Nachdem die letzten Umfrageresultate für den kommenden Abstimmungssonntag bekannt sind, kann es nur noch Prognosen geben. Die Köpfe hinter den 20 Minuten-Umfragen bringen einen Werkstattbericht als Gastbeitrag und lassen erahnen, wohin die Reise führen könnte.
Landläufig werden in der Schweiz Umfrageresultate als Momentaufnahmen beschrieben. Das ist korrekt. Aber selbstverständlich werden Umfragen von interessierten Kreisen als Prognosen verstanden. Es gibt gute Gründe, warum sich Demoskopen nicht die Hände verbrennen wollen mit Prognosen. Abweichungen von Momentaufnahmen lassen sich irgendwie erklären. Das geht natürlich nicht bei Prognosen. Nach mehr als einjähriger Erfahrung mit Abstimmungsanalysen präsentieren wir hier einen Versuch.
Unsere Vorhersagen für die Vorlagen vom 14. Juni basieren auf drei Umfragewellen, die wir gemeinsam mit 20 Minuten erheben und auswerten. Gemäss unserem Modell werden die beiden Initiativen abgelehnt, wobei wir bei der Erbschaftsteuer ein sehr deutliches Resultat erwarten. Die Verfassungsänderung zur Präimplantationsdiagnostik sollte ein komfortables Volksmehr erreichen und höchstwahrscheinlich auch das Ständemehr. Beim RTVG zeichnet sich ein Nein ab.
Das Prognosemodell stützt sich auf die Resultate aller drei Umfragewellen ab und nimmt auch die Erwartung der Befragten über den Abstimmungsausgang auf. Wir fragen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen jeweils, ob sie erwarten, dass eine Vorlage angenommen wird. Zusammen mit dem abstimmungsspezifischen Verlauf berechnet das Modell eine Vorhersage. Das Modell verfehlte das tatsächliche Resultat bei den letzten elf Vorlagen um durchschnittlich 2.6%.
Dennoch sind unsere Vorhersagen mit Vorsicht zu geniessen. Zum einen basiert unser Modell auf einem kleinen Datensatz mit nur elf Abstimmungen, was zur Folge haben kann, dass der Prognosefehler mit aller Wahrscheinlichkeit grösser als 2.6% ist.[2] Zum anderen würden wir aufgrund unseres Modelles bei den vergangenen elf Abstimmungen ein oder vielleicht zwei Resultate ausserhalb des 95%-Vorhersagebereichs erwarten – es kam aber drei Mal vor.[3] Insofern berücksichtigt unser Modell nicht die gesamte Unsicherheit und unser Vorhersagebereich variiert stark zwischen den Abstimmungen. Es liegt also noch viel Arbeit vor uns. In diesem Sinne ist dieser Beitrag als Werkstattbericht zu verstehen. Wir warten nun die tatsächlichen Resultate vom 14. Juni 2015 ab, dann wissen wir mehr.
[2] Der durschnittliche Prognosefehler gibt an, um wieviel die Prognose im Durchschnitt vom tatsächlichen Resultat abweist. Wenn die beiden Gastautoren davon ausgehen, dass der Prognosefehler aller Wahrscheinlichkeit grösser ist als ausgewiesen, spricht man von einem «überangepassten» Modell, mehr dazu finden Sie hier.
Am nächsten Abstimmungssonntag stimmen wir über die Stipendieninitiative ab. Diese möchte die Hoheit der Kantone bei der Stipendienvergabe beschränken und einen minimalen studentischen Lebensstandard verfassungsrechtlich garantieren. Höchste Zeit also einen Blick in die Daten zu werfen.
Die Höhe ausbezahlter Stipendien und der Anteil Stipendienbezüger variieren stark zwischen den Kantonen. Studenten aus dem Kanton Waadt erhalten durchschnittlich mehr als doppelt so hohe Beiträge wie ihre Kommilitonen aus dem Wallis. Die Stipendieninitiative will diese Unterschiede ausgleichen und den Kantonen einheitliche Vergabekriterien vorschreiben (siehe Infobox: Was will die Stipendieninitiative?).
Grosszügiger Kanton Waadt, knausriges WalliS
Ob ein Stipendienbezüger aus dem Kanton Wallis oder aus dem Kanton Waadt stammt, spielt eine erhebliche Rolle bei der Höhe der finanziellen Unterstützung, die der jeweilige Kanton an seine Ausbildung leistet. Deutlich werden die interkantonalen Differenzen anhand der Zahlen, die vom Bundesamt für Statistik für das Jahr 2013 erhoben wurden.[1] Der durchschnittliche jährliche Betrag, den stipendienberechtigte Personen im Kanton Wallis für eine tertiäre Ausbildung erhielten, belief sich auf 5’372 Franken. Eine Studentin aus dem Nachbarkanton Waadt dagegen durfte sich auf 12’814 Franken freuen, also mehr als doppelt so viel. Folgende Grafik verdeutlicht die grossen Diskrepanzen zwischen den Kantonen, was die ausbezahlten durchschnittlichen Beiträge anbelangt.
Studenten aller tertiären Bildungsstufen profitieren am meisten, wenn sie aus dem Kanton Waadt stammen bzw. dort ihren Hauptwohnsitz haben. Im Wallis erhalten sie schweizweit durchschnittlich am wenigsten Förderbeiträge, wobei pro untersuchter tertiärer Bildungsstufe unterschiedliche Kantone als Schlusslicht auf der Liste der Stipendienvergeber fungieren. Eine Person aus Appenzell Innerrhoden, die eine höhere Berufsbildung absolviert, erhält im Schnitt jährlich 3’890 Franken an Stipendien. Fachhochschulstudenten erhalten mit 4’680 Franken im Kanton Wallis am wenigsten, während der Kanton Luzern für an Universitäten Studierende mit 5’956 Franken am wenigsten Geld locker macht.
Bundessubventionen rückläufig
Der Bund unterstützt die Kantone bei der Finanzierung von Stipendien. In den letzten 25 Jahren sind aber anteilsmässig Rückgänge der Bundessubventionen auszumachen. Kam die Eidgenossenschaft 1990 für 34 Prozent des gesamten Stipendienvolumens auf, betrug ihr Anteil im Jahr 2007 noch 27 Prozent. Am 1. Januar 2008 trat der neue nationale Finanzausgleich (NFA) in Kraft, womit eine Neuregelung der Lasten im Stipendienwesen zwischen Bund und Kantonen erfolgte. Der Bund subventioniert seither nur noch die tertiäre Bildungsstufe. Stipendien unterhalb dieser Bildungsstufe werden nunmehr gänzlich von den Kantonen finanziert. Deshalb wird in untenstehender Grafik ab 2008 lediglich der tertiäre Bildungsbereich betrachtet. Auch dort erkennt man den leichten prozentualen Rückgang der Bundessubventionen.
Der absolute Beitrag der Bundessubventionen betrug im Jahr 2013 ca. 25 Mio. Franken. Insgesamt wurden in diesem Jahr 167 Mio. Franken an Stipendien in der tertiären Bildungsstufe ausbezahlt.
Mehr Studierende – weniger Unterstützung
Diesem relativen Abbau der Bundessubventionen steht eine steigende Anzahl Personen, welche den tertiären Bildungsweg einschlagen, gegenüber. Waren 2004 knapp 200’000 Personen in tertiären Bildungsinstituten immatrikuliert, studierten 2013 bereits 280’000 an höheren Fachschulen, pädagogischen Hochschulen, Universitäten und Fachhochschulen – ein Plus von 40 Prozent. Dabei erfolgte der Anstieg in allen drei Kategorien gleichermassen stark, wie untenstehende Grafik zum Ausdruck bringt.
Erstaunlicherweise erhalten aber anteilsmässig immer weniger Studierende finanzielle Beiträge an ihre Ausbildung. Wurden unter den Studierenden des tertiären Bildungssektors 2004 noch 10.6 Prozent staatlich unterstützt, sank dieser Prozentsatz in den letzten Jahren kontinuierlich und betrug 2013 noch 7.3 Prozent.
Einer stetig steigenden Anzahl Studierenden im tertiären Bildungsbereich stehen tendenziell abnehmende Unterstützungsleistungen des Staates gegenüber. Nicht nur sind die prozentualen Beiträge des Bundes am Gesamtvolumen der Stipendien rückläufig, es werden anteilsmässig auch immer weniger Studenten unterstützt. Ob die Unterstützungsbedürftigkeit von Studentinnen und Studenten ebenfalls abgenommen hat, bleibt aber offen.
Zürcher sind auf sich alleine gestellt – Bündner werden grosszügig gefördert
Vergleicht man die Anteile durch staatliche Stipendien unterstützter Studentinnen und Studenten zwischen den Kantonen fallen wiederum grosse Divergenzen auf. Während im Kanton Zürich bloss 3 Prozent der Studierenden in tertiären Bildungsinstituten Stipendien beziehen, sind es im Kanton Graubünden 24.6 Prozent.
Im Wallis erhalten 29.5 Prozent der Unistudenten staatliche Förderbeiträge. Demgegenüber unterstützt der Kanton Zürich gerade einmal 3.9 Prozent. Fachhochschulstudenten und Studierende an pädagogischen Hochschulen werden im Kanton Zug praktisch nicht gefördert. Dort beträgt der Anteil Stipendienbezüger lediglich 4.4 Prozent. Am meisten von staatlicher Unterstützung profitieren Angehörige dieser Bildungsstufe im Kanton Graubünden, wo 32.7 Prozent in den Genuss von Ausbildungsbeiträgen kommen. Am krassesten zeigen sich die kantonalen Unterschiede im Bereich der höheren Berufsbildung: Hier sind die meisten Kantone sehr zurückhaltend bei der Vergabe von Stipendien. Anteilsmässig am wenigsten Studierende unterstützt der Kanton St. Gallen – dort beträgt die Stipendienvergabequote minimale 0.9 Prozent. Der Kanton Schwyz dagegen wurden 2013 von 81 Studierenden in der höheren Berufsbildung deren 46 mit Förderbeiträgen unterstützt, was einer Quote von 56.8 Prozent entspricht.
Heute ist nach wie vor der Wohnort der Studierenden für die Vergabe eines Stipendiums sowie dessen Höhe entscheidend. Wie dieser Blogbeitrag aufzeigen konnte, sind die kantonalen Differenzen frappant. Ob die kantonale Hoheit im tertiären Stipendienwesen erhalten bleibt oder ob hierfür einheitliche Kriterien auf nationaler Ebene geschaffen werden sollen, entscheidet das Stimmvolk am 14. Juni 2015.
Die schweizerische Bildungspolitik ist geprägt von der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen, so auch im tertiären Bildungswesen. Dieses umfasst Fachhochschulen, Universitäten sowie die höhere Berufsbildung, wozu beispielsweise höhere Fachschulen, die den Studierenden berufsspezifische Spezialisierungen und Führungsfunktionen vermitteln, gezählt werden. Die Vergabe von Stipendien für ein Studium an erwähnten Bildungsinstitutionen wird aber alleinig durch die Kantone geregelt. So legen diese fest, wer Stipendien erhält, wie hoch die Unterstützungsbeiträge ausfallen und welchen Restriktionen die Studierenden unterworfen sind. Es spielt dabei keine Rolle, wo die betroffene Person studiert, sondern in welchem Kanton ihr Wohnsitz liegt. Das Stipendienwesen ist somit äusserst heterogen ausgestaltet und lässt den Kantonen einen grossen Gestaltungsspielraum bei der Vergabe.
Ansatz der initiative
Am 14. Juni 2015 stimmt der Souverän über die Stipendieninitiative ab. Lanciert wurde diese Initiative vom Komitee Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS).[2] Die Vorlage zielt erstens auf eine Harmonisierung des Stipendienwesens im Hochschulbereich ab. Die unterschiedlichen Vergabekriterien und Beitragshöhen zwischen den Kantonen sollen vereinheitlicht werden. Als zweites Ziel verlangt die Initiative, dass die Beiträge einen minimalen studentischen Lebensstandard ermöglichen. Im Initiativtext wird dieser allerdings nicht explizit beziffert.[3] Vielmehr soll zukünftig der Gesetzgeber definieren, was als minimaler Lebensstandard bezeichnet werden kann. Nach bisherige Erhebungen des Bundes beträgt der dazu notwendige Betrag ca. 24’000 Franken pro Jahr.
Indirekter Gegenvorschlag
Die Kantone haben bislang eigenständig Harmonisierungsbestrebungen im Stipendienwesen vorangetrieben. So sind mittlerweile 16 Kantone dem Stipendienkonkordat beigetreten. Das Konkordat ist eine interkantonale Vereinbarung zur Harmonisierung von Ausbildungsbeiträgen. Der Bundesrat und das Parlament haben der Stipendieninitiative einen indirekten Gegenvorschlag gegenübergestellt. Das Bundesgesetz über Ausbildungsbeiträge im tertiären Bildungsbereich wurde kürzlich einer Totalrevision unterzogen. Die Kompetenzen zur Stipendienhöhe und -vergabe werden darin bei den Kantonen belassen. Dafür enthält das geänderte Ausbildungsbeitragsgesetz Richtlinien, welche Personen und welche Ausbildungen stipendienberechtigt sind. Einen minimalen Ausbildungsbeitrag enthält das überarbeitete Bundesgesetz allerdings nicht. Mit der Totalrevision des Ausbildungsbeitragsgesetzes hat das Parlament Ende 2014 gleichzeitig entschieden, dass nur noch diejenigen Kantone Bundesbeiträge für Stipendien erhalten, welche die Vorgaben des Stipendienkonkordats erfüllen. Im Falle, dass die Stipendieninitiative abgelehnt wird, tritt der indirekte Gegenvorschlag automatisch in Kraft.
[1] Die Zahlen, welche die interkantonalen Differenzen verdeutlichen, finden Sie hier.
[2] Die Initianten des Volksbegehrens finden Sie hier.