlen steigen. Wer profitiert davon? Und wer nimmt Schaden?
Bei den Parlamentswahlen: Es versteht sich von selbst, dass darauf keine eindeutige Antwort gegeben werden kann. Aber man kann sich der Antwort immerhin spekulativ annähern, indem man sich die zeitliche Nähe der Nationalratswahlen zu den St. Galler Kantonsratswahlen zunutze macht. Die beiden Wahlen finden in der Regel im Abstand von wenigen Monaten zueinander statt. Wir dürfen deshalb von einer gewissen Stabilität der Parteipräferenzen zwischen den beiden «Messzeitpunkten» ausgehen. Das wiederum bedeutet: Zu erwarten ist, dass sich die Parteistärken bei höherer Beteiligung dem bei den nationalen Wahlen erzielten Parteistärken annähern.
Nachfolgende Abbildung zeigt nun Überraschendes: Das ist nirgendwo der Fall. Auch bei der SVP nicht, bei der obiges am ehesten hätte erwartet werden können. Vielmehr ist es so, dass sich an den kantonalen St. Galler Wahlen in aller Regel der Trend der nationalen Wahlen fortsetzt.

Ein besonders gutes Beispiel ist die SP: Sie erzielt bei den kantonalen St. Galler Wahlen ein beinahe identisches Resultat wie bei den nationalen Wahlen. Bei der SVP und der FDP folgen die Trendlinien ebenfalls einander – allerdings mit einem Abstand von jeweils vier bis fünf Prozentpunkten. Die SVP schneidet bei kantonalen Wahlen regelmässig um etwa fünf Prozentpunkte schlechter ab als bei den kurz zuvor durchgeführten Nationalratswahlen, die FDP hingegen um vier Prozentpunkte besser – aber, wie gesagt, unabhängig von der Höhe der Wahlbeteiligung. Setzt sich dieser Trend im Übrigen auch 2016 fort, werden SVP und FDP zulegen, die CVP und SP verlieren.
Hier geht es zum Monitor der St. Galler Wahlen
Für die Regierungsratswahlen ist eine Analyse des Effekts höherer Wahlbeteiligung noch schwieriger als für die Parlamentswahlen. Denn wegen des Charakters der Regierungswahlen (Personenwahl) fehlen die Vergleichsmöglichkeiten, die man bei Parteiwahlen, bei denen es stets um die gleichen Parteien geht, hat. Sollte es jedoch stimmen, dass diese «Überschuss»-Wähler (d.h. solche, die sich an der Wahl nur deshalb beteiligen, weil gleichzeitig auch über eine sie viel stärker interessierende Vorlage abgestimmt wird) vergleichsweise schlecht informiert sind (ihr Interesse gilt ja nicht der Wahl der Regierung, sondern der Lokomotivvorlage), dann dürften am ehesten die Amtsinhaber davon profitieren. Ihre Namen sind den dürftig Informierten eher bekannt und zudem gilt auch: Im Zweifelsfalle für den Status Quo – und die Bisherigen stehen für den Status Quo.
Thomas Milic und Thomas Willi
Den ersten Artikel zu den St. Galler Wahlen 2016 lesen Sie hier.