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USR III-Nein: Ein Protest gegen Establishment, Internationalisierung und Globalisierung

Die Unternehmenssteuerreform III wurde unerwartet deutlich abgelehnt. Doch nicht nur die Deutlichkeit des Ergebnisses überrascht, auch das Muster der Kantons- und Bezirksergebnisse ist eher ungewöhnlich.

Das Abstimmungsmuster entspricht weder dem klassischen Links-Rechts-Konflikt, der von den linken Initiativabstimmungen her bekannt ist, noch entspricht es dem Gegensatz zwischen liberalen und konservativen Wertehaltungen, der den Abstimmungen über rechte Migrationsvorlagen zugrunde liegt. Vielmehr war es ein Aufbegehren gegen Globalisierungsprozesse (steuerliche Begünstigung internationaler Multis), der – ähnlich wie bei TTIP – links und rechts für einmal zusammenbrachte. Im Zentrum der Abstimmung standen die internationalen Multis, deren Steuerprivilegien unter internationalem Druck abgeschafft, gleichzeitig aber durch andere Massnahmen kompensiert werden sollen. Dagegen wehrten sich nun nicht nur die linken Wähler und Wählerinnen, sondern offenbar auch eine erhebliche Zahl konservativer Stimmenden – anders ist das deutliche Verdikt zur USR III nicht zu erklären. Das zeigt sich zudem konkret darin, dass die USR III auch und teils gerade in den ländlichen Regionen der Deutschschweiz abgelehnt wurde, während sie zumindest in gewissen urbanen Regionen (Genf und Basel-Stadt) vergleichsweise gut abschnitt. Es zeigt sich aber auch darin, dass etwa der SP-Anteil in den Bezirken nicht sonderlich stark mit dem Ja-Stimmenanteil zur USR III korreliert.

Hingegen korrelieren zwei vergangene Abstimmungsergebnisse ziemlich stark mit dem heutigen USR III-Ergebnis: Die Ergebnisse zur Abzockerinitiative und zur Pauschalbesteuerungs-Initiative. Bei beiden Abstimmungen ging es denn auch um Privilegien einer kleinen Gruppe – meist internationaler – Vermögender («Abzocker», d.h., Manager von internationalen Multis, die sich in den Augen der Gegner masslos bereichern bzw. im Falle der Pauschalbesteuerung ausländische Vermögende, die in den Genuss von Steuerprivilegien kommen). Und wie schon bei der Abzockerinitiative, die der USR III- Abstimmung in vielerlei Hinsicht ähnelt, sahen viele Stimmenden nicht ein, welchen Nutzen sie von der steuerlichen Privilegierung internationaler Grossunternehmen hätten. Und deshalb war das USR III-Votum auch ein Protest gegen das Establishment, gegen die Internationalisierung und Globalisierung, hatte also etwas «Trumpsches» an sich. Denn viele derer, die in der steuerlichen Begünstigung internationaler Konzerne ein Globailsierungsphänomen sehen, dem sie nichts für sich persönlich abgewinnen können, denken in derselben Weise auch über die Personenfreizügigkeit.

Dass es nicht das Prinzip der Steuergerechtigkeit war, das den Entscheid primär motivierte, sondern vielmehr Nutzenerwägungen, ist auch daran zu erahnen, dass die Kantone Waadt, Genf und Basel-Stadt, die bei Wirtschaftsfragen ansonsten verlässlich links stimmen, dieses Mal der USR III zustimmten (Waadt) bzw. sie nur vergleichsweise knapp ablehnten (Genf und Basel-Stadt). Diese Kantone und natürlich auch der Kanton Zug, welcher der Vorlage ebenfalls zustimmte, sind genau jene, welche hohe kantonale Anteile an der Zahl der steuerprivilegierten Firmen aufweisen.

Thomas Milic und Thomas Lo Russo

Die veränderte Zustimmung bei erleichterten Einbürgerungen

Die erleichterte Einbürgerung junger Ausländer der dritten Generation stiess auf Zustimmung. Sowohl Volk als auch Stände stimmten dem Bundesbeschluss zu. Mit vergangenen Vorlagen zu Einbürgerungen verglichen, zeigen sich ähnliche Veränderungsmuster – bei Kantonen und Bezirken.

Bereits 1983, 1994 und 2004 (zwei Vorlagen) wurde über ähnliche Einbürgerungserleichterungen abgestimmt. Alle Vorlagen scheiterten – in zwei von drei Fällen jedoch denkbar knapp. Wenig überraschend gehört die Romandie dem Lager der Befürworterschaft an. Selbst bei der Abstimmung über die erleichterte Einbürgerung 2. Generation (2004), als nur 43.2% der Stimmenden ein «Ja» einlegten, stimmte eine Mehrheit in den Kantonen FR, VD, GE und JU «Ja». Gleiches gilt auch für den Stadtkanton Basel-Stadt. Der Kontrast dazu bilden die Inner- und Ostschweizer Kantone, die zu Einbürgerungsvorlagen umgekehrt verlässlich «Nein» stimmten. Dasselbe Muster ist auch bei der Abstimmung vom 12. Februar 2017 zu erkennen. Indes, das Verhältnis der Stände hat gekehrt: Sagten 2004 14 5/2 Kantone Nein, waren es 2017 15 4/2 Kantone, die zustimmten (Auf der «Nein»-Seite finden sich die genannten, verlässlichen Kantone).

Die Entwicklung seit 2004

Auf Bezirksebene lässt sich diese Veränderung ebenfalls beobachten. 2004 waren es 42 Bezirke die Ja sagten, während 2017 gerade noch 37 Bezirke dagegen waren.  Einzelne Bezirke tanzen gar auffällig aus der Reihe: Die Bündner Bezirke Imboden (+24.92%-Punkte auf Ja-Seite) und Plessur (+24.44) führen die Rangliste der geläutersten Bezirke an. Wobei auch Olten (+21.84) und Aarau (+20.6) einen markanten Unterschied aufweisen. Interessant ist, dass das «Ja» 2004 bei der 3. Generation negativ mit der Differenz der beiden Abstimmungsresultate 2004-2017 korreliert. Das bedeutet, dass Bezirke, welche die Vorlage 2004 stark ablehnten, sich stärker in die «Ja»-Richtung bewegt haben. In anderen Worten, Bezirke mit tiefer Zustimmungsrate im Jahre 2004 haben sich überdurchschnittlich in die «Ja»-Richtung bewegt – viele sogar über die 50%-Marke hinweg.

diffeinb(1)ÄHNLICHE ENTWICKLUNG BEI GEMEINDEN?

Die Auswertung der Abstimmungsresultate in den Gemeinden wird hierzu sicherlich ebenfalls ein spannendes Bild zeichnen. Sind einzelne Gemeinden dafür verantwortlich, dass Bezirke in ihrer Zustimmung zur Einbürgerung der 3. Generation zugelegt haben? Oder lässt sich diese Entwicklung auf kommunaler Ebene nicht nachvollziehen? Wenn nicht, läge die Vermutung nahe, dass das Abstimmungsverhalten losgelöst von lokalen Erfahrungen und Geschichten zu erklären ist.

 

 

Wieder einmal steht eine Abstimmung über die erleichterte Einbürgerung an

Die erleichterte Einbürgerung junger Ausländer scheiterte schon mehrere Male an der Urne. 1994 erzielte eine entsprechende Verfassungsrevision zwar die Volksmehrheit, scheiterte aber an der Hürde des Ständemehrs. Auch am 12. Februar 2017 könnte das Ständemehr letztlich den Ausschlag geben – und das Stimmverhalten der bürgerlichen Wählerschaften.

Zum wiederholten Male wird am 12. Februar 2017 über die erleichterte Einbürgerung junger Ausländer abgestimmt. Heuer geht es um junge Ausländer der dritten Generation. Bereits 1983, 1994 und 2004 (zwei Vorlagen) wurde über ähnliche Einbürgerungserleichterungen abgestimmt. Alle Vorlagen scheiterten – in zwei von drei Fällen jedoch denkbar knapp. Die Einbürgerungsvorlage von 1994 erzielte gar eine (knappe) Volksmehrheit, verfehlte aber das Ständemehr. Wie knapp es dieses Mal ausgehen wird, ist vorderhand schwer zu sagen. 2004 hatte die SVP eine aufwendige und letztlich erfolgreiche Kampagne gegen beide Vorlagen geführt. Bislang hält sie sich mit einer Gegenkampagne (noch) zurück. Das Resultat von 1994 zeigt jedoch, dass selbst bei einem sehr flauen Abstimmungskampf mit eher knappen Mehrheitsverhältnissen gerechnet werden muss: Denn damals fand kein nennenswerter Abstimmungskampf statt und die nationale SVP empfahl gar eine Annahme der Vorlage. Auch in der Schlussabstimmung im Nationalrat lautete das Stimmenverhältnis deutliche 113:19, während es im Ständerat nicht einmal eine Gegenstimme gab. Trotzdem ergab sich an der Urne nur eine knappe Volksmehrheit von rund 53 Prozent der Stimmenden. Kurz, vorsorglich ist bei diesem Thema von einem eher knappen Resultat auszugehen. Knapp heisst, das Ständemehr könnte zentral werden. Denn die Erfahrung hat gezeigt, dass das Ständemehr für Einbürgerungsvorlagen schwerer zu «knacken» ist, als die Hürde des Volksmehrs. Auf welche Kantone ist dabei besonders zu achten?

abweichungen_einbuergerungen

Die Karte zeigt die durchschnittlichen kantonalen Abweichungen vom nationalen Ergebnis bei den letzten drei Einbürgerungsvorlagen. Wenig überraschend gehört die Romandie dem Lager der Befürworterschaft an. Selbst bei der Abstimmung über die erleichterte Einbürgerung 2. Generation (2004), als nur 43.2% der Stimmenden ein Ja einlegten, stimmte eine Mehrheit in den Kantonen FR, VD, GE und JU Ja. Gleiches gilt auch für den Stadtkanton Basel-Stadt. Die Gegenfolie dazu bilden die Inner- und Ostschweizer Kantone, die zu Einbürgerungsvorlagen umgekehrt verlässlich Nein stimmten. Spannender ist die Ausgangslage indessen in den restlichen Kantonen. Zürich und Bern liegen im Schnitt etwas über dem nationalen Ergebnis. Angesichts der Tatsache, dass die Einbürgerungsvorlage, über die am 12. Februar befunden wird, im Vergleich zu jenen beiden, die 2004 scheiterten, inhaltlich «entschärft» wurde, dürften beide Kantone wohl zum Ja tendieren. Sollte es knapp werden, wird man vor allem auf die «Swing»-Kantone Wallis, Basel-Land, Graubünden, Zug und möglicherweise auch auf das Tessin blicken. Das Ja-Lager muss hier aber gleich alle Kantone auf seine Seite ziehen können und es braucht auch noch mindestens einen Kanton (oder zwei Halbkantone) aus der Gruppe jener, die Einbürgerungsvorlagen bislang stets abgelehnt haben. Mit anderen Worten: Selbst wenn der Ja-Stimmenanteil generell höher ausfallen sollte als bei der 1994er Abstimmung, ist das Ständemehr noch lange nicht garantiert.

Wie wählen bürgerliche Wähler?

Für die Volksmehrheit wird weiter auch das Entscheidverhalten der bürgerlichen Wählerschaften wichtig sein. Die nachfolgende Abbildung zeigt den Ja-Anteil der vier wählerstärksten Parteianhängerschaften und der Parteiungebundenen bei den letzten drei Einbürgerungsabstimmungen. Verlässliche Werte erhält man von den beiden Polparteien SVP und SP: Die einen sind dezidiert dagegen, die anderen genauso entschlossen dafür. Bemerkenswert ist dabei, dass selbst 1994, als die nationale SVP eine Ja-Parole formulierte, 80 Prozent ihrer Anhängerschaft dagegen stimmte. Die Anhängerschaften von FDP und CVP waren in der Vergangenheit gespalten: Die eine Hälfte stimmte dafür, die andere dagegen – und dies trotz Ja-Parole der nationalen Partei. Bemerkenswert ist dabei, wie konsistent das Entscheidverhalten der Anhängerschaften ist, trotz teils unterschiedlicher oder anders lautender Parteiparolen. Die Stimmbürgerschaft scheint bei gewissen Themen klare Prädispositionen zu haben, die für den Stimmentscheid wichtiger sind als die Parteilinie. Die Parteiungebundenen stimmten jeweils etwas skeptischer als die Gesamtheit aller Stimmenden. Auch sie könnten am 17. Februar das Zünglein an der Waage sein.

parteizustimmung
Datenquelle: Vox.

Thomas Milic und Thomas Willi