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Gibt der Kanton Zürich den Takt vor?

Im aktuellen Jahr sind politische «Ereignisse» nicht ausschliesslich Abstimmungen, Sessionen und «Skandalen» vorbehalten. Am 29. November dieses Jahres geht die 49. Legislaturperiode zu Ende. Das bedeutet auch, dass nationale Wahlen anstehen – notabene das politische «Grossereignis» der Schweiz.

Vor dem Hintergrund der nationalen Wahlen stossen auch kantonale Wahlen auf ein erhöhtes Interesse. Obwohl im nationalen Wahljahr in vier Kantonen gewählt wird, beschränken wir uns auf den Kanton Zürich – seiner Grösse wegen. Immerhin kommt ein Sechstel aller Schweizer Stimmberechtigten aus dem Kanton Zürich. Von grossem Reiz sind dabei Spekulationen, inwiefern sich aufgrund kantonaler Wahlen Tendenzen für den kommenden Herbst ausmachen lassen. Diese Frage ist durchaus berechtigt: So hätte die Entwicklung der SP auf nationaler Ebene vor acht Jahren gut mit den Zürcher Wahlen vorausgesagt werden können. Auch das Aufkommen der GLP hat sich 2007 bereits bei den Zürcher Wahlen abgezeichnet.

Die folgenden Grafiken zeigen die Veränderungen der nationalen wie auch der kantonalen Parteistärke (Details zur Parteistärke finden Sie am Ende des Posts). Liegt ein Datenpunkt im grünen Bereich, so hat die jeweilige Partei im Vergleich zu den vorhergehenden Wahlen zugelegt. Ein Lesebeispiel: Die SP hat 1995 sowohl bei den Kantonsratswahlen Zürich (grüne Linie) wie auch bei den folgenden Nationalratswahlen (rote Linie) im Vergleich zu 1991 zulegen können. Auch 1999 war dies der Fall, jedoch waren die Gewinne weniger stark als 1995. Das wird dadurch verdeutlicht, dass sowohl die rote wie auch die grüne Linie ein Gefälle aufweisen, sich aber 1999 immer noch im grünen Bereich bewegen. Umgekehrt gilt auch, wenn ein Datenpunkt im roten Bereich zu liegen kommt, so hat die Partei Einbussen hinnehmen müssen. Weiter unten finden Sie die auch Veränderungen der Parteistärken für die kantonalen Wahlen von Baselland, Luzern und Zürich und dies immer im Vergleich zum Trend bei den darauf folgenden Nationalratswahlen im Herbst.

Veränderung der Parteistärke (SP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (SP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

 

Veränderung der Parteistärke (GLP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (GLP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

 

Veränderung der Parteistärke (GPS) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (GPS) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

 

Veränderung der Parteistärke (BDP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (BDP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

 

Veränderung der Parteistärke (FDP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (FDP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

 

Veränderung der Parteistärke (SVP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (SVP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

 

Veränderung der Parteistärke (EVP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (EVP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

 

Veränderung der Parteistärke (CVP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.
Veränderung der Parteistärke (CVP) in Prozentpunkten. Quelle: Bundesamt für Statistik.

Wie die meisten Leser wahrscheinlich vermuteten, taugen die Parlamentswahlen des Kantons Zürich unterschiedlich gut für die Prognose des nationalen Trends. Für die FDP konnte der Trend in 81 Prozent oder in 13 von 16 Fällen richtig vorausgesagt werden, wobei die Trends im Jahre 1991 zum letzten Mal auseinander liefen. Auch für die SP beträgt die “Prognosegenauigkeit” 81 Prozent, jedoch liegt die letzte Abweichung zwischen den Trends deutlich weiter in der Vergangenheit zurück: 1979 legte die Partei bei den Zürcher Wahlen zu, verlor jedoch bei den folgenden nationalen Wahlen. Für die SVP gelten bereits nicht mehr solche Spitzenwerte. Nur noch in drei von vier Wahlen wiederholte sich der Zürcher Trend auch bei den nationalen Wahlen – was übrigens auch für die CVP gilt. Allerdings stimmte der Zürcher SVP-Trend bei den letzten neun Wahlen mit dem nationalen Ergebnis überein. Mit anderen Worten: Legte die SVP bei den letzten neun Wahlen in Zürich zu, gewann sie auch bei den nachfolgenden nationalen Wahlen. Verlor sie hingegen in Zürich Stimmen (wie etwa 2011), so setzte es auch bei den nationalen Wahlen eine Niederlage ab. Am wenigsten taugen die Zürcher Wahlen, wenn es um die Voraussage für den nationalen Trend der EVP geht: In nur noch 68 Prozent wäre man korrekt gelegen.

Zu guter Letzt: Die Trends der Parteistärken der neuen Mitteparteien hätte bis jetzt zu 100 Prozent korrekt vorausgesagt werden können. Was nach absoluten Spitzenwerten klingt, muss schnell relativiert werden: Es handelt sich jeweils nur um einen Fall (BDP) bzw. zwei Fälle (GLP).

Wie schneiden die Kantone Baselland und Luzern ab?

Damit wir uns nicht dem Vorwurf aussetzen müssen, nur den Kanton Zürich in Betracht zu ziehen, zeigen wir in sieben interaktiven Grafiken die Veränderung der Parteistärken pro Partei. Durch Klicken der farbigen Buttons lassen sich kantonale Parteistärken untereinander, aber auch mit der nationalen Parteistärke vergleichen. Es sei jedoch vorweg genommen, dass sich für jede Partei mindestens gleich gute Trend-Prognosen machen lassen, wenn man den Kanton Zürich als Basis nimmt. Wie dem auch sei, wir wünschen: «Gut klick!»







Hier geht es zum Media-Monitor der Regierungsratswahlen im Kanton Zürich.

Hier finden Sie Wähleranteile auf Gemeindeebene des Kantons Zürich.

Hier finden Sie alles rund um die Stimmkraftausschöpfung.

Wie die Parteistärken berechnet werden, finden Sie hier.

Zu den Wahlen im Kanton Luzern

Die Stimmberechtigten des Kantons Luzern wählen am 29. März eine neue Regierung und ein neues Parlament. Auch für die Luzerner Regierungsratswahlen haben wir einen Media-Monitor aufgeschaltet. Täglich aktualisiert zeigen wir sowohl die Aktivität der Kandidaten auf Twitter als auch die Anzahl Artikel in Printmedien, in denen die Regierungsratskandidaten zumindest einmal erwähnt wurden. Weiter stellen wir die Anzahl der Seitenaufrufe des Wikipedia-Profils der Kandidaten zur Verfügung. Anhand der aktualisierten Grafik sehen Sie, welche Kandidatin und welcher Kandidat über oder unter dem Durchschnitt liegt. Insbesondere für Twitter und Wikipedia gilt, dass nur dargestellt werden kann, was auch verfügbar ist. Einzelne Kandidaten verfügen über keinen Wikipedia-Eintrag (meist Herausforderer) oder kein Twitter-Konto (betrifft vor allem Amtsinhaber).

Hier geht es zum Media-Monitor.

 Hier finden Sie alles rund um die Stimmkraftausschöpfung.

Damit die Kantonsratswahlen nicht vergessen gehen, zeigen wir, in welcher Gemeinde die Parteien auf welche Unterstützung zählen können – dies alles auf der Basis der Kantonsratswahlen 2011. Je dunkler eine Gemeinde eingefärbt ist, desto mehr Wähler hat die entsprechende Partei in dieser Gemeinde. Unterhalb der Karten finden sich Histogramme. Diesen lässt sich entnehmen, in wie vielen Gemeinden eine Partei wie stark ist. So sieht man am Beispiel der CVP, dass die Partei in relativ vielen Gemeinden einen Wähleranteil zwischen 20 und 50 Prozent aufweist.

Wähleranteile in den Gemeinden des Kantons Luzern. Quelle: LUSTAT.
Wähleranteile in den Gemeinden des Kantons Luzern. Quelle: LUSTAT.

 

Regierungsratswahlen

Im Kanton Luzern gibt es im Gegensatz zum Kanton Basel-Landschaft nicht nur den amtlichen (leeren) Wahlzettel, sondern auch ausseramtliche Wahllisten – oft, aber nicht immer sind das «Parteilisten». Der Kantonsrat wird im Proporz, die Exekutive im Majorz gewählt. Wer im 1. Wahlgang als Regierungsrat bzw. Regierungsrätin gewählt sein will, muss mehr als 50% der gültigen Wahlzettel erzielen. Bei den Regierungsratswahlen 2011 ist das nur Guido Graf (CVP) gelungen: Seine Kandidatur erzielte auf Anhieb mehr als die im ersten Wahlgang erforderlichen 53’242 Stimmen. Für die Wahlen am 29. März 2015 haben wir eine Vorhersage aufgrund eines statischen Prognosemodells gewagt. Hier lesen Sie unsere Prognose für die Regierungsratswahlen

Parteistärke aufgrund der Kantonsratswahlen…

Vergleicht man die Parteienstärke über die Zeit, so lassen sich nationale Tendenzen auch auf kommunaler Ebene nachzeichnen. Die SVP vermochte seit 1991 aus der faktischen Inexistenz auf 22 Prozent zu wachsen, während die FDP seit 1987 kontinuierlich auf 19% geschrumpft ist. Auch im Kanton Luzern tauchen 2011 die neuen Mitteparteien auf. Im linken Lager konnte die SP das Niveau von 7 Prozent seit 1987 leicht auf 11 Prozent anheben. Die Grünen tauchen 1991 das erste Mal bei Kantonsratswahlen auf und erreichen auf Anhieb 7%.
Quellen: Bundesamt für Statistik. Eigene Darstellung.

 

… und aufgrund der Nationalratswahlen (kantonal)

Quellen: Bundesamt für Statistik. Eigene Darstellung.

 

Hier geht es zum Media-Monitor.

 Hier finden Sie alles rund um die Stimmkraftausschöpfung.

Hier lesen Sie unsere Prognose für die Regierungsratswahlen

Wie sich die Parteienstärke berechnet und weitere detaillierte Informationen rund um das Thema der Wahlen im Kanton Luzern finden Sie hier: Internetauftritt von LUSTAT.

Prognosen: Das Beispiel der Luzerner Regierungsratswahlen

Im zweiten Teil wollen wir die Probleme und Herausforderungen von theoretischen Prognosenmodellen an einem konkreten und aktuellen Beispiel diskutieren: Die Regierungsratswahlen im Kanton Luzern.

Kurz zur Ausgangslage der Exekutivwahlen vom 29. März 2015: Gewählt wird der fünfköpfige Regierungsrat des Kantons Luzern. Wählbar sind grundsätzlich alle kantonalen Stimmberechtigten. Anders als beispielsweise im Kanton Zürich sind ausseramtliche Wahllisten zulässig. Weil diese ausserdem vorgängig eingereicht werden müssen, wissen wir, dass sich acht «offizielle» Kandidaten und Kandidatinnen um das Amt eines Regierungsrates bzw. einer Regierungsrätin bewerben. Vier davon sind Bisherige (d.h. ein Sitz wird «frei»), die restlichen vier kandidieren neu.[1]

Wie können wir den Wahlerfolg der acht Kandidierenden mit einem statistischen Modell berechnen? Zunächst müssen wir definieren, was wir unter «Wahlerfolg» verstehen. Mit anderen Worten: Was soll denn überhaupt prognostiziert werden? Die Anzahl Stimmen, der Umstand, ob jemand gewählt wird oder nicht, oder der Anteil Stimmen am Total aller Stimmen? Unsere abhängige Variable ist definiert als der Anteil Stimmen am Total aller gültigen Wahlzettel, was uns im Falle des Kantons Luzern auch gleichzeitig angibt, ob der Kandidat das absolute Mehr im ersten Wahlgang erzielt oder nicht. Sodann brauchen wir Erfahrungswerte: Uns stehen die Ergebnisse zu drei Luzernischen Gesamterneuerungswahlen (sowie ein zweiter Wahlgang) zur Verfügung. Insgesamt sind das 41 Fälle (Fälle=Kandidaturen). Das ist (eigentlich zu) wenig. Denn: Mit tieferer Fallzahl wächst der prognostische Unschärfebereich umso stärker an. Wir begegnen diesem Umstand in pragmatischer Weise: Wenn theoretische Prognosenmodelle an einem aktuellen Beispiel diskutiert werden sollen, dann muss mit der geringen Fallzahl Vorlieb genommen werden. Wer interessiert sich schon für Prognosen zurückliegender Wahlen?

1. Schritt: Finde die Determinanten des Wahlentscheides

Nun beginnt der theoretische Teil der Prognosearbeit. Dieser besteht darin, diejenigen Variablen zu identifizieren, die als aussagekräftige Prädiktoren des Wahlentscheids in Frage kommen. Wir überspringen diesen – zwar eminent wichtigen – aber auch zeitraubenden Teil und halten bloss fest, welche Prädiktoren wir in einem ersten Schritt berücksichtigt haben:

  1. Die Wählerstärke der Partei des Kandidaten. Anzunehmen ist, dass Parteiwähler (einigermassen) diszipliniert für ihre Kandidaten stimmen werden. Im Prinzip wäre anstelle der Parteistärke auch die «Blockstärke» denkbar, da beispielsweise Sympathisanten der Grünen  mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einen SP-Kandidaten wählen werden.
  2. Der «Status» des Kandidaten. Gemeint ist damit der Umstand, ob ein Kandidat ein erneut kandidierender Amtsinhaber oder ein Neukandidierender ist. Amtsinhaber sind viel eher bekannt und haben demnach viel höhere Wahlchancen als neu Kandidierende.
  3. Anzahl der Kandidaten. Je höher die Anzahl der Kandidaten pro Wahl, desto eher nehmen sich die Kandidaten gegenseitig Stimmen weg.

Andere Variablen wurden vorerst (noch) nicht berücksichtigt. Aus drei Gründen: Erstens, weil sie statistisch keinen Einfluss haben auf das Wahlverhalten (wie etwa das Geschlecht: Männer haben im Kanton Luzern etwa die gleichen Wahlchancen wie Frauen). Zweitens, weil sie mit anderen Prädiktoren korrelieren und drittens, weil uns die gewünschten Informationen gar nicht zur Verfügung standen. Gerne wüssten wir beispielsweise, wie bekannt ein Kandidat ist. Denn: Um einen Namen auf den Wahlzettel schreiben zu können, muss er geläufig sein. Man könnte dies beispielsweise mittels der Höhe der Propagandaaufwendungen für den jeweiligen Kandidaten messen. Doch über die politischen Werbeaufwendungen weiss man nicht genaues. Eine weitere, voraussichtlich wichtige Information ist uns ebenso wenig bekannt. Sie hat damit zu tun, dass im Kanton Luzern, wie gesagt, ausseramtliche Wahllisten zulässig sind. Bei den aktuellen Wahlen wurden insgesamt 15 solcher vorgedruckten Wahllisten eingereicht. Die Wählerschaft kann anstelle des leeren Wahlzettels, der dem Wahlmaterial auch beiliegt, eine dieser vorgedruckten Wahllisten unverändert einlegen. Dabei ist klar: Die Wahlchancen eines Kandidaten sind nun umso grösser, je häufiger er oder sie auf diesen (bzw. auf einer «chancenreichen») vorgedruckten Wahllisten steht. Diese Information ist aber nur für die aktuellen, nicht für die vergangenen Wahlen vorhanden. Wir können sie deshalb nicht in unsere Voraussage einfliessen lassen. All dies verringert notwendigerweise die Prognosegüte des Modells, denn mindestens zwei wichtige Prädiktoren bleiben so unberücksichtigt. Das sind eben die «Grenzen» theoretischer Prognosemodelle.

Flickr/Lars Pelz
Politische Werbeausgaben sind so durchsichtig wie Milchglas. Foto: Flickr/Lars Pelz

Das vorgeschlagene Modell vermag über 80 Prozent der Varianz zu erklären. Es hat allerdings ein wesentliches Problem: Die Wählerstärke der Parteien, die hinter den jeweiligen Kandidaturen stehen, ist nicht im Voraus bekannt. Die kantonalen Parlamentswahlen finden nämlich gleichzeitig mit den Regierungsratswahlen statt. Man könnte nun stattdessen die Wähleranteile der vergangenen Wahl oder der Nationalratswahl nehmen, doch liegt im Falle des Kantons Luzern beides vier Jahre zurück. Ein zwar nicht vollwertiger, aber passabler Ersatz sind sogenannte «Dummyvariablen»: Man bildet für jede Partei eine Variable, die in der Folge angibt, um wie viel besser (oder schlechter) ein Kandidat der betreffenden Partei abschneidet als eine vordefinierte Restgruppe. Ein Beispiel: SVP-Kandidaten schneiden in Anbetracht dessen, dass ihre Partei oftmals die wählerstärkste Partei im Kanton ist, bei Majorzwahlen eher schlecht ab. Denn es ist für die SVP schwieriger als für andere Parteien, ausserhalb ihrer eigenen Wählerschaft Stimmen für ihre Kandidaten zu erzielen. Eine entsprechende Dummyvariable trägt diesem Umstand Rechnung. Der Vorteil der Parteizugehörigkeit gegenüber der Wählerstärke einer Partei ist der Umstand, dass erstere schon lange vor den Wahlen bekannt ist, letztere erst nach den Wahlen.

Wie soll die Bekanntheit gemessen werden?

Weiter haben wir mit dem bei den Baselbieter Wahlen erstmals eingesetzten Medienmonitor versucht, die Bekanntheit der Kandidaten (retrospektiv) zu messen. Die erhobenen Werte haben wir in das nachfolgende Basismodell einfliessen lassen.[2]

Variablenβ-Koeff.SEP>|t|untere Grenze 95%-Konf.int.obere Grenze 95%-Konf.int.
Amtsinhaber
(0=nein; 1=ja)
11.752.980.0005.6717.83
SP-Parteizugehörigkeit9.953.680.0112.4417.45
CVP-Parteizugehörigkeit 14.922.980.0008.8321.01
FDP-Parteizugehörigkeit11.643.150.0015.2118.07
Anzahl Kandidaten -2.58.310.000-3.20-1.94
Medienmonitor.44.160.010.11.77
Konstante51.263.700.00043.7158.81
n=38; R-Quadrat=.88

Das neue Modell ist statistisch gesprochen gar besser als das erste. 88 Prozent der Varianz können erklärt werden. Die mittlere Abweichung unserer modellgenerierten Prognosewerte beträgt 6 Prozent. Das heisst: Unser Modell lag im Schnitt um rund sechs Prozentpunkte daneben. Das heisst auch: Im Schnitt dürfte sich unser Modell auch bei der Prognose um denselben Betrag irren. Das ist happig – aber das gehört eben zu den «Grenzen» theoretischer Prognosemodelle. Die maximale Abweichung betrug im Übrigen 16 Prozent. Das ist viel – zu viel, wird manch einer einwerfen. Interessant ist jedoch, bei welchem Kandidaten unser Modell derart daneben lag: Daniel Bühlmann von der SVP wurde wegen einer Steueraffäre als einziger Amtsinhaber bei den untersuchten Wahlen abgewählt (siehe Kasten). Unser Modell prognostizierte ihm ex-post einen Anteil von 36 Prozent, am Ende erzielte er bloss 20 Prozent. Dieses Beispiel zeigt die im ersten Teil auf theoretischer Ebene andiskutierte Schwäche eines hochgeneralisierten Modells auf: Es prognostiziert jedem Amtsinhaber die Wiederwahl, weil dies in der Tat auch meistens erfolgt. Wird ein Amtsinhaber aufgrund eines Skandals (o.ä) von der Wählerschaft abgestraft, liegt ein theoretisches Modell, welches solche aussergewöhnlichen Fälle einer höchst unbeliebten Amtsführung nicht berücksichtigen kann, zwangsläufig daneben.

Ein weiteres, zur Vorsicht mahnendes Wort sei an dieser Stelle auch noch angebracht: Retrospektiv (in-sample forecasts) lässt sich (allenfalls) der Erklärungsgehalt eines Modells, nicht aber seine eigentliche Prognosegüte überprüfen. Denn nachträglich ermittelte Prognosewerte beruhen ja auf den tatsächlichen Ergebnissen der Wahlen (aufgrund dieser Datenpunkte wird das Modell geschätzt), sind demnach kein echter «Prüfstein» für die Prognosekraft eines Modells. Im Prinzip müsste man das Modell bloss mit einem Teil der Daten schätzen lassen und den anderen Teil zur Bewertung der Prognosegüte verwenden (out-of-sample forecasts). Aufgrund der geringen Fallzahl ist das in unserem Beispiel nicht möglich.

In einem weiteren Schritt haben wir uns eine Vorgehensweise zunutze gemacht, die im Zusammenhang mit Wahlen in den USA schon verschiedentlich zur Anwendung gelangt ist und im weitesten Sinne mit «Aggregation» zu umschreiben ist.[3] Dabei geht es darum, die Stärken verschiedener Modelle zu vereinigen, indem man ihre Prognosewerte poolt, nach ihrer Performanz gewichtet und daraus einen Mittelwert bildet. Zu diesem Zweck haben wir drei weitere Modelle gebildet, die neben den oben genannten Prädiktoren noch die Amtsdauer des Amtsinhabers, den Wahlgang, die Parteienkonkurrenz sowie weitere Dummy-Variablen für SVP- und Grüne-Kandidaten sowie Parteilose beinhalten.

Darauf basierend lauten die Prognosen für sieben der acht Kandidaten der Luzerner Regierungsratswahl wie folgt:

RR.Predict.LU2

Wenig überraschend prognostiziert unser Modell die Wiederwahl aller Amtsinhaber. Es prognostiziert zudem auch einen zweiten Wahlgang, weil weniger als fünf Kandidaten das absolute Mehr erzielen. Allerdings wird eine weitere Schwäche unseres Modells sichtbar: Für Amtsinhaber (bzw. Neukandidierende) der gleichen Partei werden beinahe dieselben Stimmenanteile vorausgesagt. Unser Modell kann diese Kandidaten kaum voneinander unterscheiden. Das ist natürlich kein Zufall. Denn in der Vergangenheit haben Amtsinhaber derselben Partei tatsächlich oft ähnlich abgeschnitten. 2007 haben beispielsweise die beiden Bisherigen, Anton Schwingruber (CVP) und Markus Dürr (CVP), 65 bzw. 63 Prozent erzielt. Weiter unterscheidet unser Modell kaum zwischen Kandidaten der Grünen und der SVP. Wie um Himmels willen ist sowas möglich? Die einfache Antwort ist: SVP- und Grüne-Kandidaten mögen ideologisch sehr weit voneinander entfernt liegen, aber sie erzielten bei Luzerner Regierungsratswahlen etwa dieselben Stimmenanteile. Die Kandidaten der Grünen erzielten von 2003 bis 2011 zwischen 21 und 27 Prozent der Stimmen, diejenigen der SVP zwischen 15 und 34 Prozent. Wenn man zweite Wahlgänge nicht berücksichtigt, rücken die beiden Parteien noch näher zusammen: Bei den Grünen beträgt die Bandbreite 21 – 27 Prozent, bei der SVP 15 – 27 Prozent.

Wie beurteilen wir die Plausibilität unseres Modells? In der Tat zweifeln Prognostiker ja bisweilen selbst an den Ergebnissen ihrer Modelle. Wie gesagt, liegt das daran, dass solch theoretische Modelle allein auf der Basis von abstrakten Erfahrungswerten operieren. Ein theoretisches Modell «kennt» beispielsweise den SVP-Kandidaten Paul Winiker nicht, es kennt bloss seine Vorgänger (d.h. die früheren SVP-Regierungsratskandidaten) und errechnet darauf aufbauend die Erfolgschancen des erstgenannten – als wäre dieser ein Klon aller bisheriger SVP-Kandidaten, was natürlich nicht der Fall ist. Die untenstehende Abbildung zeigt im Übrigen, dass – gemessen an der Wählerstärke der eigenen Partei – die SVP-Kandidaten bisher am schlechtesten bei Luzerner Regierungsratswahlen abgeschnitten haben. Teilweise haben die SVP-Kandidaten tiefere Wähleranteile erzielt als ihre Partei bei den gleichzeitigen Parlamentswahlen. Wenn Paul Winiker dieses Muster durchbricht, wird er mit Gewissheit mehr Stimmen erzielen als es das theoretische Prognosemodell voraussagt.

lu_forecast_1
Im Boxplot ist die Differenz zwischen dem Wähleranteil der Kandidaten bei den Exekutivwahlen und demjenigen ihrer Partei bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen angegeben. Quelle: Eigene Berechnungen.

Ein Prognosewert fehlt in der Grafik. Für die jungen Grünen kandidiert Irina Studhalter. Ihr prognostizierter Wert kann nicht geschätzt werden, da bisher erst ein Kandidat der jungen Grünen antrat (Olivier Dolder, 2007). Ihr dieselbe Prognose zu stellen wie den (nicht-jungen) Grünen-Kandidaten ist wohl falsch. Denn die bisher angetretenen Grünen-Kandidaten erzielten alle Stimmenanteile zwischen 21 und 27 Prozent, der Kandidat der jungen Grünen lag mit 12 Prozent klar unter diesen Werten.

Zurück zum ersten Teil

Einen Spezialfall stellt Margrit Fischer (CVP) dar. Als der neu fünfköpfige Luzerner Regierungsrat 2003 gewählt wurde, erzielte sie im ersten Wahlgang das viertbeste Resultat – hinter drei weiteren CVP-Kandidaten. Da niemand das absolute Mehr erzielte, war ein zweiter Wahlgang nötig. Zu diesem trat Margret Fischer nicht mehr an, obwohl sie – wäre ein absolutes Mehr nicht nötig gewesen – im ersten Wahlgang gewählt worden wäre. Wir haben sie deshalb auch nicht zu den abgewählten AmtsinhaberInnen hinzugezählt. Daniel Bühlmann wiederum haben wir für unser vorgestelltes Prognosemodell nicht berücksichtigt. Wie gesagt, war er der einzige Amtsinhaber, der im Untersuchungszeitraum abgewählt wurde. Wegen der Steueraffäre wurde über ihn auch mit Abstand am meisten berichtet, was den Effekt des von uns verwendeten Medienindikators erheblich verzerrt. Deshalb haben wir Daniel Bühlmanns Kandidatur 2007 für unsere Prognose nicht berücksichtigt.

[1] Über den Amtsinhaberbonus haben wir im Rahmen der kantonalen Wahlen in Basel-Landschaft berichtet. Siehe hier.

[2] Hier finden Sie den Medienmonitor zu den Regierungsratswahlen im Kanton Basel-Landschaft und hier unsere Nachlese.

[3] Ein Beispiel finden Sie hier.

[4] Foto: Manuel|Flickr